Hintergrund: Ericsson wirft das Handtuch

Lange setzte Ericsson alles daran, Nokia auf dem Handy-Markt einzuholen. Nun gab Schwedens größter Industriekonzern auf.

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Von
  • Thomas Borchert
  • dpa

Die Geschichte vom glücklosen Hasen und vom stets schnelleren Igel kam manchem in den Sinn, als der schwedische Ericsson-Konzern am heutigen Freitag in Stockholm den Ausstieg aus der Handy-Produktion verkündete. Während Nokia im benachbarten Finnland die Marktführerschaft mit immer neuen Traumerträgen und einem Marktanteil von über 30 Prozent beständig ausbaute, wurde die geplante Aufholjagd für Ericsson als bisher Drittem der Branche nach dem US-Konzern Motorola immer mehr zum Albtraum. Nach Verlusten im Handy-Verkauf von 1,9 Milliarden Euro im letzten Jahr zog Vorstandschef Kurt Hellström die Notbremse. Die gesamte Sparte geht nun an den bisherigen US-Lieferanten Flextronics.

Mehrere Jahre lang hatte Schwedens größter Industriekonzern alles daran gesetzt, den Vorsprung von Nokia aufzuholen. Aber die Werbeparole "Make Yourself Heard" schlug ebenso wenig gegen Nokias "Connecting People" durch wie die schlingernde Modellpolitik der Schweden. Kleinlaut räumte Hellström bei der Bilanzvorlage ein, dass Ericsson trotz gigantischer Investitionen wieder am Markt vorbeiproduziert hatte. "Unsere Modelle waren zu anspruchsvoll. Der Markt hat vorrangig die simpleren und billigeren angenommen. Das zwang uns zu schmerzhaften Preissenkungen", meinte der vor anderthalb Jahren vor allem als Retter der Handy-Sparte auf den Kommandostand geholte Hellström im Rundfunk.

Dass der Konzern derzeit nicht als gefährdet gelten muss, hat Ericsson seinem Erfolg als Netz- und Systemanbieter im Mobilfunk zu verdanken. Der Blick nach vorn ist aber nicht unbedingt von strahlendem Optimismus geprägt. Im ersten Quartal wird bei Ericsson wegen der gewaltigen Umstrukturierungskosten für die Handy-Sparte gerade mal mit einem Null-Ergebnis gerechnet. Ebenso wie in den Vorwochen Nokia und Motorola schraubten die Schweden ihre Prognosen für das weitere Wachstum des Handy-Markts nach unten.

In ersten Reaktionen von Stockholmer Branchenbeobachtern dominierte Skepsis über den jetzt eingeschlagenen Kurs. Als eher schlechtes Omen wurde gewertet, dass Ericsson keinen Partner mit gut klingendem Namen wie die als heiße Anwärter gehandelten japanischen Konzerne Sony oder Hitachi an Bord holen konnten. "Flextronics ist wohl kaum der Traumpartner, den Ericsson für seine Mobiltelefon- Produktion braucht", hieß es im Kommentar von Dagens Industri.

Dunklere Wolken könnten demnächst auch beim bisher für Ericsson so erfolgreichen Geschäft mit Mobilsystemen aufziehen. "Hier ist durch die zunehmende Konkurrenz derselbe Preisdruck zu erwarten, der bei den Handys seit Jahren herrscht", meinte der Kommentator des schwedischen Fernsehens, das die Bilanz-Pressekonferenz des mit Abstand wichtigsten schwedischen Industrieunternehmens live übertrug.

Beim deutschen Handy-Marktführer Siemens wollte man den Ausstieg des Konkurrenten aus dem Norden zunächst nicht kommentieren. Rudi Lamprecht, im Vorstand für die Handysparte IC Mobile zuständig, hatte unlängst für die Branche Zuwachsraten zwischen 20 und 25 Prozent in den kommenden drei Jahren prognostiziert. Siemens kann der Rückzug von Ericsson nur recht sein. Damit rückt der dritte Platz hinter Nokia und Motorola deutlich näher. Im vergangenen Geschäftsjahr hatten die Münchner 24 Millionen Handys verkauft und einen Weltmarktanteil von rund neun Prozent erreicht. Ericsson brachte es noch auf 43,3 Millionen Einheiten. (Thomas Borchert, dpa) / (jk)