Lebenswandel am Polarkreis: Deichtorhallen Hamburg stellen Ragnar Axelsson aus

Die Eiswüsten des Nordens sind das Zuhause von Ragnar Axelsson. Doch das Leben dort verändert sich. Er dokumentiert den Wandel in ausdrucksstarkem Schwarzweiß.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen

(Bild: Ragnar Axelsson)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Pia Parolin

Mit dem Betreten des Containers fühlt sich der Hamburger Frühling wie weggeblasen an. Man taucht in eine fremde Welt ein. Ragnar Axelssons Einzelausstellung im PHOXXI, dem temporären Haus der Photographie, zeigt eisige Landschaften des Nordens und berührende Porträts aus der Eiswüste. Die Räume sind unspektakulär, aber dem isländischen Fotografen gelingt es, dass der Besucher förmlich den eisigen Wind der Arktis im Gesicht spürt, so intensiv sind seine Bilder.

PHOXXI, das temporäre Haus der Photographie in Hamburg

(Bild: Pia Parolin)

c't Fotografie 3/24

Bis Juni werden in den Ausweichräumen neben den Deichtorhallen Fotos aus dem Leben der Menschen im hohen Norden gezeigt. Es ist die erste Retrospektive von Axelssons beeindruckenden Schwarzweiß-Fotografien.

Der Fotograf reißt die Betrachtenden aus dem städtischen Alltag heraus und lässt sie durch seine Schwarzweiß-Bilder in die Stille und Weite Grönlands, Islands und Sibiriens eintauchen. Über vier Jahrzehnte trug der Isländer unzählige Fotos schmelzender Eiswüsten und der dort lebenden Menschen zusammen. Eindringlich vermittelt er die Schönheit und Härte dieses besonderen Lebensraumes.

(Bild: Ragnar Axelsson)

Axelsson fokussiert sich darauf, Bewusstsein und Bewunderung für die nordischen Kulturen zu wecken. Landschaften, Menschen und Schlittenhunde stehen daher im Vordergrund. Er dokumentiert, wie die Erderwärmung und die rasante Schneeschmelze den Bewohnern des ewigen Eises ihre gewohnten Lebensgrundlagen entziehen.

Viele Fotos leben von einem feinsinnigen Minimalismus. Vielleicht bewirkt ihr unerwarteter und unkonventioneller Aufbau, dass der Betrachter genauer hinsieht. Häufig ist ein Mensch nur in einer Ecke zu erkennen, der Rest des Bildes wird von unendlicher Landschaft ausgefüllt. Die grobkörnigen Abzüge erinnern an historische Aufnahmen aus einer vergangenen, vielleicht noch heilen Welt.

Fotos von beeindruckender Nähe, oft unscharf, mit schrägem Horizont, zeigen die Gesichter der Menschen und Hunde. Die Kälte und die Entbehrungen eines Lebens unter solchen Bedingungen sprechen den Betrachtenden direkt an.

(Bild: Ragnar Axelsson)

Die bizarren Strukturen der Eiswüste sind erfüllt von einer malerischen, fast schon überwältigenden Schönheit. Sie lassen eine gewisse Sehnsucht nach Weite aufkommen, die aber schon im Folgebild jäh gebremst wird.

Ohne Inszenierung zeigt Axelsson die Einwohner der Kälteregionen. Er kennt ihre Geschichten, ging immer wieder auf die Menschen zu und lebte mit ihnen. Ihr Lebensrhythmus ist karg, aber harmonisch. Doch der Besucher weiß, dass dieses Leben nur noch wenige Jahrzehnte andauern kann. Das Eis zieht sich unwiederbringlich zurück. Die Jugendlichen wandern ab.

Ragnar Axelsson kämpft durch die Kraft von Fotos gegen den Klimawandel. Seine Bilder bewirken mehr als Worte. Sie ergreifen, erzeugen Nähe, verbinden den Besucher mit den Bewohnern der Arktis. Plötzlich ist diese Welt nicht mehr so fremd.

(Bild: Pia Parolin)

Axelssons Strategie ist erfolgreich: Seine Bilder sprechen Emotionen an. Man fühlt sich betroffen und erfüllt von dem unbedingten Willen, die Einmaligkeit dieser Landschaft und Kulturen zu erhalten. Tief berührt taucht man beim Verlassen der Ausstellung im Hamburger Frühling wieder auf. Die Blicke der porträtierten Menschen wirken noch lange nach.

Ausstellungsraum im Phoxxi

(Bild: Pia Parolin)

Ragnar Axelsson – Where the World is Melting

Zu sehen bis 18. Juni 2023 im Phoxxi, Hamburg.

(ppa)