Peter Schaar: Datenschutz verzögert Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht
Zwar wolle Deutschland schon seit 20 Jahren die Digitalisierung des Gesundheitswesens umsetzen, Föderalismus und viele Mitspieler verzögerten aber Ergebnisse.
Der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, hat in einem Interview erneut darauf hingewiesen, dass nicht der Datenschutz Fortschritte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland bisher verhindert hat. Vielmehr sieht Schaar Probleme durch die lange gewachsenen Strukturen im Gesundheitswesen und Hindernisse, die der Föderalismus mit sich bringt.
Er spricht sich zudem dafür aus, bei der Digitalisierung nach Lösungen zu suchen, die insbesondere denen Vorteile bringen, die mit dem digitalisierten Gesundheitswesen alltäglich zurechtkommen sollen: also etwa die Ärzteschaft.
Viele Köche, kein garer Brei
In dem Interview mit dem NDR erklärt Schaar, dass es neben föderalen Strukturen mit sich "überschneidenen Zuständigkeiten" außerdem in jedem Bundesland ein eigenes Landeskrankhausgesetz gebe, "wo die entsprechenden Regelungen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens noch einmal konkretisiert werden". Auch müssten viele verschiedene Interessengemeinschaften an einen Tisch gebracht werden. Etwa das Gesundheitswesen mit einer "altehrwürdigen Selbstverwaltungsstruktur", die Ärztekammern, Krankenkassen und Apothekerverbände.
Es sei ein mangelndes Management zu sehen. Der Bund habe sich zwar vor 20 Jahren bereits eingeschaltet, aber die Steuerung habe nicht funktioniert. So gibt es schon seit dem Jahr 2002 Planungen für die digitalisierte Medizin, die schon damals "weit vorangeschritten" sein – mit entsprechenden Gesetzesbeschlüssen. Der Wunsch, dass bis 2005 alles erledigt ist, sei aber nicht erfüllt worden. Das sähe man etwa am e-Rezept, das schon 2005 eingeführt sein sollte. Ob es 2023 flächendeckend komme, stehe in den Sternen. Im Gesundheitswesen sähe man, "dass viele, viele, viele Köche mitgewirkt haben, und der Brei ist bisher immer noch nicht gar". Die Verzögerungen lägen nur zu einem sehr geringen Teil am Datenschutz.
"Der große Wurf"
Schaar zufolge müsse der Datenschutz auch als Sündenbock herhalten, wenn "Menschen ihre Aufgaben nicht schaffen – aus völlig anderen Gründen". Zudem überhebe man sich in Deutschland offenbar. So erkennt Schaar für den öffentlichen Bereich, dass oft der "große Wurf" angestrebt würde; Leuchtturmprojekte.
Aus seiner Sicht könne man von der Digitalisierung des Gesundheitswesens in anderen Ländern lernen, müsse aber sehen, dass die Grundlagen teilweise sehr anders aussehen. Beispielsweise das fortschrittlicher wirkende Estland sei klein im Vergleich zu Deutschland und habe direkt "beim Punkt Null" nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein digitalisiertes Gesundheitswesen aufbauen können.
Rechtlich gibt es seit Einführung der DSGVO innerhalb der EU gleiche Vorgaben, so Schaar. Die DSGVO werde in Deutschland allerdings durch das Landes- und das Bundesrecht teilweise anders interpretiert, als es in europäischen Nachbarländern passiere, die bei der Digitalisierung schon wesentlich weiter sind. Datenschutz führe auch nicht dazu, dass größere Unternehmen ins Ausland abwandern. Die Bürokratie sei eher ein Problem.
Den Betroffenen nützen
Um im Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens Durchbrüche zu erreichen, wirbt Schaar dafür, insbesondere bei der Ärzteschaft Vertrauen hierfür zu schaffen, denn man könne "Digitalisierung nicht ohne die Betroffenen machen". Die Angehörigen im Gesundheitswesen müssten etwas von der "Digitalisierung haben", sie müsse ihnen auch nützen.
Seit 2016 leitet Peter Schaar die Schlichtungsstelle der Gematik, die sich mit Streitfragen rund um den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte beschäftigt.
Ab 2023 gilt die neue eAU. Welche Regeln für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelten, erklären wir in einer stets aktualisierten FAQ.
(kbe)