Medica 2008: Medizin im Zeichen des Mitmach-Webs

Web 2.0 im Gesundheitswesen, Teletherapie und "Shared Care" sind die Trendthemen im Bereich der Informationstechnologie der weltgrößten Medizinmesse Medica, die vom 19. bis 22. November in Düsseldorf stattfindet.

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Von
  • Detlef Borchers

Web 2.0 im Gesundheitswesen, Teletherapie und "Shared Care" sind die Trendthemen der Medizinmesse Medica im Bereich der Informationstechnologie. Auf der vom 19. bis 22. November stattfindenden weltgrößten Medizinmesse sollen in Düsseldorf nützliche telematische Anwendungen das leidige Thema der elektronischen Gesundheitskarte verdrängen.

Derzeit liegt der 1,6 Milliarden Euro teure Basis-Rollout der elektronischen Gesundheitskarte auf Eis, weil das Angebot an zertifizierten Karten-Lesegeräte unzureichend ist. "Sie droht bereits veraltet zu sein, würde sie tatsächlich irgendwann einmal flächendeckend und umfänglich eingeführt", heißt es in einer Pressemeldung (PDF-Datei) der Medica. In dieser Situation müssen die Vorteile der Telemedizin anders vermittelt werden. Die Medica-Macher setzen deshalb auf das Web 2.0, das Mitmachnetz im Internet und das Prinzip AAL. Was Kritiker der Web 2.0-Szene mit "Andere Arbeiten Lassen" übersetzen, steht im medizinischen Bereich für "Ambient Assisted Living", für die Vorsorge wie die Nachbehandlung im "HomeCare" genannten häuslichen Bereich.

Dieser kann, das machte die "Medica Preview" in Hamburg deutlich, auch die Arbeitswelt umfassen. So präsentierte die Firma Biocomfort ihren Stress-Piloten, einen USB-Stick mit kabelgebundenem Messsensor für das Ohrläppchen. Mit ihm sollen die Stressdaten aller freiwillig teilnehmenden Arbeitnehmer auf dem Firmenserver gespeichert und vom Betriebsarzt beobachtet werden. Über den PC wird bei gestressten Mitarbeitern ein Programm gestartet, mit dem sie langsames und tiefes Atmen lernen können, bis sich das Coping ins Unterbewusstsein verlagert hat. Nach Darstellung von Biocomfort setzen bereits mehrere deutsche Unternehmen dieses betriebliche Gesundheitsmanagement ein. Dabei ist der Stress-Pilot für Biocomfort nur ein Vehikel, um die ganze Bandbreite von Anschlussmöglichkeiten zu präsentieren und das Hauptprodukt, den Health Manager SDK an den Entwickler zu bringen. Dabei handelt es sich um eine flexible Rahmenarchitektur, um Messdaten in Patientenakten zu übermitteln, etwa via Bluetooth zum Mobiltelefon und von dort via UMTS/GPRS zum Server, der die Akte hostet.

Der aktive Patient, der sich in Absprache mit dem Arzt in Informationsprozesse einbringt, und damit bewusst Teil einer Versorgungskette wird, ist nach Ansicht des ZVEI Elektromedizinische Technik der Grundbaustein von Medizin 2.0. Als weiterer Verband, der den 2.0-Trend unterstützt, präsentierte sich in Hamburg der Industrieverband für medizinische und mechatronische Technologien (Spectaris). Wenn Patienten aktiv beim Monitoring mitmachen, könnten schon mit einfachsten Systemen über zwei Milliarden Euro jährlich eingespart werden. Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise will sich Spectaris verstärkt für Leasing- und "ClickFee"-Modelle einsetzen, um Wege aus dem Investitionsstau zu finden. Anhand zahlreicher US-amerikanischer Beispiele wie Sermo, AskDrWiki oder CiteUlike warb Frank Ückert, Professor für medizinische Informatik an der Universitätsklinik Münster, für das Web 2.0 in der Medizin. Für ihn ist es ein gewaltiger Fortschritt, wenn sich etwa das US-amerikanische Center for Disease Control auf der Internetplattform Second Life engagiert und dort Fragen zur Übertragung von Sexualkrankheiten beantwortet.

Dass auch die Ärzte selbst von der Technik profitieren können, zeigte Robert Lacroix vom Asklepios Future Hospital in Hamburg-Barmbek mit einer Demonstration von "One IT+". Unter diesem Titel läuft ein MPLS-Netz, das im Vollausbau 13.000 Computer und 1.000 Server in 111 Asklepios-Einrichtungen verbindet. Dabei setzt Asklepios ausschließlich auf Microsoft-Technologie. Kernstück des Systems ist ein "Office Communicator" für Mail-, Chat- und Videokommunikation unter allen bei Asklepios angestellten Ärzten, komplett mit integrierter Schnittstelle zur voll digitalisierten Klinikbibliothek. Jeder freiwillig teilnehmende Arzt kann so auf das Wissen von 4000 Spezialisten zugreifen, die ihn bei der Befundung beraten oder eine Zweitmeinung abgeben. Dabei gibt der Arzt zunächst seine Diagnose oder sein Problem ein und bekommt eine Liste von Veröffentlichungen seiner Asklepios-Kollegen. Gleichzeitig zeigt der Communicator an, ob diese Kollegen anwesend und verfügbar sind. Mit einem Klick kann eine Beratung via Microsoft Live Meeting gestartet oder eine Mail abgesetzt werden. Der zentrale Effekt dieser Lösung, die bislang auf 65 Prozent aller Computer installiert wurde: Jeder Arzt ist ganz im Sinne von Web 2.0 Mit-Arzt und Berater für jeden anderen Arzt. Medizinische Hierarchien sind von der IT eingeebnet, der unantastbare Chefarzt ist ein Relikt vergangener Zeiten. (Detlef Borchers) / (pmz)