Im bios politikos: zum 80. Geburtstag von Jürgen Habermas

Aus dem umfangreichen Oeuvre des Soziologen und Philosophen Jürgen Habermas ragen zwei Schriften heraus, mit denen Habermas auf die Entwicklung der digitalen Kommunikation nachhaltig Einfluss genommen hat.

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Von
  • Detlef Borchers

Jürgen Habermas

(Bild: Wolfram Huke, Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Heute wird der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas 80 Jahre alt. Aus seinem umfangreichen Oeuvre ragen zwei Schriften heraus, mit denen Habermas auf die Entwicklung der digitalen Kommunikation nachhaltig Einfluss genommen hat: Mit seiner 1962 verfassten Habilitationsschrift "Strukturwandel der Öffentlichkeit" und der 1981 erschienenen "Theorie des kommunikativen Handelns" setzte Habermas wichtige Eckpunkte für die Annahme, dass menschliche Vernunft im Herzen der "kommunikativen Alltagspraxis" verankert ist. Mit zahlreichen Einwürfen bezog er Position im bios politikos, im öffentlichen Leben: So kritisierte er den Radikalenerlass der SPD wie den Versuch von Historikern, den Nationalsozialismus zu relativieren.

Die Öffentlichkeit und der freie, von keiner Zensur behinderte Dialog der Bürger zur Bildung einer öffentlichen Meinung gehören zu den Dingen, die Habermas theoretisch vertrat und praktisch lebte. Der 1929 in Köln geborene Denker stellte in seinem ersten großen Werk zum Strukturwandel der Öffentlichkeit die Bedingungen vor, unter denen räsonnierende Bürger die Öffentlichkeit bilden. Zu ihnen gehören die Kaffeehäuser wie die Versammlungsfreiheit, die freie Presse ebenso wie die Lobbyarbeit von interessierten Gruppen und Parteien, unter der Maßgabe, dass alle jederzeit Einblick in Herkunft und Verwendung ihrer finanziellen Mittel gewähren. Sein Idealmodell bürgerlicher Öffentlichkeit sah Habermas freilich schon damals gefährdet. In seiner Theorie des kommunikativen Handelns lieferte er auf 1200 Seiten die Warnung nach, dass die Herstellung von Öffentlichkeit immer ein Prozess ist, in dem die Öffentlichkeit irreparabel zerstört werden kann. Im Original liest sich Habermas in zwei Sätzen zusammengefasst so: "In modernen Gesellschaften erweitern sich Kontingenzspielräume für die aus normativen Kontexten entbundenen Interaktionen soweit, dass der Eigensinn des kommunikativen Handelns sowohl in den entinstutionalisierten Verkehrsformen der familialen Privatsphäre wie in der durch Massenmedien geprägten Öffentlichkeit 'praktisch wahr wird.' Gleichzeitig dringen die Imperative verselbständigter Subsysteme in die Lebenswelt ein und erzwingen auf dem Weg der Modernisierung und Bürokratisierung eine Angleichung des kommunikativen Handelns an formal organisierte Handlungsbereiche auch dort, wo der handlungskoordinierende Mechanismus der Verständigung funktional notwendig ist."

Jürgen Habermas gehört zu den wenigen Denkern, die die Möglichkeiten des Internets begrüßen, auch wenn das Netz den klassischen Intellektuellen als besonders hörbare Stimme im Konzert der Meinungen obsolet macht: "Die Nutzung des Internets hat die Kommunikationszusammenhänge zugleich erweitert und fragmentiert. Deshalb übt das Internet zwar eine subversive Wirkung auf autoritäre Öffentlichkeitsregime aus. Aber die horizontale und entformalisierte Vernetzung der Kommunikationen schwächt zugleich die Errungenschaften traditioneller Öffentlichkeiten. Diese bündeln nämlich innerhalb politischer Gemeinschaften die Aufmerksamkeit eines anonymen und zerstreuten Publikums für ausgewählte Mitteilungen, sodass sich die Bürger zur gleichen Zeit mit denselben kritisch gefilterten Themen und Beiträgen befassen können. Der begrüßenswerte Zuwachs an Egalitarismus, den uns das Internet beschert, wird mit der Dezentrierung der Zugänge zu unredigierten Beiträgen bezahlt. In diesem Medium verlieren die Beiträge von Intellektuellen die Kraft, einen Fokus zu bilden," heißt es in seiner Rede zur Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises (PDF-Datei).

Zu seinem 80. Geburtstag wird Habermas vielfältig in den meinungsbildenden Blättern geehrt. Sein Hausverlag Suhrkamp bringt ein Geburtstagsbuch (PDF-Datei) und gesammelte philosophische Texte heraus. Die Goethe-Universität Frankfurt und die deutsche Nationalbibliothek bieten unter dem Titel "Die Lava des Gedanken im Fluss" eine Werkschau an, die in Frankfurt und später in Oldenburg betrachtet werden kann. In Frankfurt hat Habermas den größten Teil seines Berufslebens (PDF-Datei) verbracht. Erwähnenswert ist eine Gratulation der SPD, mit der sich Habermas oft gestritten hat, ohne jemals offizieller Parteiphilosoph zu werden, wie dies der ehemalige Bundeskanzler Schröder ausdrücklich wünschte. Wie der Online-Beirat der SPD dokumentiert, ist der Dialog mit der Öffentlichkeit aktuell nicht von der habermasschen Maxime vernünftiger Verständigung getragen. (Detlef Borchers) / (jk)