Online-Migrationsmuseum wird zehn Jahre alt

Ein in Deutschland einmaliges reines Internet-Museum befasst sich mit der Geschichte von Zuwanderung und Integration. Herzstück sind Video- und Audio-Porträts.

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Bundesweit einzigartiges Online-Migrationsmuseum wird zehn Jahre alt

(Bild: Lebenswege)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Ira Schaible
  • dpa
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Industriekaufmann Tri Tin Vuong aus Landau in der Pfalz kam mit 13 Jahren als einer der vietnamesischen Boatpeople nach Deutschland. Monika Fettermann aus Rheinhessen wurde als Kleinkind mit ihrer Familie aus Schlesien vertrieben. Der preisgekrönte Bestseller-Autor Rafik Schami verließ seine Heimat Syrien Anfang der 1970er Jahre. 22 Biografien zugewanderter Rheinland-Pfälzer dokumentiert das virtuelle Migrationsmuseum "Lebenswege".

Das vor zehn Jahren gegründete Online-Museum gilt als eines der ersten digitalen Museen in Deutschland. Zudem ist es Fachleuten zufolge das einzige von einer Landesregierung im Internet initiierte Migrationsmuseum. Das bundesweit einzigartige Museum solle künftig multimedial und interaktiv weiterentwickelt werden, sagt Staatssekretärin Christiane Rohleder (Grüne) aus dem Integrationsministerium in Mainz.

Video- und Audio-Zeitzeugen-Porträts als Geschichtsvermittler sind das Herzstück des Museums. Neben den derzeit 22 Porträts können sich die Besucher durch acht virtuelle Sonderschauen und zwei Dauerausstellungen klicken. "Fluchtwege nach Rheinland-Pfalz" lautet der Titel der 2018 erarbeiteten Sonderausstellung. Multimedial erläutert sie, warum Menschen aus ihrer Heimat geflüchtet sind. 2019 wird eine Schwerpunktschau zum Thema "Demokratie und Migration" erarbeitet. "Lebenswege" ist vor allem eine Wissensplattform. Zielgruppe sind insbesondere junge Menschen, bei denen Verständnis und Empathie geweckt werden sollen.

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Über wenige Themen wird in Deutschland so kontrovers gestritten wie über die Migration. Wie sehr Einwanderung das Land bis heute geprägt hat, soll bald in einem neuen Museum erlebbar sein – für das es aber keine Ausstellungsräume braucht.

Von den 4,07 Millionen Menschen in Rheinland-Pfalz haben rund 920.000 einen Migrationshintergrund, betont Rohleder. Das Museum solle der Migration ein Gesicht geben. Es gehe darum zu zeigen, dass Migration und Integration seit Jahrtausenden der Normalfall seien und zum Erfolg Deutschlands maßgeblich beigetragen haben. Die Erfolge und Beiträge von Zuwanderern sollen sichtbar gemacht und so auch Vorbilder geschaffen werden.

Die Nutzer hätten seit Mitte 2010 über mehr als 200.000 verschiedene Computer-Adressen auf die Internet-Seiten zugegriffen, berichten die Macherinnen. Darunter seien viele Lehrer, die die Filme, Texte, Fotos, Dokumente und Grafiken in verschiedenen Klassen zeigen. Obwohl die Beiträge ausschließlich auf Deutsch sind, wurden virtuelle Besucher aus 78 Ländern festgestellt.

Seit 2011 seien insgesamt rund 380.000 Euro in das virtuelle Museum geflossen. Seit 2012 gehört die Veranstaltungsreihe "Lebenswege – vor Ort" dazu. Mit ihr werde eine Brücke von der virtuellen in die analoge Welt geschlagen: Wenn die Zeitzeugen aus dem Internet-Museum in Schulklassen gehen oder bei Fachtagungen und Workshops sprechen.

Rein virtuelle Museen eigneten sich gut für das Studium von Dokumenten, Unterlagen und Papieren, sagt Sylvia Willkomm vom Deutschen Museumsbund in Berlin. "Das ist eine super Möglichkeit, um in ein Thema einzutauchen." Die Interessenten könnten sich viel Zeit nehmen. "Bei Kunstwerken bekommt man dagegen irgendwann auch Lust, das Original zu sehen."

Der Vorteil des virtuellen Museums: "Der Raum ist nicht begrenzt", sagt Rohleder. Das Internet ermögliche eine nachhaltige visuelle Darstellung und Aufbereitung. So etwa bei der Dokumentation der Wanderausstellung "Das Russlands-Deutsche-Haus" als Dauerausstellung. Sie wurde mit Interviews und Evaluationsergebnissen angereichert.

Um die Geschichte der Arbeitsmigration in Rheinland-Pfalz geht es in der anderen Dauerausstellung. Die Sonderausstellungen befassen sich mit 200 Jahre Migration in Rheinhessen, 60 Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien sowie mit den 50. Jubiläen der Anwerbeabkommen mit Spanien, Griechenland, Marokko, der Türkei und Portugal.

Was bietet "Lebenswege" noch: In einem Dokumentarfilm mit dem Titel "Ludwigshafen – Meine Stadt" berichten zehn Menschen über ihre Erfahrung des Einwanderns, des Bleibens und über ihr Verhältnis zu der Industriestadt am Rhein.

Unter den Porträts finden sich auch der Leiter des Malteser Migrationsbüros Rheinland-Pfalz/Hessen, der Iraner Behrouz Asadi, sowie die Ärztin und Familientherapeutin Nihal Elnahrawy. Die Ägypterin betreut ehrenamtlich traumatisierte jugendliche Flüchtlinge. In einem Interview-Film tauschen sich die Medizinerin und der Sozialarbeiter über ihre Arbeit, das Leben in einem fremden Land und den Prozess der Integration aus, den beide aus eigener Erfahrung kennen. (bme)