Soziale Netze wie Tabak: US-Gesundheitsbeamter fordert Warnhinweise und Verbote

Hinweise, die vor hohen gesundheitlichen Risiken Sozialer Netze für Teenager warnen, fordert der Surgeon General der USA.​ Zudem empfiehlt er Einschränkungen.

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Kinder am Smartphone

(Bild: suriyachan/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Sperlich
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Warnhinweise in Sozialen Netzen vergleichbar mit Warnetiketten auf Zigarettenschachteln fordert der Surgeon General of the United States (Sanitätsinspekteur der Vereinigten Staaten). Sie sollen jugendliche Nutzer und deren Eltern regelmäßig auf die potenziellen Schäden für die psychische Gesundheit hinweisen, die mit der Nutzung dieser Plattformen einhergehen.

Entsprechend äußert sich der Surgeon General, Vizeadmiral Dr. Vivek Murthy, in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung New York Times (NYT). Es ist nicht das erste Mal, dass er eindringlich vor den Folgen der üblichen, intensiven Nutzung Sozialer Netze warnt. Bereits vor gut einem Jahr hat seine Behörde, zusammen mit anderen Gesundheitsbehörden, einen 25-seitigen mahnenden Report zum Thema herausgegeben.

Der Surgeon General der USA ist leitender Beamter im United States Public Health (PHS) Service und untersteht direkt der Stellvertretenden Gesundheitsministerin. Vorgeschlagen wird die Besetzung vom US-Präsidenten für jeweils vierjährige Amtsperioden, bevor der Senat das bestätigt.

Bereits im Bericht "Social Media and Youth Mental Health", der 2023 vom PHS herausgegeben wurde, spricht der Surgeon General die Herausforderungen intensiver Nutzung Sozialer Netze durch junge Menschen an. Obwohl es laut dem Bericht auch ein paar Vorteile für Teenager geben könne – etwa für die Entwicklung sozialer Beziehungen – hat Dr. Murthy dort die zunehmend negativen Auswirkungen auf die Gesundheit Jugendlicher skizziert.

Sein vorsichtiges Fazit damals: "Wir haben noch nicht genügend Beweise, um festzustellen, ob Soziale Netze für Kinder und Jugendliche ausreichend sicher sind". Er verwies auf viele Indikatoren, "die darauf hindeuten, dass sie die psychische Gesundheit und das Wohlergehen unserer Jugend ernsthaft gefährden können". Zugrunde lagen dem Report Dutzende von Studien; gleichwohl forderte er die Wissenschaft dazu auf, die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit Jugendlicher als Forschungsschwerpunkt zu etablieren.

Die damals verfügbaren Studien gingen von täglich rund 3,5 Stunden Nutzung Sozialer Netze durch 13- bis 17-jährige aus (Zahlen von 2021). Heranwachsende, die so viel Zeit in Sozialen Netzen verbringen, würden, so Murthy, ihr Risiko von Angst- und Depressionssymptomen verdoppeln. Außerdem gab fast die Hälfte der Jugendlichen an, dass sie sich durch die Inanspruchnahme dieser Online-Dienste schlechter fühlen.

Inzwischen hat sich die durchschnittliche tägliche Nutzung in dieser Altersgruppe auf rund 4,8 Stunden täglich (Sommer 2023) ausgeweitet. Das lässt den Surgeon General erneut Alarm schlagen, lauter als je zuvor.

"Eine der wichtigsten Lektionen, die ich während meines Medizinstudiums gelernt habe, ist, dass man in einem Notfall nicht den Luxus hat, auf perfekte Informationen zu warten", schreibt Murthy in seinem Gastbeitrag in der NYT. "Man bewertet die verfügbaren Fakten, man nutzt sein bestes Urteilsvermögen und handelt schnell."

Zu seinen Vorschlägen für dringende Maßnahmen zählen zum einen weiterhin die Aufklärung und Beratung über Risiken, wie bereits 2023 in seinem Ratgeber-Bericht dargelegt. Denn wer weiß schon, dass die intensive Nutzung Sozialer Netze in Verbindung gebracht wird mit Veränderungen im sich noch entwickelnden, jugendlichen Gehirn, insbesondere in der Amygdala (einem Bereich, der für emotionales Lernen und Verhalten wichtig ist) sowie im präfrontalen Kortex (einem Bereich, der Impulskontrolle, Emotionen und soziales Verhalten reguliert). Darüber hinaus, so der Mediziner weiter, wird die übermäßige Nutzung Sozialer Netze mit Schlaf- und Aufmerksamkeitsproblemen sowie dem Gefühl der Ausgrenzung in Beziehung gesetzt.

Deshalb fordert jetzt der Surgeon General den US-Kongress eindringlich auf, Warnhinweise für einschlägige Plattformen einzuführen, die Eltern und jugendliche Nutzer regelmäßig vor den potenziellen Schäden für die psychische Gesundheit warnen. Die vorgeschlagenen Warnhinweise, die jenen ähneln, die bereits für Tabak- und Alkoholprodukte etabliert sind, sollen Bewusstsein schärfen und Nutzer zu einer Änderung ihres Verhaltens bewegen.

Zusätzlich zu den Warnhinweisen fordert Murthy Gesetzgebung, die junge Menschen vor Online-Belästigung, Missbrauch, Ausbeutung und extremer Gewalt sowie sexuellen Inhalten schütze, weil dies in den Algorithmus-getriebenen Feeds zu oft passiere. Zudem empfiehlt er, Plattformen das Sammeln von Kinderdaten zu verbieten, und Funktionen wie Push-Benachrichtigungen, automatisch anlaufende Videos und unendliches Scrollen einzuschränken. Diese Dinge würden "die sich entwickelnden Gehirne ausnutzen und zu übermäßiger Nutzung beitragen."

Außerdem, verlangt der Surgeon General, müssten Betreiber verpflichtet werden, "alle ihre Daten über die gesundheitlichen Auswirkungen mit unabhängigen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit zu teilen – was sie derzeit nicht tun – und unabhängige Sicherheitsprüfungen zuzulassen." Vivek Murthy unterstreicht: "Die Plattformen behaupten zwar, sie würden ihre Produkte sicherer machen, aber die Amerikaner brauchen mehr als nur Worte. Wir brauchen Beweise."

(ds)