IETF und RIPE diskutieren über Internet-Sanktionen gegen Russland

Sollte Russland wegen seines Krieges mit Internet-Sanktionen belegt werden und welche Folgen hätten diese? Darüber diskutieren Netzbetreiber und Ingenieure.

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(Bild: Novikov Aleksey/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Über mögliche Internet-Sanktionen gegen Russland wird unter Netzwerkbetreibern und Ingenieuren lebhaft gestritten. Am Dienstag diskutierten auf Einladung der Adressverwaltung RIPE etwa 140 Teilnehmer virtuell die Frage, welche Rolle die Community spielen sollte. Parallel wies eine Arbeitsgruppe der Internet Engineering Task Force (IETF) auf einem Treffen in Wien nach harter Debatte einen Vorschlag ab, an einer Art "Beipackzettel" zu arbeiten, der Wirkungen und Nebenwirkungen von Eingriffen ins Routing oder DNS beschreibt.

An die Spitze der Befürworter von gezielten Sanktionen gegen die Netzinfrastruktur des russischen Militärs und der russischen Regierung setzte sich auf dem kurzfristig anberaumten RIPE-Treffen der niederländische Wissenschaftler Niels ten Oever. Er ist einer der Co-Autoren eines Papiers, in dem Techniker, Netzsicherheitsexperten und Politiker "Präzisionsschläge" gegen Russland fordern und zugleich ein Verfahren, wie durch die Beteiligten gemeinschaftlich eine Sanktionsliste vereinbart werden kann. Auch künftig könnten damit die Ziel-IP-Adressbereiche beziehungsweise die Domains von Aggressoren festgelegt werden.

Die Motivation für den Vorschlag seien die Grausamkeiten gegen die Ukraine und der Appell der Ukraine selbst, Sanktionen gegen die Infrastruktur zu verhängen, sagte ten Oever. Die Offenheit und Unverletzlichkeit der Kommunikationsinfrastrukturen zu beschwören nütze wenig, wenn eine Partei Bomben auf Menschen und neutrale Infrastruktur werfe.

Der Vorstoß der Gruppe richte sich dabei gerade darauf, bei solchen Sanktionen zivile Ziele zu vermeiden. "Es ist von zentraler Bedeutung, dass nicht die normale Bevölkerung vom Netz abgeschnitten wird", sagte ten Oever. "Dass das schwierig ist, bedeutet nicht, dass wir es nicht versuchen sollten."

Die estnische Europaabgeordnete Maria Kaljurand bekräftigte den Schutz von Grund- und Menschenrechten als rote Linie für technische Sanktionen. Kaljurand, die auch an der Schutznorm vom Unverletzlichkeit der Kerninfrastruktur des Netzes in der Global Commission on the Stability of Cyberspace mitgearbeitet hat, beurteilte die von ihr mit unterzeichnete Erklärung noch nicht als perfekt. Wichtig sei, dass Regierungen nicht im Alleingang über Sanktionen entschieden.

Ihr niederländischer Kollege Bart Groothuis sagte voraus, es werde solche staatliche Sanktionen geben werde, und weil sie komplex seien, bedürfe es der Expertise der Techniker. Groothuis ruderte zugleich vorsichtig zurück. Der aufgelegte Vorschlag sei noch kein Bekenntnis für oder gegen Sanktionen gegen Russland.

Eine Mehrheit der 140 Teilnehmer lehnte Sanktionen wie Route-Filter oder DNS-Sperren dennoch ab. RIPE-Chefwissenschaftler Daniel Karrenberg warnte erneut davor, die Sanktionen spielten letztlich denen in die Hände, die ohnehin gegen offene Netze seien. Karrenberg hat in einer privaten Aktion mittlerweile knapp 70 Unterschriften für seinen Aufruf "Haltet das Netz-offen!" gesammelt. Das sind schon deutlich mehr Unterschriften als unter dem Sanktionspapier stehen, Karrenberg hofft aber auf noch mehr. Kein russischer oder ukrainischer Netzbetreiber habe bislang unterschrieben, teilt er mit, er habe aber einen langen Atem.

Karrenberg schlossen sich in der hitzigen Diskussion viele an. Die US-Wissenschaftlerin Farzaneh Badiei wies darauf hin, welche Effekte Infrastruktursanktionen auf andere Länder, etwa Afghanistan haben werden. Badiei erinnerte auch daran, dass Sanktionen wie etwa das De-Peering russischer Netze durch den Internetknoten LINX gerade auch die Nutzer von Internet und Mobilfunk betreffen. Das Netz unterscheide nicht zwischen zivilen und staatlichen Bits, mokierten einige Teilnehmer.

Die Effekte möglicher Sanktionsregime für das Netz seien schwer zu überschauen, betonte David Frautschy von der Internet Society. Die ISOC hat gerade eine Folgenabschätzung zu verschiedenen Sanktionen gegen Russland veröffentlicht. Die Organisation warnt nicht zuletzt vor immer mehr politisch motivierten Blockaden und den Folgen für ein sicheres globales Netz.

Der Völkerrechtler Wolfgang Kleinwächter meinte, dass Sanktionsregime den Trend zu einer Aufspaltung des globalen Netzes in souveräne Inseln mit eigenen Protokollwelten noch befördern könnten. An diesen werde immer mehr gearbeitet. Ten Oever konterte, die Idee vom einheitlichen globalen Internet sei ohnehin nicht realisiert angesichts der enormen Unterschiede in Konnektivität und Zugang.

Auf große Ablehnung stießen zwei Juniper-Ingenieure und ein Netzwerker von Arista Networks mit ihrem Vorschlag, regionales Blocking in einem Request for Comment (RFC) bei der IETF zu dokumentieren. Ihnen gehe es nicht darum, Sanktionen in irgendeiner Form zu befürworten. Vielmehr wollen sie die Wirkungen – und Nebenwirkungen – von De-Peering, der Filterung Autonomer Systeme beziehungsweise ganzer IP-Adressbereiche, sogenannter Präfixe oder DNS-Zonen zu erklären. So sei es schwierig, zwischen denjenigen zu unterscheiden, die sanktioniert werden sollen, und den Unbeteiligten. Netzwerke seien amorph, auch würden IP-Adressbereiche nicht strikt nach Regionen vergeben. Im Endeffekt könnten die Nebenwirkungen größer sein als die intendierten Sanktionseffekte.

Es gibt, zumal aktuell, ausreichend andere Organisationen, die sich mit dem Sanktionsthema befassen, befand die Internet-Area-Arbeitsgruppe in der IETF. Lenny Guiliano, einer der Autoren, zeigte sich erstaunt, über die Reaktionen. Die Autoren wollen noch einen Anlauf machen, den "Blocking-Waschzettel" in einer anderen Arbeitsgruppe, der Internet Research Task Force Human Rights Protocol Consideration (HPRC) Arbeitsgruppe vorzustellen.

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