zurück zum Artikel

Studie: Kein Zusammenhang zwischen Web-Angeboten und Zeitungssterben

Gerald Himmelein

Eine britische Studie kann keine direkte Relation zwischen fallenden Druckauflagen und steigenden Online-Zugriffszahlen von Tageszeitungen finden.

Zwar sinken die Auflagenzahlen der britischen Tageszeitungen weiterhin, doch lasse sich keine direkte Relation zu den Zugriffen auf die Online-Angebote derselben Medien beweisen, behauptet eine neue Studie [1]. Darin kommt Jim Crisholm zu einer ganz anderen Schlussfolgerung: Erfolgreiche Web-Angebote seien auch auf Papier erfolgreich.

Mediengrößen wie Robert Murdoch [2] und Mathias Döpfner [3] polemisieren seit Monaten, die kostenlosen Online-Webangebote von Zeitungen und Zeitschriften würden dazu führen, dass ihre Print-Verbreitung abnehme. Der Erosion der gedruckten Auflagen müsse man mit Gesetzen und kostenpflichtigen Angeboten entgegentreten. Den Worten folgen bereits Taten: Die britische Tageszeitung The Times verlangt seit Mitte des Jahres [4] Geld für den Zugriff auf ihr Online-Informationsangebot; die New York Times will im kommenden Jahr nachziehen [5].

Crisholm hat im Auftrag des "Guardian" die jüngsten gemeldeten Auflagenzahlen britischer Zeitungen analysiert, die dem Audit Bureau of Circulations [6] (ABC) gemeldet wurden. Demnach gingen die Auflagen der Tageszeitungen gegenüber dem Vorjahr um 5,3 Prozent zurück; bei den Sonntagsausgaben betrug der Verlust sogar 6,7 Prozent. Die Online-Zugriffe steigen aber mitnichten in einem vergleichbaren Maßstab – weder auf der Ebene einzelner Zeitungen oder im Blick auf die Gesamtverbreitung.

Die Studie hebt besonders hervor, dass die Web-Besucher der Zeitungen The Guardian, Daily Telegraph und The Independent die Zahl der Print-Leser um ein Vielfaches übersteigen – der Guardian kann sich sogar mit einer Relation von 125 Online-Lesern pro Print-Leser brüsten. Landesweit verfügbare britische Zeitungen würden generell deutlich mehr Leser anziehen als die anderer europäischer Länder. Die Online-Angebote regionaler Zeitungen seien hingegen deutlich weniger erfolgreich. Die würden zwar Gelegenheitsleser anziehen, könnten aber keine bleibende Bindung erzielen.

In seiner Studie verglich Jim Crisholm [7] die aktuellen Auflagenzahlen mehrerer Zeitungen mit deren "Prä-Internet"-Verbreitung vor 15 Jahren. In diesem Intervall haben die Tageszeitungen Guardian, Telegraph und Times zwar ein Drittel ihrer Auflage verloren – aber ohne eine Korrelation zu den Online-Zugriffszahlen. The Daily Star und The Daily Mail konnten seit September 1995 deutlich zulegen, und dies bei gleichzeitig wachsender Online-Leserschaft. Der vor allem auf Klatsch-Nachrichten spezialisierte Daily Mirror hat hingegen fast die Hälfte seiner Auflage eingebüßt.

Crisholm argumentiert somit, es sei letztlich alles auf die Qualität zurückzuführen – und auf die Zeitungspreise, die trotz schrumpfender Seitenzahl immer weiter anstiegen. Für das Argument, am Zeitungssterben sei allein das böse Internet schuld, fand er hingegen keine empirischen Belege. (ghi [8])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-1109092

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.guardian.co.uk/media/2010/oct/17/newspaper-abcs-websites-internet-news
[2] https://www.heise.de/news/News-Corp-setzt-Bezahlstrategie-auch-beim-Boulevard-fort-1062117.html
[3] https://www.heise.de/news/Axel-Springer-Chef-Tablets-und-Smartphones-sind-die-Zeitungen-der-Zukunft-1080587.html
[4] https://www.heise.de/news/Times-und-Sunday-Times-werden-kostenpflichtig-964638.html
[5] https://www.heise.de/news/New-York-Times-versucht-es-mit-Paid-Content-909409.html
[6] http://www.abc.org.uk/
[7] http://www.jimchisholm.net/home.html
[8] mailto:ghi@ct.de