Turbulente Zeiten vor Übergang zu IPv6 befürchtet

Mehr Aufmerksamkeit für die Einführung des neuen Internet-Protokolls IPv6 forderten verschiedene Experten beim Treffen der Internet-Verwaltung ICANN.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 143 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Mehr Aufmerksamkeit für die Einführung des neuen Internet-Protokolls IPv6 forderten verschiedene Experten beim Treffen der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers in Los Angeles. "Es sieht so aus, als würde ein bisschen turbulent, wenn nicht sogar sehr turbulent," sagte Steve Crocker, Chef des Sicherheits- und Stabilitätskomitees (SSAC) der Internet-Verwaltung ICANN. Man müsse angesichts drohender Knappheit von IPv4-Adressen von möglicherweise damit rechnen, dass das Horten oder sogar der Diebstahl von IPv4-Adressen um sich greifen würde, ein Schwarzmarkt entsteht oder politische Auseinandersetzungen ausbrechen. Aktuell sind noch 42 der /8-Netze (nach (nach CIDR-Terminologie) zu vergeben.

Laut Crocker ist ein reibungsloser Migrationspfad für die Experten derzeit nicht erkennbar. Nach wie vor ist die Rate von Anwendungen im Netz, die sowohl IPv4 wie IPv6 unterstützen, sehr klein, und auch bei Produkten im Markt gibt es trotz viel Bewegung in den letzten Jahren noch einiges zu tun. Einer Untersuchung (PDF-Datei) des SSAC zufolge unterstützen nur 13 von 42 kommerziellen Firewallprodukten IPv6.

Fred Baker, Senior Fellow bei Cisco und ehemaliger IETF-Chef, sagte, selbst in einem Unternehmen wie Cisco gebe es unterschiedliche Philosophien. Für manche Produktlinien gehöre die Unterstützung von IPv6 zum Standard, für andere nicht. "Alle wollen IPv6 gerne anschalten, wenn es da ist. Sie wollen gerne Zweiter sein." Dadurch hofften die Unternehmen unter anderem auch mögliche Kinderkrankheiten zu vermeiden. "Einzelne Unternehmen wollen auf der anderen Seite so sehr Erster sein, dass sie auf reines IPv6 setzen", meinte Baker.

Eine Fragmentierung der Backbone-Netze durch gänzlich auf IPv6 basierenden Teilnetzen macht auch dem scheidenden Chef der ICANN, TCP/IP-Mitentwickler Vint Cerf, Sorgen. Cerf gegenüber heise online: "Bei der ursprünglichen Verbreitung des Internet hat man sich einfach an das nächste Netz angeschlossen und war damit automatisch Teil des Systems. Weil IPv4 das einzige Protokoll und Adressierungssystem war, war das ganze System komplett verbunden. Bei IPv6 sehen wir einen Einführungsprozess, der diese Eigenschaft nicht mehr garantiert." Vielmehr müssten die entstehenden IPv6-Inseln verbunden werden, etwa über Tunnel, die den Datenverkehr durch IPv4-Netze schleusen. Tunnels könnten zum einen einstürzen, zum anderen auch Flaschenhälse werden, warnte Cerf. "Dabei spreche ich noch nicht einmal davon, ein reines IPv4 System dazu zu bringen, mit einem reinen IPv6-System zu reden," sagte Cerf. Das sei ein weiteres Problem.

Cerf appellierte an die Betreiber der 13 Rootserver für das Domain Name System, noch mehr dafür zu werben, dass Internet-Provider IPv6-Datentransport anbieten. Ohne diesen nütze es nichts, wenn alle Rootserver IPv6-Anfragen beantworten könnten. Daran arbeitet gerade das zu den ICANN-Selbstverwaltungsgremien gehörende Komitee der Rootserverbetreiber. Bislang unterstützen die Rootserver B, F, H, K und M IPv6.

Auch die Regierungen innerhalb der ICANN haben IPv6 zu einem Topthema ihres Arbeitsprogramms 2008 gemacht, neben der Einführung internationalisierter Länderadresszonen und der Erhöhung der Sicherheit im DNS. Während die regionalen IP-Registries bei der Sitzung in Los Angeles an die Regierungen appellierten, Diskussionen zur Vergabe der verbliebenen IPv4-Adressen ihren Selbstverwaltungsgremien zu überlassen, fragen sich auch die Experten mehr und mehr, inwieweit der Markt allein den Weg in die neue IPv4/IPv6-Welt ebnen kann. Bislang hat er sich nicht als sehr erfolgreich erwiesen.

Die Nutzervertreter bei der ICANN, die sich ebenfalls besorgt über einen möglichen Schwarzmarkt bei IPv4-Adressen zeigten, machten in Los Angeles den Vorschlag, dass Regierungsseiten mit gutem Beispiel vorangehen und auch via IPv6 anwählbar sein sollten. Neben mehr Aufklärung über das Thema sieht man die Notwendigkeit, Entwicklungsländer besonders bei der Einführung von IPv6 zu unterstützen, sagte Jacqueline Morris, Vorsitzende der Nutzervertretung ALAC.

Siehe dazu auch:

(Monika Ermert) / (jk)