Problem fürs Standardmodell: Bislang präzisester Wert für Masse des W-Bosons

Nach jahrelanger Arbeit hat eine Forschungsgruppe den genauesten Wert für die Masse des W-Bosons öffentlich gemacht. Der wirft große Fragen auf.

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Das Tevatron

(Bild: Fermilab)

Lesezeit: 3 Min.

Bei der bislang genauesten Vermessung des W-Bosons ist ein Wert für die Masse des Elementarteilchens herausgekommen, der nicht zum Standardmodell der Teilchenphysik passt. Das haben die 400 Forscher und Forscherinnen jetzt öffentlich gemacht, die den gesamten Datensatz des vor 11 Jahren geschlossenen Teilchenbeschleunigers Tevatron ausgewertet haben. Statt des von den Theorien vorhergesagten Werts von etwa 80,357 GeV sind sie auf dabei auf 80,4335 ± 0,0094 GeV gekommen, also deutlich mehr. Gleichzeitig sei ihre Messung doppelt so genau wie die bislang präziseste Messung. Für das Standardmodell sei ihre Studie eine Herausforderung, schreiben sie noch.

Die bisherigen Messungen

(Bild: CDF collaboration)

Das W-Boson ist ein sogenanntes Eichboson und vermittelt mit dem sogenannten Z-Boson die schwache Wechselwirkung, eine der vier Grundkräfte der Physik. Nachdem seine Existenz bereits in den 1960er-Jahren vorhergesagt worden war, wurde es 1983 erstmals nachgewiesen. Schon ein Jahr später gab es dafür den Physik-Nobelpreis. Wie das Kernforschungszentrum CERN erläutert, ist das W-Boson elektrisch geladen und ändert die grundlegende Natur anderer Teilchen. So macht es aus Protonen Neutronen und löst die Kernfusion aus, was es unter anderem Sternen ermöglicht, zu leuchten. Die jüngsten ermittelten Werte für die Masse des W-Bosons hatten sich der Vorhersage des Standardmodells immer weiter angenähert, aber damit ist nun Schluss.

Geleitet wurde die bislang genaueste Vermessung des W-Bosons von Ashutosh Kotwal von der Duke University in North Carolina. Nachdem sein Team jahrelang mit verblindeten Daten daran gearbeitet hat, die Messungen zu präzisieren, hat es den ermittelten Wert erst in einem Zoom-Meeting im November 2020 erfahren. Für die Zugeschalteten sei es ein Schock gewesen. Weil sie aber vorher so genau gearbeitet hätten, stimme der Wert auf ein Hundertstel Prozent, sind sie sicher. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine statistische Anomalie handelt, liege bei eins zu einer Milliarde. Insgesamt seien in den Wert Messungen von 4,2 Millionen W-Bosonen im Tevatron eingeflossen. Ihre Studie deute an, dass es in der Teilchenphysik noch auf Jahre "spannende neue Entdeckungen" geben werde.

Für die jetzt im Fachmagazin Science vorgestellte Studie wurden Daten ausgewertet, die zwischen 1985 und 2011 am Tevatron gesammelt wurden. Der damals stärkste Teilchenbeschleuniger der Welt wurde vom Fermi National Accelerator Laboratory in der Nähe von Chicago betrieben. Auch wenn er seit mehr als zehn Jahren keine neuen Daten mehr sammelt, sind die Auswertungen noch lange nicht abgeschlossen. Das Forschungsteam um Kotwal sieht jetzt die theoretischen Physiker und Physikerinnen an der Reihe, um das Rätsel um den ermittelten Wert zu lösen. Sollte es auf ein bisher unbekanntes Teilchen zurückgehen, gebe es eine echte Chance, dass das noch entdeckt wird.

(mho)