Skepsis gegenüber TETRA-Erweiterung

Die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation soll von der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation abgelöst werden. Dieser Trend, der auf dem TETRA World Congress in Singapur deutlich wurde, findet nicht überall Zustimmung.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation soll von der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation abgelöst werden. TETRA-Systeme mit Videounterstützung sollen die Arbeit der Sicherheitsbehörden revolutionieren. Dieser Trend, der auf dem TETRA World Congress in Singapur deutlich wurde, findet nicht überall Zustimmung.

In einer Podiumsdiskussion über die Zukunft von TEDS, der TETRA-Erweiterung um Datendienste, und die immer wieder beschworene Integration von Video kamen auch kritische Stimmen zu Wort. Dirk Kretzschmar, Geschäftsführer von Rohde und Schwarz warnte davor, im Videoeinsatz ein Allheilmittel zu sehen, für das bei künftigen TEDS-Erweiterungen nur neue Frequenzen im Frequenzspektrum freigegeben werden müssten. Er verglich die Video-Euphorie mit der Hochstimmung zur Versteigerung der UMTS-Lizenzen im Jahr 2000. Auch damals seien mehr die Techniker als die Endbenutzer von den neuen Produkten begeistert gewesen. Wer Video fordere, müsse sich auch überlegen, wie sicherheitskritisch diese Daten wirklich sind und sie gegebenenfalls über eine kostengünstigere Infrastruktur transportieren. Auch müsse man sich überlegen, ob ein Video wirklich den kurzen Lagebericht eines erfahrenen Einsatzleiters vor Ort ersetzen kann und nicht die Gefahr bestehe, dass Leitstellen mit Videos überflutet werden.

Die finnischen Erfahrungen mit TETRA trug Kari Juntilla vor, Leiter der finnischen Polizeihochschule. Als im September 2008 ein Amokläufer im finnischen Kauhajoki zehn Menschen erschoss und gleichzeitig in der Nähe der Stadt eine mittelgroße Fabrik niederbrannte, bestand das finnische TETRA-System VIRVE seine Bewährungsprobe. Während alle Rettungskräfte und die Polizei mit Sprache und SDS (Textnachrichten) einwandfrei kommunizieren konnten, musste jedoch die Datenkommunikation gedrosselt werden. Dies traf vor allem die Energieversorger, die ähnlich wie im schwedischen Rakel-System die TETRA-Infrastruktur zur SCADA-Kommunikation nutzen. TEDS soll hier für Entlastung sorgen. Im Mai dieses Jahres startete VIRVE zusammen mit EADS den Test der neuen Technik. Etwas früher begann Norwegen zusammen mit Motorola, die TEDS-Kommunikation in seinem Nödnett einzuführen. Erfahrungsberichte aus den skandinavischen Installationen prägten den letzten Tag des TETRA-Kongresses.

Das VIRVE-Netz mit 1200 Basis-Stationen und 100.000 Benutzern versorgt in Finnland Polizei, Rettungsdienste und die Grenzpolizei, die eine 1200 km lange Schengen-Außengrenze zu Russland kontrolliert. Für die Sicherheit der 5,3 Millionen Finnen wurden bei VIRVE 20 Millionen Euro ausgegeben. Ein vergleichbares Netz auf Basis der GSM-Technik hätte 81,7 Millonen Euro gekostet. Im Unterschied zu anderen Installationen kommunizieren die Sicherheitsdienste in Finnland hauptsächlich mit SDS-Nachrichten. Durchschnittlich 4 Millionen SDS werden pro Tag vom System verarbeitet, daneben laufen rund 700.000 Gruppenrundrufe pro Woche auf. In diesem System die Datenkommunikation via TEDS auszubauen, bietet Juntilla zufolge vor allem zwei Vorteile. Videoübertragungen und Echtzeit-Positionsdaten führen dazu, dass neben den Einsatzkräften vor Ort in der Leitstelle ein virtueller "dritter Mann" in die Operation eingebunden werden kann. Außerdem habe sich durch TEDS die Zusammenarbeit mit privaten Wachdiensten erheblich verbessert.

Auch im norwegischen System habe sich TEDS bewährt, berichtete Nick Smye von der Beratungsgesellschaft Analysys Mason. TEDS sei dabei vor allem beim Alarmierungsdienst mit der Option "Full Callout" nützlich: Rettungskräfte werden alarmiert und müssen per SDS, Sprachantwort oder E-Mail den Alarm quittieren und ihre Einsatzbereitschaft signalisieren. Geschieht das nicht, versucht der Dienst im Fallback-Modus, die Kräfte über einen anderen Kommunikationskanal (meistens E-Mail) zu kontaktieren. Diese abgesicherte Variante unterscheidet sich vom "Single Callout", der in Deutschland zum Einsatz kommt und keinen Rückkanal bietet. Für diese Variante wird Smye zufolge eine TEDS-Spezifikation geschrieben, die im Dezember 2010 verabschiedet werden soll. Smye bemängelte in seinem Vortrag generell das Fehlen praxistauglicher Hardware. Derzeit eingesetzte "Pager" seien zu kompliziert zu bedienen und müssten spätestens nach zwei Tagen aufgeladen werden. Gerade für freiwillige Einsatzkräfte (wie Feuerwehr und THW in Deutschland) sei dies unzumutbar. Die Hoffnung bleibe, dass die dritte Gerätegeneration in ein, zwei Jahren mit akzeptablen Batteriezyklen aufwarten werde. (anw)