Iran: Regime kann individuelle Handyverbindungen überwachen und manipulieren

Ein Whistleblower hat Dokumente zur Mobilfunküberwachung im Iran weitergegeben. Die zeigen, wie Proteste unterdrückt werden sollen und wie weit das System geht.

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(Bild: esfera/iHaMoo/Shutterstock.com,heise online)

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Im Iran können Behörden nicht nur individuelle Mobilgeräte umfassend überwachen, sondern ihnen auch gezielt das Internet abdrehen und umfassend kontrollieren, wie damit kommuniziert wird. Das geht aus internen Dokumenten eines Mobilfunkproviders hervor, die dem US-Magazin The Intercept zugespielt wurden. Erläutert würden darin Details zu einem Programm namens SIAM, mit dem Handyverbindungen aus der Ferne manipuliert, überwacht oder gekappt werden können. Im Zusammenspiel mit den weitreichenden Überwachungskapazitäten des Regimes in Teheran ergebe sich daraus ein Unterdrückungs- und Kontrollsystem, um das Ausdrücken von Unzufriedenheit oder Proteste zu unterdrücken. Im Iran wird seit Wochen gegen das politische System und die Führung demonstriert.

The Intercept erklärt, dass es sich den Dokumenten zufolge um ein bei den Providern eingerichtetes System handelt, dass den Verantwortlichen verschiedene Manipulationsmöglichkeiten einräumt. So könnten Geräte nur mithilfe einer Telefonnummer aus schnelle 3G- und 4G-Netzen in ein viel langsameres und unsichereres 2G-Netz verdrängt werden. Smartphones würden damit nicht nur weitgehend nutzlos, sie könnten auch noch einmal deutlich umfassender überwacht werden. Außerdem können Geräte auch ganz offline genommen werden – sogar für einen festgelegten Zeitraum. Für die Benutzer und Benutzerinnen würden solche Maßnahmen wie Netzwerkprobleme erscheinen, worüber in dem Land im Aufruhr aktuell auch immer wieder geklagt werde.

Über SIAM kann demnach auch mit einem einzigen Befehl ermittelt werden, welche Mobilgeräte sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Mobilfunkmast angemeldet haben. So können zielgenau Teilnehmer und Teilnehmerinnen an bestimmten Protesten ermittelt werden. Laut The Intercept haben Menschen im Iran auch bereits berichtet, dass sie nach einer Demonstration SMS erhalten hätten, die sie vor einer Teilnahme an einem Protest gewarnt hätten. Das verdeutlicht, wie die Behörden mithilfe der umfassenden Überwachung gegen Individuen vorgehen können. Mittels SIAM können demnach zu Mobilfunknutzern und -nutzerinnen die Namen der Väter, Nummern von Geburtsurkunden, Adressen, Arbeitsstätten, besuchte Orte und genutzte IP-Adressen abgefragt werden. Auch gegen die beliebte Nutzung von VPN-Diensten könnte so vorgegangen werden.

Damit werde einmal mehr deutlich, dass auch Geräte, mit denen verschlüsselt kommuniziert wird, anfällig sind für Eingriffe in die Infrastruktur, erklärt Mahsa Alimardani von der NGO Article 19. Außerdem erinnert sie daran, dass etwa für Zwei-Faktor-Authentifizierung oft auf SMS zurückgegriffen wird. Damit würden auch sicherheitsbewusste Nutzer und Nutzerinnen zu Technik gedrängt, die von Unternehmen und im Fall des Iran vom Regime kontrolliert wird. Der IT-Sicherheitsexperte Amir Rashidi ergänzt gegenüber The Intercept, dass die in SIAM verfügbaren Funktionen im Iran zwischen Leben und Tod entscheiden könnten. Dort gebe es keine faire Justiz, keine Rechenschaft und den aktuellen Beispielen für Gewalt gegen Menschen gingen viele Beispiele für Rechtsverletzungen voraus.

Die Enthüllungen zu dem Überwachungs- und Unterdrückungssystem kommen jetzt parallel zu einer neuerlichen Eskalation des Regimes in Teheran. Das geht seit dem Wochenende noch einmal brutaler gegen die Proteste vor, die seit Wochen anhalten. Demonstriert wird dabei nicht nur gegen die Unterdrückung von Frauen in der Islamischen Republik, sondern auch gegen das Regime selbst.

Ursprünglicher Auslöser war der Tod der 22-jährigen Mahsa (beziehungsweise Jina) Amini in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen eines Verstoßes gegen die Bekleidungsvorschriften von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen war. Immer wird seitdem das Internet eingeschränkt, Kommunikationsdienste wie WhatsApp und Instagram sind komplett gesperrt. Diskutiert wird schon seit Wochen, ob etwa Starlink Abhilfe schaffen könnte, dabei gibt es aber Risiken.

(mho)