Langzeiterfahrungen mit dem Tesla S 90D

Tesla gilt als Vorreiter und in Tests schneiden Tesla-Autos oft sehr gut ab. Meine Langzeiterfahrungen mit einem Tesla Model S sind jedoch ernüchternd.

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(Bild: Andreas Lischka bei Pixabay)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Seit 2019 habe ich rund 20.000 Kilometer mit einem Tesla S 90D, Baujahr 2016 (Facelift) und Autopilot-Hardware 2.0 zurückgelegt. In diesen zwei Jahren erhielt das Auto Dutzende kleinerer und größerer Updates, beispielsweise zur Radfahrer- und Fußgängererkennung. Das Auto hinterließ größtenteils einen passablen Eindruck. Jedoch fand ich unerwartet viele Fehler in der Software, darunter bei der Fahrassistenz, der Klimatisierung und Navigation. Im Folgenden habe ich nur die gravierenden notiert.

Dabei gilt Tesla nicht mehr als Greenhorn unter den Autoherstellern. Die Firma rüstet das Model S seit Oktober 2014 mit Fahrerassistenzsystemen aus, die der Hersteller als "Autopilot" bezeichnet (Abstandstempomat, Spurwechsel-, Notbrems- und Parkassistenten). Zwei wichtige Wegmarken folgten etwas später: Seit Oktober 2016 baut Tesla in die S-Modelle Kameras, Ultraschallsensoren und ein Radar ein. Das Radar könne "durch schweren Regen, Nebel, Staub und sogar ein vorausfahrendes Fahrzeug hindurchsehen" (Full Self-Driving Hardware).

Laut aktueller Planung will Tesla bald auf das Radar verzichten, aber zu dessen Einführung im Model S lautete das Versprechen noch, auf dieser Grundlage durch Software-Updates schrittweise autonomes Fahren zu implementieren, das "substanziell sicherer" sein soll als ein menschlicher Fahrer. Bisher herausgekommen ist ein Lenkassistent, der schon bei kleinsten Herausforderungen aufgibt (z. B. beim Abbiegen) und auf den ich deshalb verzichte. Aber noch im Dezember 2017 erklärte Tesla-Chef Elon Musk, dass Tesla vollautonomes Fahren gemäß SAE-Level 5 Ende 2020 erreichen will – so weit zum Hintergrund und den von Tesla aufgebauten Erwartungen.

In der Praxis hinterließ vor allem der Abstandstempomat einen dürftigen Eindruck. Trotz Radar setzt er aus bei Nebel, starkem Regen und Schnee und wenn das Sichtfenster der Frontkamera verschmutzt ist.

Das Auto drosselt oft unerwartet das Tempo, weil es die Situation falsch einschätzt. Wenn man den Rekuperationsgrad auf der Voreinstellung belassen hat, kommt das einer deutlichen Bremsung gleich. Zwar aktiviert die Elektronik die Bremsleuchten, aber Fahrer von nachfolgenden Fahrzeugen dürften dennoch überrascht sein, wenn etwa bei leerer Autobahn vor dem Tesla kein Bremsanlass ersichtlich ist; auch können sie zu Notbremsungen gezwungen werden.

Die Objekterkennung des Tesla S 90D hält ein Regal in einer Garage für einen Lkw (graues Symbol in der Mitte des Fahrzeug-Displays).

Solche unerwarteten Bremsungen kommen in bewohnten Gebieten vor, wenn Fußgängerinseln in Kurven stehen oder wenn man auf dunkle, steile Unterführungen zufährt. Auf Landstraßen passiert das bei normalem Tempo (80 bis 90 km/h) vor erhöhten Kurven mit Leitplanken und sowohl auf Landstraßen als auch auf Autobahnen, wenn man bei gerader Strecke auf steile Hügel zufährt (z. B. Autobahn A7, an einem Abschnitt in den Bergen bei Kassel). An all diesen Stellen vermutet das Auto offenbar große Gegenstände auf Kollisionskurs.

Bisher ist nichts passiert, weil ich heikle Stellen inzwischen schon von Weitem erkenne und direkt nach dem Einsetzen der Rekuperation mit dem Gaspedal gegensteuere.

Fährt man auf einer Autobahn auf eine Unterführung zu, auf der eine Landstraße quer zur Autobahn verläuft, sollte man auch auf Überraschungen gefasst sein. Denn wenn auf der Überführung ein niedrigeres Tempolimit gilt als auf der Autobahn und wenn man das Tempolimit der Überführung überschreitet, bremst das Auto (Autobahn bei Leipzig, Nähe Flughafen, stadtauswärts). Vermutlich wähnt sich das Navi kurz auf der Überführung; anschließend beschleunigt es wieder.

Kritisch wird es auch beim Überholen auf der Autobahn: Man fährt mit konstantem Tempo (z. B. 110 bis 130 km/h) auf der rechten Spur und setzt zum Überholen an. Das vorausfahrende Fahrzeug fährt ebenfalls mit konstantem Tempo. Der Tesla nähert sich bis auf etwa 20 bis 30 Meter und während er beim Fahrspurwechsel die Mittellinie überquert, bremst er ohne ersichtlichen Grund ab. So irritiert er Nachfolger und provoziert Notbremsungen und Ausweichmanöver. Das macht jeder Fahrschüler umsichtiger.

Andererseits beschleunigt der Abstandstempomat gelegentlich auch selbstständig auf Autobahntempo. Beim Einbiegen auf eine mehrspurige Landstraße, die wenige Kilometer zuvor noch Autobahn war, beschleunigt der Tesla von sich aus auf 130 km/h (Übergang A37 zu B6, Auffahrt kurz vor IKEA Laatzen). Das ist an dieser Stelle heikel, weil kurz nach der Auffahrt eine Tempolimitanzeige mit dynamischer Steuerung steht, die oft nur 100 km/h erlaubt. Wenn dort auch noch ein Blitzer installiert wäre, müsste der Fahrer für das Überschreiten des Tempolimits büßen.

Anders als viele andere Hersteller setzt Tesla keinen separaten Regensensor ein, sondern versucht dafür die Kameras des Autos zu nutzen (Beta-Stadium der Entwicklung). Die Steuerung der Scheibenwischer funktioniert passabel, wenn man vorwärtsfährt; in den meisten Fällen erkennt das Auto Regen und schaltet den Frontscheibenwischer ein. Einen rückwärtigen Scheibenwischer hat es nicht.

Aber sobald man rückwärtsfährt und die Frontscheibe nur minimal nass ist, schaltet die Elektronik überflüssigerweise den Frontscheibenwischer ein, und zwar auf Maximalgeschwindigkeit. Das Geflatter der Wischer und deren schabendes Geräusch lenken ab, während man sich auf den Rückspiegel oder das Bild der Rückfahrkamera konzentrieren will.

Der Reigen der Merkwürdigkeiten setzt sich fort bei der Objekterkennung. Fahrräder, die an Laternenmasten angekettet sind, deutet das Auto als Radfahrer. Ein am Ende einer Garage aufgestelltes Regal interpretiert es als Lkw. Manche Tempolimitschilder erkennt es selbst auf freier Strecke und bei Tageslicht gar nicht, obwohl die Kameras sauber sind.

[Update] Tesla hat im Laufe der Jahre einige Modifikationen an den unterschiedlichen Fahrzeugvarianten vorgenommen; tatsächlich beherrschen die S-Modelle (wie das getestete) mit Autopilot-2.x-Hardware zurzeit keine Verkehrzeichenerkennung. [Update]

Laut der Anleitung lässt sich das Luftfahrwerk bis Tempo 30 auf Maximalhöhe betreiben (16 Zentimeter). Das möchte man beispielsweise auf unbefestigten Straßen mit Schlaglöchern, um ein Aufsetzen der Karosserie zu vermeiden. Wenn aber kniehohes Gras auf der Straße wuchert, fährt die Bordelektronik das Niveau immer wieder ungebeten auf Normalniveau herunter, auch wenn man konstant unter 30 km/h bleibt.

Ähnlich bevormundend steuert die Bordelektronik die Klimaanlage: Egal, welche Temperatur oder Lüfterdrehzahl man eingestellt hat, spätestens am Tag danach stellt das Auto die Werte nach eigenem Gutdünken ein und ignoriert Bedürfnisse des Fahrers.

Ansagen kommen oft sehr knapp vor den Stellen, an denen man abbiegen muss, manchmal zu spät. Die Navigationsführung zur Ladesäule endet teils schon Hunderte Meter vor dem Ziel, obwohl an vielen Orten die Säulen noch nicht zu sehen sind, etwa weil sie hinter einem Hotelgebäude stehen. So kommt es vor, dass man eine Weile suchend auf dem Gelände herumirrt.

Der Tesla S 90D verließ das Werk zwar schon im Jahr 2016, aber dank umsichtigem Konzept könnte ihn der Hersteller mit der aktuellen "Autopilot 3"-Hardware aufrüsten. Das wirft jedoch ein schlechtes Licht auf die mit viel Tamtam eingeführte "Autopilot 2"-Hardware.

Das Ansagemuster auf kurvigen Strecken verwirrt und ist zu lang. Das Auto plappert dann Dinge wie: "Biegen Sie links ab, um auf der Mühlenstraße zu bleiben". Besser wäre: "Folgen Sie der Vorfahrtstraße nach links." Das ist unmissverständlich und kürzer. Es gibt aber auch Navis, die in Situationen, die offensichtlich sind, einfach den Mund halten, etwa die von Apple auf iPhones vorinstallierte Karten-App.

Bei der Aufzählung all der Macken kam eines zu kurz: Das Fahren mit dem Tesla S 90D macht durchaus Freude. Die Menge der Schwächen erstaunt aber umso mehr, als viele davon rein Software-begründet sind und Tesla im Laufe der Jahre Updates teils im Monatstakt ausgeliefert hat – jedoch ohne die hier genannten Schwächen anzugehen. So muss man den Tesla S 90D wie einen sonderbaren Fahranfänger beaufsichtigen.

Was bleibt? Man könnte das Auto für 7500 Euro mit dem aktuellen "Autopilot 3" aufrüsten lassen. Tesla nennt die Option "Volles Potenzial für autonomes Fahren". Aber stressfreies Fahren geht noch viel preisgünstiger: einfach die Assistenten abschalten. Derweil kommen immer mehr Elektroautos auf den Markt, die Tesla zu mehr Qualitätsbewusstsein zwingen könnten, beispielsweise der neue Mercedes EQS.

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(dz)