Silicon Valley: Warum die Bank der Start-ups scheiterte – und wie es weitergeht

Wer über die Silicon Valley Bank redet, die im Frühjahr in die Pleite geriet, muss über Klumpenrisiken sprechen. Wie konnte das der Tech-Branche passieren?

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Firmenschild auf dem Grundstück des Hauptquartiers der Silicon Valley Bank in Santa Clara, US-Bundesstaat Kalifornien.

(Bild: Sundry Photography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.

Ein Finanzhaus, (fast) alle Start-ups. So oder so ähnlich ließ sich das Geschäftsmodell eines ganz besonderen Geldinstituts beschreiben, das am 17. Oktober 1983 an den Start ging. Die drei Gründer Roger Smith, Bill Biggerstaff und Robert Medearis, selbst aus der Bankbranche (Wells Fargo, Bank of America) und von der zentralen Uni der Region (Stanford) kommend, hatten eine Marktlücke ausgemacht. Ausgerechnet in der High-Tech-Region Silicon Valley fehlte nämlich eine Bank, die sich auf junge, innovative Unternehmen ohne erprobtes Geschäftsmodell konzentrierte. Also gründeten sie die Silicon Valley Bank (SVB) – angeblich, nachdem sie bei einem Pokerspiel auf die Idee gekommen waren.

Die drei trafen schnell einen Nerv. War es Neugründungen zuvor schwer gefallen, trotz hoher Investitionen bekannter Risikokapitalgeber (Venture Capitalists, VCs) überhaupt ein Bankkonto zu erhalten, freute man sich nun über "seine" Bank, die SVB. Das Institut wuchs schnell. Neben der Spezialisierung auf das Unternehmensgeschäft mit Start-ups betreute man auch deren Mitarbeiter, verhalf ihnen zur Hypothek fürs Häuschen oder verkaufte Anlageprodukte. Das war äußerst lukrativ, denn seit Beginn der Achtzigerjahre lief die Start-up-Welt – mit kurzen Unterbrechungen – wie am Schnürchen. Firmen wie Apple oder Intel erhielten zunächst Risikokapital und gingen dann mit explosivem Gewinn an die Börse. Und das war erst der Anfang. Es gab den Biotechboom und die Dot-Com-Blase, das Web 2.0 und den Krypto-Hype. Zwar alles stets zyklisch mit dem ein oder anderen Börsenabsturz, doch die SVB schwamm meistens oben.

"Die Silicon Valley Bank hat über die Jahre, aber auch dank ihrer beliebten Position, ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut und daher sehr gute Einblicke in Start-ups gehabt. Diese Branchen-Insights haben sich ausgezahlt, denn man konnte schnell, effizient und unkompliziert agieren", sagt Christian Nagel, Partner und Co-Gründer des deutschen VCs Early Bird, der die Szene seit Jahrzehnten kennt. "Dazu kamen die niedrigen Gebühren und das Venture-Debt-Angebot der SVB, das vorsah, bei einer bestehenden Kontobeziehung mit Einlagen einfacher an Mittel zu kommen. Alles in allem also ein gutes Angebot, das dann schnell vergessen ließ, dass man nicht alles auf eine Karte setzen sollte – schon gar nicht die Finanzmittel."

Vor dem Absturz kam dann der Höhenflug. In der Corona-Pandemie ab 2019 lief alles anders, als man eigentlich erwartet hätte. Statt einer massiven systemischen Krise passierte in der Tech-Branche das Gegenteil. Niedrigzinsen und Investitionsprogramme der US-Regierung sorgten für einen neuerlichen – und beispiellosen – Boom der Tech-Industrie im Silicon Valley und anderswo. Während die Leute im Home Office saßen, um sich vor dem Virus zu schützen, wurden milliardenschwere Risikokapitaldeals getätigt. Vor der Webcam im Zoom-Call wurde es möglich, sich eine Finanzierung zu holen. Die volldigitale Welt schien erreicht. VCs kämpften geradezu um die jungen Firmen – und bei der SVB schwollen die Konten an. "Die Bank hatte einen Marktanteil von fast 50 Prozent als Banking-Partner für VCs, also Gelder von Investoren und auch für Start-ups, die ihr Cash zum Überleben und Wachsen dort deponiert hatten", sagt Nagel.

Doch was hoch fliegt, muss irgendwann landen – und das leider nicht immer sanft. Das Ende der SVB kam unerwartet. Mit dem Auslaufen der Pandemie stieg die Inflation, in Europa wie in den USA. Fehlende High-Tech-Komponenten, Fachkräftemangel und Flucht von Mitarbeitern in andere Branchen, dann die schnell und hart gestiegenen Zinsen der US-amerikanischen Notenbank. Investoren flüchteten sich in Anleihen, die Geldquellen des Risikokapitals begannen, zu versiegen – die VCs schauten bei jungen Firmen deutlich genauer hin. Dann brach schließlich eine echte Krise aus: Start-ups gingen über den Jordan oder wurden billig aufgekauft. Big-Tech-Konzerne wie Meta, Google, Microsoft oder Amazon entließen Zehntausende. Gleichzeitig fragte man sich in der Zentrale der SVB, wie das alles weitergehen sollte.

Dort sorgte nun die eigentlich konservative Strategie, das viele von den Jungefirmen eingesammelte Risikokapitalgeld in langfristig laufende US-Staatsanleihen, sogenannte Treasuries, anzulegen, für ein Problem. Die Treasuries verloren, weil sie noch zum Niedrigzinssatz gekauft worden waren, rapide an Wert. Das heißt: Sie sind zwar keineswegs wertlos, doch erst bei Erreichen ihres Laufzeitendes gibt es das angelegte Geld samt Zins zurück. Will man die Anleihen vorher loswerden, muss man Kursabschläge hinnehmen. Und genau das passierte der SVB, die mit massiven Kapitalabflüssen zu kämpfen hatte, weil Start-ups Pleite gingen oder ihr Risikokapital verbrannten und in der Krise nicht mehr durch neue Investments auffüllen konnten. Die SVB musste Teile ihres Treasuries-Portfolios mit Milliardenverlust verkaufen. Das wurde bekannt. Sie verhielt sich bei der Kommunikation ungeschickt. Schnell machten Gerüchte die Runde, die Bank könnte fallen. Der Kurs rutschte ab.

Alles, was danach kam, war ein Selbstläufer, mit Twitter als Brandbeschleuniger. Große VCs – darunter die Firma des Facebook-Investors Peter Thiel – teilten ihren Start-ups mit, sie sollten ihr Geld möglichst schnell aus der SVB abziehen. Innerhalb von nicht einmal zwei Tagen löste das einen massiven Bankrun aus – der wohl schnellste aller Zeiten. Am 10. März 2023 war das Ende gekommen: Die US-Einlagerungssicherung FDIC übernahm. "Die VCs haben hierbei ebenso Fehler gemacht wie andere Beteiligte", sagt Risikokapitalgeber Nagel. "Zum einen haben wir ebenso wie die Start-ups die Gefahr unterschätzt, was mit der Hausbank passiert, wenn die Zinsen steigen. Wir haben uns zudem lange auf der Sicherheit der Branche ausgeruht und Diversifikation von Konten als vulnerablen Punkt vernachlässigt. Dass das Federal Reserve System der USA so lange das eindeutige Missmanagement der SVB nicht adressiert hat, spielt hier natürlich mit rein – es hat die Scheinsicherheit verstärkt."

Natürlich haben die VCs gegenüber ihren Portfolio-Unternehmen und Investoren eine Verantwortung. Die sei im März äußerst unsanft mit der Geschwindigkeit der Nachrichtenverbreitung kollidiert. "Da war nicht viel Zeit zum Entwickeln verschiedener Strategien und Szenarien – denn bei einem Bank Run möchte niemand der Letzte sein", sagt Nagel. Nach der Übernahme durch die FDIC war die Panik aber längst nicht vorbei. Der enorm hohe Marktanteil der SVB sorgte dafür, dass zahllose Tech-Firmen – darunter auch etablierte Namen wie der Settopboxanbieter Roku, der E-Commerce-Anbieter Etsy oder das Metaverse-Unternehmen Roblox – zunächst nicht wussten, ob sie noch ihre Mitarbeiter bezahlen können. Denn pro Unternehmen waren nur 250.000 US-Dollar besichert – oft viel weniger, als auf den Konten lagerten. Es dauerte Tage, bis sich die US-Regierung entschloss, nicht nur den Mindestsatz der FDIC zu zahlen, sondern die gesamten Guthaben. Dafür müssen die SVB-Aktionäre bluten, inzwischen übernahm die First Citizens Bank das Ruder. Der Investment-Banking-Arm der SVB geht, so beschloss es ein Insolvenzrichter, für 100 Millionen Dollar zurück an deren Gründer, nachdem die SVB davor 2019 knapp das Dreifache gezahlt hatte.

Kam das Silicon Valley also noch mit einem blauen Auge davon? Noch ist die Stimmung angespannt. Und Europa dürfe sich nicht in Sicherheit wiegen, meint VC-Veteran Christian Nagel. "Wir dürfen nicht vergessen, dass der Crash der SVB der zweitgrößte der amerikanischen Bankengeschichte gewesen ist. Es ist daher fair zu sagen, dass sowas nicht alle Tage vorkommt. Gleichzeitig ist auch die Credit Suisse ein gutes Beispiel dafür, dass folgenschwere Managementfehler und Versagen der Aufsicht auch in Europa passieren können."

(bsc)