OHM: Verschlüssele dein Leben

"Observe. Hack. Make." So lautet das Motto des Hacker-Treffens, das vom 31. Juli bis zum 4. August in den Niederlanden stattfindet. Zu den zahlreichen Angeboten zählte am zweiten Tag unter anderem ein Vortrag zum Whistleblowing.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Sylvia Beckers

Nach einem verregneten Auftakt knallt die Sonne über dem weitläufigen Gelände, auf dem die OHM stattfindet. Nicht wenige Hacker sind am benachbarten Badesee zu sehen. Viele basteln in und vor den Zelten, die Minidrohnen fliegen. Besonders hübsch ist eine ausgestopfte Katze als Quadcopter, ein ebenso ausgestopfter fliegender Strauß ist da schon furchterregend. Auch das Programm des zweiten Tages war vollgestopft: Bis zu sieben Workshops liefen gleichzeitig in den Zelten, da fiel die Auswahl schwer.

Den wahrscheinlich besten Vortrag unter den vom Autor besuchten Workshops lieferten Jesselyn Radack und Thomas Drake ab. Ihr "Enemy of the State" war gewissermaßen ein Update zum Vortrag auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs, erweitert um die Fakten, die der Whistleblower Edward Snowden bis jetzt veröffentlicht hat. Zu Beginn des Vortrages verkündete Radack die gerade eingetroffene Nachricht, dass Snowden in Russland vorläufig Asyl erhalten hat. Dafür gab es großen Beifall. Zunächst beschrieb Jesselyn Radack, wie in den USA das Whistleblowing kriminalisiert wird. Aus einem "Whistleblower" wie Thomas Drake wird ein "Leaker" gemacht und dieser dann als gewöhnlicher Krimineller behandelt.

Thomas Drake erzählte aus seinem Leben, vom Aufwachsen mit einem Atari 800 bis zur Arbeit als elektronischer Krieger über Europa in einer EC-130H. Hier seien ihm erste Zweifel gekommen. Sie verdichteten sich, als er als Code Reviewer nur Teile eines Programms zu sehen und zu prüfen bekam, das später unter dem Namen Trailblazer bekannt wurde. Seine Versuche, innerhalb der NSA über dieses bedenkliche verfassungswidrige System zu sprechen, wurden ignoriert. Der für "firmeninterne" Whistleblower zuständige Fachmann der NSA soll bis heute bestreiten, jemals mit Drake gesprochen zu haben. Mit seiner Beschreibung der "sanften Tyrannei" des neuen Überwachungsstaates warnte Drake die Zuhörer wiederholt davor, die NSA zu unterschätzen. "Sie sind von der Idee besessen, alles zu wissen, was im Internet passiert. Sie haben absolut keine Hemmungen, jede Quelle anzuzapfen." Gegenüber der NSA reiche es nicht aus, nur die Mail zu verschlüsseln. Das zeige die Zusammenarbeit mit willigen TK-Anbietern und Service-Providern und Web-Firmen. Einzig Yahoo habe so etwas wie Widerstand gezeigt und zumindest die Auskunftsersuchen öffentlich gemacht. "Die NSA filtert nicht, sie saugt alles auf. Es wird immer wichtiger, dass die Menschen ihr gesamtes Leben verschlüsseln, das geht weit über die traditionelle Verschlüsselung hinaus."

Der Vortrag von Radack und Drake war nicht zuletzt deswegen beeindruckend, weil im Anschluss über eine Stunde intensiv mit dem Publikum diskutiert wurde und sich sehr viele nachdenkliche Stimmen meldeten. Üblicherweise erlauben die OHM-Regeln nur drei, vier kurze Fragen. Wo eigentlich der Unterschied zu China liege, wollte Ex-Cyberpunk John Gilmore wissen. Antwort: In China ist den Menschen bewusst, dass sie überwacht werden. Wo liegen die Grenzen der NSA? Antwort: Noch ist es für die NSA eine echte Herausforderung, auf der Ebene von Inhalten wie Sprache und Video mitsamt automatischer Übersetzung alles zu erfassen.

Über die Arbeit britischer Geheimdienste wie MI5, MI6 und GCHQ berichtete die ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiterin Annie Machon. Auch in Großbritannien gibt es Machon zufolge enge Verflechtungen zwischen den Geheimdiensten und großen Kommunikationskonzernen. In ihrer engagiert vorgetragenen freien Rede vertrat sie die Auffassung, dass die "carte blanche" ausgewechselt wurde. Hätten früher Geheimdienste bei problematischen Aktionen mit dem "Krieg gegen die Drogen" argumentiert, so würden diese heute durch den "Krieg gegen den Terror" begründet. Wenn es für die Zukunft Hoffnung geben solle, müsse jetzt gehandelt werden, um diesen "Krieg gegen den Terror" einzudämmen. Machon ist Autorin eines Buches über ihren Mit-Whistleblower und MI5-Agenten David Shayler, der die geplante Ermordung von Ghaddafi durch den MI5 enthüllte. Sie wurde nach dem Vortrag gefragt, warum es eigentlich in der heutigen Zeit so wenige europäische Whistleblower gebe, warum nur ein Amerikaner wie Edward Snowden den Mut aufgebracht habe. "Ich hoffe, sie melden sich noch zu Wort", antwortete Machon. (sybe)