SCO vs. Linux: to copy or not to copy

Die bereits früher bemühte Theorie der nicht-wörtlichen 1:1-Kopie rückt ins Zentrum der Klage von SCO wegen angeblich geklauten Source-Codes in Linux. Das Vorgehen der SCO-Investoren kommt einer Einigung mit IBM entgegen.

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Von
  • Detlef Borchers

"More matter, less art" -- mehr Inhalt, wen'ger Kunst - forderte William Shakespeare, der heute vor 440 Jahren geboren wurde. Im Streit zwischen der SCO Group und IBM um angeblich aus Unix System V entwendeten und in Linux benutzten Source-Code sind Fakten, weniger die Interpretationen gefordert. Heute ist der Stichtag, an dem die SCO Group die von IBM geforderten ausstehenden Beweise dem Prozessgegner überreichen muss. Schon jetzt ist absehbar, dass in diesem nichtöffentlichen Teil die Inhalte wieder einmal zu kurz kommen. In einer am 19. April vor Gericht eingereichten Stellungnahme zur Code-Prüfung erklärt Chris Sontag, Leiter der SCOsource-Abteilung, dass die Beweisführung nicht unbedingt Zeile für Zeile erfolge:

"Because some of this copying involves non-literal copying (i.e., structures, sequences and organization of UNIX System V that appear in linux), many of the files are identified in their entirety."

Die schon in der SCO-Klage gegen den Autoteile-Distributor Autozone bemühte Theorie der nicht-wörtlichen 1:1-Kopie rückt damit in das Zentrum der Klage von SCO gegen IBM. Sie ist ausschlaggebend für die Forderung des Investors Baystar an die SCO Group, das wenig ertragreiche Geschäft der Softwareproduktion sein zu lassen und sich ganz auf die Prozesse um das geistige Eigentum am vorhandenen Source-Code zu konzentrieren. Übereinstimmungen sind schwerer beweisbar als die direkte 1:1-Kopie bestimmter Codezeilen, sind keine als Verfahren festgeschriebenen Patente und können sicher nicht mit einem Copyright versehen werden. Dennoch sind sie schon bei der Softwareproduktion vor US-Gerichten geltend gemacht worden. Im Falle von SCO kommt erschwerend hinzu, dass das Konzept der nicht-wörtlichen 1:1-Kopie auf Unix angewendet wird, auf ein Betriebssystem, dessen Aufbau mit seinen Konzepten und Strukturen seit über 20 Jahren öffentlich gelehrt wird.

Wird dem Vortrag von SCO vor Gericht gefolgt, dann droht der Softwarebranche großer Schaden. Die nicht-wörtliche 1:1-Kopie, die allgemein den Aufbau und die Struktur einer Software oder die Organisation und Beziehung der Dateien als Beweis ernst nimmt, entspricht den "Look and Feel"-Prozessen früherer Jahre, die große Firmen wie Paperback Software ruinierten. Die 300 Millionen Codezeilen von Linux, die Chris Sontag in seiner Stellungnahme den 400 Millionen von Unix gegenüberstellt, spielen dann nur eine untergeordnete Rolle, die Suche nach der 1:1-Kopie wird gegenstandslos. Sieht man einmal davon ab, dass die Darstellung von Chris Sontag fehlerhafte Datierungen enthält und mit dem von Sontag geschilderten Abstellen von Entwicklern aus der laufenden Produktion zum Zwecke der Code-Prüfung auch noch eine Zuwiderhandlung gegen IBM-Auflagen vor Gericht dokumentiert wird, so muss die Frage gestellt werden, wie IBM reagiert.

In den letzten Tagen hat sich abgezeichnet, dass der Risiko-Investor Baystar mit dem Verlauf des Verfahrens unzufrieden ist. Baystar hat zusammen mit der Royal Bank of Canada 50 Millionen Dollar in die Prozessmaschinerie gesteckt und alles auf den Star-Anwalt David Boies gesetzt. Die Ankündigung von Baystar, dass man das Investment (20 Millionen) nicht abziehen werde, wenn sich SCO in Zukunft auf das Kerngeschäft der Klage um das geistige Eigentum konzentriert, hat den Kurs der SCO-Aktie in die Höhe getrieben. In allen von Baystar veröffentlichten Stellungnahmen wird auf die Rolle von David Boies verwiesen, der den Prozess für SCO gewinnen soll. Boies ist über die landesweit bekannte Rechtsanwaltskanzlei Boies, Schiller & Flexner direkt an der SCO-Group beteiligt. Diese wiederum hat dem mit Baystar und der Royal Bank of Canada geschlossenen Investment-Vertrag zugestimmt, kennt also die Druckmittel, die Baystar zur Beschleunigung des Verfahrens einsetzt, etwa gut versteckte Ausstiegsklauseln aus dem Investment.

Rechtsanwaltskanzlei und Risikoinvestor eint das Interesse am "Quick Flip", möglichst schnell die Anteile der an der SCO Group mit einem guten Gewinn zu verkaufen. Aus diesem Grunde ist ein außergerichtlicher Vergleich mit IBM der nächste Schritt, das Geschäft mit dem geistigen Eigentum zu forcieren. Der von Baystar geforderte Austausch des Managements bei SCO ist ein Schritt zu diesem Vergleich, der von SCO noch abgelehnt wird. So erklärte SCO-Sprecher Blake Stowell gegenüber eWeek, man werde sich notfalls mit den Geldern von Baystar gegen Baystar zur Wehr setzen.

Nun ist IBM am Zuge. Die Rechtsanwälte des Konzerns können darauf drängen, dass SCO mit der Definition der nicht-wörtlichen 1:1-Kopie die Antwort auf die richterliche Anordnung schuldig geblieben ist, die inkriminierten Codezeilen zu nennen. Sie können weiterhin die Strategie verfolgen, das gesamte Verfahren einstellen zu lassen. Die Controller berechnen unterdessen sicher in verschiedenen Szenarien, ob ein Vergleich mit SCO angesichts der Straffungsversuche von Baystar nicht günstiger kommt. Es wäre nicht das erste Mal, dass IBM ein groß aufgestelltes Gerichtsverfahren in aller Stille mit einem preiswerten Vergleich beilegt. Aus den düsteren Kapiteln der deutschen Geschichte sei an die Klage gegen IBM als Rechtsnachfolger der Dehomag erinnert, bei der in einem unauffälligen Settlement die Ansprüche der Anwälte und Klagespezialisten bedient wurden.

Zu den Entwicklungen im Streit zwischen SCO, IBM und der Open-Source-Gemeinde siehe den Artikel auf c't aktuell (mit chronologischer Linkliste zu Beiträgen auf heise online und aus Technology Review und der c't):

(Detlef Borchers) / (jk)