Hybride Ideen und der angebliche Codeklau bei Linux

Der Streit um ADTI, die Codeklau in Linux beweisen will, geht weiter; die Organisation beklagt Angriffe auf ihre Webseiten. Derweil meint eine Anwaltsfirma, die Mehrheit der Programmierer nutze unrechtmäßig fremde Quelltexte.

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Von
  • Detlef Borchers

Seit Wochen wird Samiszdat, das Buch Kenneth Browns von der konservativen amerikanischen Alexis de Toqueville Institution (ADTI) diskutiert. In dem Buch, das bislang nur als PDF-Datei zirkuliert, wird Linux als das Produkt eines groß angelegten geistigen Diebstahls seziert. Linus Torvalds habe sich beim Schreiben des ersten Linux bei Minix von Andrew Tanenbaum bedient, dieser habe sich wiederum am ersten Unix von Ritchie und Thompson vergriffen. Die These, die selbst in der Tagespresse bezweifelt wird, ist auf heftigen Widerspruch gestoßen; die von Brown interviewten Protagonisten Tanenbaum und Ritchie haben von den Interviews ein gänzlich anderes Bild gezeichnet.

Aus dem ursprünglich bei Amazon zu beziehenden Buch ist inzwischen ein "technical paper" geworden, das über Booksurge zu beziehen sein soll, wo man auf Literatur im Selbstverlag spezialisiert ist. Booksurge bucht zwar den Betrag für das 120-seitige Paper von den Kreditkartenkonten der Besteller ab, liefert aber nicht aus, weil es nicht beliefert wurde: In einer Presseerklärung hat nun die Alexis de Toqueville Institution Stellung bezogen und Cyberattacken für die Verzögerungen verantwortlich gemacht. Auch in dieser Erklärung wird das einstmals als Buch geführte Samiszdat nur noch als "paper" bezeichnet, während vom Autor Kenneth Brown eine gänzlich neue Kategorie eingeführt wird: "Wenn wir einen freien, offenen und produktiven Gedankenaustausch führen wollen, dann bestehen wir darauf, dass die Führer in der Gemeinschaft der Open- und Hybrid-Source diese Attacken verurteilen und von ihnen abraten."

Sieht man einmal davon ab, dass es zweifelhaft ist, ob die bei Yahoo beheimatete Website von ADTI tatsächlich attackiert wurde und nicht etwa unter der Last der Zugriffe zusammen brach, ist die Bezeichnung "open- and hybrid-source" beziehungsweise das ebenfalls verwendete "open- and hybric-source" problematisch. Mit ihr will Kenneth Brown auf die von ihm so genannte "hybride Entwicklungsgeschichte" von Linux hinweisen, in der gestohlener oder unrechtmäßig vewendeter Unix-Code mit eigenem Linux-Code vermischt worden sei. Als Führer der hybriden Programmierer sieht Brown den von ihm nicht interviewten Linus Torvalds, als Führer bei der Open Source hingegen Richard Stallman. Auch dieser hatte gegen Browns Missbrauch eines Interviews seinen Einspruch eingelegt, während Torvalds den Weihnachtsmann und die Zahnfee als Autoren von Linux preisgab. Die heftigen wie die belustigten Reaktionen deuten darauf hin, dass die Bezeichnung als "Hybrid-Source-Community" abgelehnt wird.

Die Frage, was geistiger Diebstahl ist und was legales Reverse Engineering oder sogar der sonst geforderte Einsatz wieder verwertbarer Komponenten, wird von Juristen völlig anders gesehen als von Programmierern. Die bekannte Formulierung von Eric S. Raymond, nach der kein Problem jemals zwei Mal gelöst werden sollte, ist innerhalb der Open Source unproblematisch. Außerhalb dieses Bezugsrahmens gilt es schon als Diebstahl geistigen Eigentums, wenn Entwickler sich eine persönliche Bibliothek von Routinen anlegen, die sie beim Wechsel des Arbeitsplatzes mitnehmen. Dies suggeriert jedenfalls eine Studie, die die Rechtsanwaltssozietät Masons in ihrem Webzine Out-Law nach einer Meldung von ZDnet England veröffentlichen will. So sollen 70 Prozent von 3000 befragten Programmierern geistiges Eigentum stehlen, indem sie den Code aus anderen (eigenen) Programmen stehlen. Die anstehende Veröffentlichung der Studie dürfte auf ähnliche Proteste stoßen wie sie die erste Version vom Samiszdat begleitet haben. (Detlef Borchers) / (jk)