Street-Fotografie: Interview mit Eric Kim

Als Eric Kim mit 18 Jahren anfing, Menschen auf der Straße zu fotografieren, rechnete er mit Prügel und fürchtete, Ärger mit der Polizei zu bekommen. Heute weiß er: Die meisten Menschen freuen sich, wenn man Sie fotografiert.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Daniela Zinser
  • seen.by

Mit 18 Jahren hat Eric Kim aus Los Angeles angefangen, Menschen auf der Straße zu fotografieren. Damals hatte er Angst, erstmal verprügelt zu werden oder Ärger mit der Polizei zu bekommen. Inzwischen hat er erkannt: Die meisten Menschen freuen sich, wenn sie fotografiert werden. Die richtige Herangehensweise, die ideale Ausrüstung, das beste Motiv – davon erzählt Eric Kim in seinem Blog und bei Workshops, die der international bekannte Fotograf gibt. Die Kurse führen den 25-Jährigen und seine Kamera um die Welt, etwa nach Dubai, Hong Kong, Chicago, Toronto, Istanbul, Bangkok, Kyoto und Berlin. Unsere Kollegin Daniela Zinser von seen.by hat ihn getroffen.

Downtown LA 2011

(Bild: Eric Kim)

Herr Kim, Street Photography, das heißt: Raus auf die Straße, schnelles Bild eines Fremden geschossen, vielleicht ein Danke, fertig. Um was geht es dabei eigentlich?

Kim: Es geht darum, im Alltäglichen das Wunder, die Schönheit und manchmal auch die düsteren Seiten des Mensch-Seins zu finden. Da die Fotos meist heimlich geschossen werden, wirken sie viel authentischer und für den Betrachter ist es leichter, eine emotionale Verbindung zu dem Dargestellten aufzubauen. Die besten Street-Photography-Fotos sind die, die dich direkt ins Herz treffen.

Wie gehen Sie auf die Leute zu? Fragen Sie nie um Erlaubnis?

Kim: Normalerweise nicht. Ich gehe hin, schieße ein Foto, lächle und sage Danke. Manchmal plaudere ich noch mit den Leuten. Die meisten reagieren positiv, weil sie merken, dass ich kein Paparazzo oder Stalker bin. Wenn ich allerdings schon vorher fürchte, jemand könnte negativ reagieren, frage ich, ob ich fotografieren darf, und erkläre, warum ich das gerne tun möchte. Wegen des farbenfrohen Outfits oder der tollen Accessoires oder weil sie ein interessantes Gesicht haben. Die meisten fühlen sich geschmeichelt. Es kommt sehr auf die eigene Körpersprache an, du musst selbstbewusst und überzeugt auftreten. Wenn du nervös und zappelnd hingehst, werden die meisten nein sagen.

Flight Paris, 2011

(Bild: Eric Kim)

Gab es auch negative Erfahrungen?

Kim: Klar. Manche versuchten, mir die Kamera wegzunehmen. Es gab auch schon welche, die die Polizei geholt haben. Aber in den meisten Städten ist es absolut legal, Fotos von Menschen auf der Straße zu schießen. In Australien stand ich eine halbe Stunde lang neben einer Frau und wartete auf die Polizei, die dann nur sagte: Der darf das. In Toronto hat ein alter Asiate auf dem Fahrrad mir eine Art Karate-Handkantenschlag in den Nacken gegeben. Aber das tat ihm wohl mehr weh als mir.

Was suchen Sie auf der Straße?

Kim: Meist habe ich ein übergeordnetes Thema, im Moment sind das Menschen in Anzügen. Ich selbst war einer von ihnen, hatte eine tolle Stelle in einem Medienunternehmen. Aber der Druck wurde immer größer, produktiver zu sein, schneller aufzusteigen, mehr Geld zu verdienen. Als ich dann entlassen wurde, fühlte ich mich frei. Wenn ich jetzt Leuten im Anzug begegne, sehe ich ihre Sorgen und fotografiere sie in diesen Momenten von Traurigkeit und Melancholie. Ich habe Soziologie studiert und mein Ziel ist es, Fotos zu machen, die etwas über die Gesellschaft aussagen. Ich hoffe, dass meine Bilder auf eine Art verändern, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen.

Elegance Seoul, 2009

(Bild: Eric Kim)

Und wenn gerade keiner im Anzug da ist?

Kim: Dann ziehe ich mit meiner kleinen Kamera wie ein Flaneur durch die Straßen. Ziellos, bis etwas meinen Blick auf sich zieht. Meist ist das ein Ausdruck im Gesicht oder in der Haltung eines Fremden. Oder es ist der entscheidende Moment, in dem alles passt, etwa ein Paar am Flughafen, das sich nach langer Zeit umarmt und ganz in diesem Augenblick versinkt. Ich habe meine Kamera immer dabei, denn die besten Gelegenheiten entstehen an ganz normalen Orten, beim Gemüsehändler, in der Reinigung.

Sie haben in den meisten großen Städten weltweit fotografiert – welches war die beste für Street Photography?

Kim: Ich habe Paris oder Tokyo immer romantisiert und Los Angeles, meine Heimatstadt, für sehr langweilig gehalten. Aber nach zwei Jahren Reisen merke ich, dass ich woanders der Tourist bin und eher Klischee-Fotos mache. Los Angeles kenne ich so viel besser und ich denke, meine besten Aufnahmen sind dort entstanden. Aber es gibt zwei Städte, die völlig unterschätzt sind: Beirut, da denken alle, es sei gefährlich und voller Terroristen. Quatsch, es ist einer der freundlichsten Orte der Welt mit einer starken Street-Photography-Community. Ebenso Manila auf den Philippinen. Es ist warm, sonnig, die Menschen sind es ebenso. Ich fühlte mich sehr sicher dort.

Face Tokyo, 2011

(Bild: Eric Kim)

Und welche Stadt geht gar nicht?

Kim: Die gibt es nicht. Aber es gab zwei Orte, an denen ich echt Probleme hatte. Seoul und Tokyo. Das liegt daran, dass ich als koreastämmiger Amerikaner überall sonst wie der typische asiatische Tourist aussehe und deshalb mit so ziemlich allem durchkomme. Aber dort sah ich wie ein Einheimischer aus. In Tokio beschimpften mich welche wütend auf Japanisch – und ich konnte ihnen nicht verständlich machen, dass ich kein Japaner bin. In Seoul fühlte es sich sehr seltsam an, jemanden zu fotografieren, der wie mein verärgerter Onkel aussah.

Sie haben auch in Berlin fotografiert. In Deutschland ist es nicht so einfach mit den Aufnahmen ohne Erlaubnis...

Kim: Ich war vorher auch etwas besorgt wegen der doch recht strengen Gesetze. Aber einige Fotografen aus Berlin erklärten mir, das Gesetz habe ziemlich viele Grauzonen. Man darf fotografieren, aber die Bilder nicht ohne Erlaubnis publizieren. Und bei Szenen mit mehreren Menschen ist es gar kein Problem. Ich habe die Berliner als sehr offen und freundlich wahrgenommen. Sie ließen sich gerne fotografieren.

Gibt es für Sie eine moralische Grenze der Street Photography?

Kim: Ich vermeide es, notleidende Menschen zu fotografieren. Die Frage ist immer: Schieße ich ein Foto, um auf die sozialen Probleme aufmerksam zu machen und damit etwas zu verändern – oder geht es mir um ein interessantes, starkes Bild? Ich fürchte, meistens träfe das letztere zu, also lass ich es lieber. Oder ich versuche, diese Menschen in einem anderen Licht zu zeigen: Lächelnd, voller Kraft, voller Leben, statt traurig und elend.

Hollywood, 2011

(Bild: Eric Kim)

Wie entscheiden Sie, welches Foto sie behalten?

Kim: Bei Street Photography ist es schwer, ein Foto zu schießen, das die Zeit überdauert und in Form wie Inhalt stark ist, weil du beides so wenig kontrollieren kannst, weder, was im Hintergrund ist, noch wie der Dargestellte sich verhält. Normalerweise mache ich um die tausend Fotos pro Monat und wenn ich ein richtig gutes Bild kriege, bin ich froh. Wenn es ein herausragendes Bild pro Jahr ist, bin ich glücklich.

Wie entwickeln Sie Ihren Stil?

Kim: Stil ist für mich eine Mischung aus den ästhetischen Aspekten und der Art, die Welt wahrzunehmen. Ich fotografiere nur noch mit Farbfilm, meiner Leica MP und derselben 35-mm-Weitwinkel-Linse, die zwingt mich, näher ranzugehen, dadurch entsteht auch eine emotionale Nähe. Ich verwende viel Blitz, das gibt den Fotos satte Farben und einen gewissen Knalleffekt. Das ist das Ästhetische. Was die Wahrnehmung anbelangt: Ich bin mehr Soziologe als Fotograf. Die Kamera ist mein Instrument, um die Gesellschaft zu erkunden, zu sezieren und zu analysieren – und ich würde gerne viel an ihr ändern. Mir geht es um Konsum, Globalisierung, die Schattenseiten des Kapitalismus.

Mumbai, 2011

(Bild: Eric Kim)

Warum haben Sie sich entschieden, nur noch mit Farbfilm zu fotografieren?

Kim: In Tokio haben mir Freunde unbedingt geraten, das mal auszuprobieren. Und es hat mich gepackt. Nicht zu wissen, was herauskommt, die Filme manchmal erst Wochen später zu entwickeln, das ist so spannend. Und die Fotos haben mehr Struktur und Tiefe. Ich habe gar keine Digitalkamera mehr.

In welcher Situation würden Sie gerne von einem Fotografen erwischt werden?

Kim: Während ich einen Fremden fotografiere, mich gut mit ihm unterhalte. Er ist dadurch gut drauf, ich bin dadurch gut drauf. Nichts macht mich glücklicher als den Leuten, die ich fotografiere, ein gutes Gefühl zu geben und sie zum Lächeln zu bringen.

Das Interview führte Daniela Zinser für seen.by im März 2013. Dort finden Sie auch weitere Bilder zum Thema People-Fotografie. (keh)