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US-Netzneutralität: Befürworter und Gegner bejubeln neues Urteil

Daniel AJ Sokolov
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(Bild: dpa, Ole Spata)

Die FCC muss die Abschaffung der Netzneutralität neu prüfen und darf US-Staaten nicht verbieten, eigene Regeln zu erlassen, sagt das Berufungsgericht.

Die US-Regulierungsbehörde FCC muss sich erneut mit der Netzneutralität und den Auswirkungen ihrer Abschaffung befassen. Und die Behörde darf US-Staaten und Kommunen nicht generell untersagen, eigene Vorschriften für Netzneutralität zu erlassen, solange die FCC es nicht tut. Das hat ein US-Bundesberufungsgericht entschieden. Beide Seiten fühlen sich bestätigt.

Unter US-Präsident Donald Trump haben Republikaner in der Telecom-Regulierungsbehörde FCC eine Mehrheit. Diese haben sie genutzt, um die Netzneutralität abzuschaffen [1]. Gleichzeitig haben sie Staaten und Kommunen verboten, eigene Regeln für Netzneutralität aufzustellen ("Preemption"). Das Verfahren heißt Mozilla v. FCC und wurde vom Bundesberufungsgericht für den Hauptstadtbezirk District of Columbia unter dem Az. 18-1051 entschieden.

[Update 2. Oktober 2019, 02:35 Uhr: Hintergrund-Abschnitte "Das Hin-und-Her bei der Netzneutralität" und "Republikaner verweigerten Abstimmung im Repräsentantenhaus" hinzugefügt]

Grundsätzlich lässt das Gericht die Aufhebung der Netzneutralität bestehen. Die Gegenargumente haben das Gericht nicht überzeugt. Das freut die Gegner der Netzneutralität. Allerdings hebt das Gericht jenen Teil auf, mit dem die FCC Staaten und Kommunen daran hindern wollte, eigene Netzneutralitätsregeln aufzustellen. Das ist ein Etappensieg der Befürworter der Netzneutralität

Das bedeutet aber nicht, das beispielsweise die von Kalifornien beschlossene Netzneutralität [2] Bestand haben wird. Darüber zu entscheiden bleibt dem bereits anhängigen Verfahren USA v. California vorbehalten. Die Kompetenzen von Bundesbehörden sind in den USA durch die so genannte Preemption abgesichert. Erlassen sie Vorschriften, dürfen Staaten und Kommunen das nicht unterlaufen.

Jedoch muss dabei im Einzelfall geklärt werden, ob bestimmte Normen tatsächlich Bundesvorgaben sabotieren. Ein generelles Regelungsverbot für einen ganzen Themenbereich, wie es die FCC versucht hat, ist nicht statthaft.

Außerdem bekrittelt das Berufungsgericht drei Mängel an jener Verordnung, mit der die FCC die Netzneutralität aufgehoben hat: Erstens hat sich die FCC nicht mit den Auswirkungen auf die Öffentliche Sicherheit befasst, obwohl diese zu den Kernzielen der Behörde gehört.

Jessica Rosenworcel

"The fight for NetNeutrality is not over", freut sich die Demokratische FC-Commissioner Jessica Rosenworcel auf Twitter.

Einsatzkräfte, Infrastrukturbetreiber und Bürger könnten in einer Notsituation beeinträchtigt werden, wenn Breitbandnetze bestimmten Datenverkehr nach eigenem Gutdünken oder gegen Entgelt gegenüber anderem Datenverkehr bevorzugen dürfen. Man denke nur an Erdbebensensoren in einem Gasnetz, bei denen Bruchteile von Sekunden zählen. Später mögliches Einschreiten der Handelsbehörde FTC gegen die Netzdiskriminierung käme zu spät.

Zweitens hat die Verordnung nicht ausreichend erklärt, was die Aufhebung der Netzneutralität für den Bau von Breitbandnetzen bedeutet. Konkret geht es hier um die in den USA bedeutende Montage von Datenkabeln auf Masten Dritter.

Drittens habe sich die FCC nicht hinreichend mit Eingaben betroffener Bürger befasst. Dabei geht es um "Lifeline" genannte Zuschüsse zu Internetzugangsgebühren für arme Amerikaner und einige andere Gruppen, etwa Veteranen und Angehörige Gefallener. Das Lifeline-Gesetz gewährt die Zuschüsse nur für Telekommunikationsdienste. Um die Netzneutralität abzuschaffen, hat die FCC aber Breitband-Provider von den Telekommunikationsdiensten ausgenommen. Seither fehlt die Rechtsgrundlage für die Lifeline-Zuschüsse. Die gegenteilige Rechtsansicht der FCC war falsch.

Mit diesen drei Themen muss sich die FCC nun inhaltlich auseinandersetzen. Die Republikaner-Mehrheit in der Regulierungsbehörde wird versuchen, die Abschaffung der Netzneutralität trotzdem beizubehalten. Niemand wäre überrascht, würden die einschlägigen Entscheidungen wiederum gerichtlich bekämpft.

In den USA wird seit Jahren um die Netzneutralität gekämpft. Vereinfacht gesagt sind Verbraucherschützer und Demokraten-Politiker dafür, die großen Zugangsprovider und Republikaner dagegen, doch haben voriges Jahr auch drei Republikanische Senatoren für die Netzneutralität gestimmt. Denn bei der US-Bevölkerung wäre Netzneutralität extrem beliebt [3], auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Die ersten beiden Anläufe der FCC zur Einführung von Netzneutralität wurden von Gerichten aus formalen Gründen aufgehoben [4]. Das waren ein Bescheid an den ISP Comcast aus dem Jahr 2008 sowie eine Verordnung aus 2010.

Bei der Aufhebung der Verordnung aus dem Jahr 2010 erläuterte das Gericht 2014, wie die Netzneutralität formal korrekt umzusetzen wäre. Die FCC folgte den Vorgaben und verordnete 2015 die Drei Gebote der Netzneutralität [5] für im Einzelhandel angebotene Breitband-Internetzugänge, egal ob Festnetz oder mobil:

Zero-Rating blieb erlaubt, dazu kamen einige Nebenbestimmungen, darunter eine Wohlverhaltensregel. Kleine ISP waren bis auf Weiteres ausgenommen. Diese Netzneutralitätsverordnung war legal [6], wie der US Supreme Court später bestätigt hat.

Ajit Pai

"A big victory for consumers!", freut sich der Republikanische FCC-Vorsitzende Ajit Pai über die Gerichtsentscheidung, weil sie die Aufhebung der Netzneutralität nicht rückgängig gemacht hat.

(Bild: FCC (gemeinfrei))

Doch unter US-Präsident Donald Trump machte die FCC eine Kehrtwende und schaffte die Netzneutralität wieder ab [7]. Das Verfahren war allerdings heftig manipuliert. Die öffentliche Konsultation ist getürkt worden, indem zu 9,5 Millionen fremde Namen für Stellungnahmen missbraucht [8] wurden. Das war für die Gerichte bislang kein ausreichender Anlass, die darauf fußende Entscheidung aufzuheben. In New York wird strafrechtlich wegen Identitätsanmaßung ermittelt.

Gegen die Abschaffung wehrt sich eine breite Koalition vor Gericht, von der Mozilla-Stiftung über Verbraucherschützer und Bürgerrechtsorganisationen wie Public Knowledge bis hin zu US-Staaten und Kommunen (Mozilla v. FCC). In diesem Verfahren hat die zweite Instanz am Dienstag entschieden. Ordentliche Rechtsmittel gibt es dagegen keine mehr.

Kalifornien hat die Drei Gebote der Netzneutralität in ein eigenes innerstaatliches Gesetz [9] gegossen, woraufhin die US-Regierung Kalifornien verklagt [10] hat. Das Verfahren heißt USA v. California und ist am US-Bundesbezirksgericht für das östliche Kalifornien anhängig. Kalifornien verzichtet bis zum Abschluss des Verfahrens auf die Anwendung des Gesetzes.

Oregon, Vermont und Washington haben ebenfalls Netzneutralitätsgesetze verabschiedet. Kalifornien geht dabei aber am Weitesten, indem es die FCC-Verordnung aus 2015 praktisch wortgleich übernimmt. In sechs US-Staaten hat der Gouverneur angeordnet, bei neuen öffentlichen Aufträgen nur jene Netzbetreiber zu berücksichtigen, die allen Kunden Netzneutralität gewähren. New Jersey hat den US-Congress und den Präsidenten aufgefordert, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern.

Diverse Anträge auf Netzneutralitätsgesetze oder Resolutionen sind in etwa 30 weiteren US-Staaten gescheitert – meistens dadurch, dass sie vor Ende der Legislaturperiode im Herbst 2018 nicht verabschiedet worden sind. Dieses Schicksal ist auch einem Bundesgesetz widerfahren, mit dem die Aufhebung der Netzneutralität hätte rückgängig gemacht werden solle.

Der US-Senat stimmte auch für die Netzneutralität [11], da drei Republikanische Senatoren zustimmten. Doch im Repräsentantenhaus ließ der damalige Republikanische Vorsitzende den Antrag nie zur Abstimmung gelangen, so dass er mit dem Ende der Legislaturperiode im Herbst gegenstandslos wurde.

Als Folge der Wahlen gibt es zwar nun eine Demokraten-Mehrheit im Repräsentantenhaus, doch ist ein Gesetz für Netzneutralität schwieriger geworden [12]. Der Senat müsste erneut zustimmen. "Dort würde es 60 Stimmen brauchen, um einen Filibuster zu verhindern", schilderte Chris Lewis, Vizepräsident der Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge, im Gespräch mit heise online nach geschlagener US-Wahl im November. Also müssten mehr als zehn Republikaner mit den demokratischen Senatoren stimmen, was nicht zu erwarten sei.

"Seit der Abschaffung der Netzneutralität haben die Breitband-Provider ihre früheren Bekenntnisse zur Netzneutralität abgeschwächt", sagte Lewis, "Sie diskutieren offen über bezahlten Vorrang ausgewählter Daten."

Zwar ist die Netzneutralität bei Verbrauchern sehr beliebt, doch können sie Netzneutralität nicht durch entsprechenden Kaufentscheidungen über den Wettbewerb durchsetzen. 39 Prozent der Bewohner ländlicher Regionen in den USA haben keinen Zugang zu Breitband-Internet. Der Rest hat meist nur einen einzigen Internetprovider zur "Auswahl", was zu hohen Tarifen führt. Und selbst in Städten gibt es heute weniger Wechselmöglichkeiten als früher.

Immerhin haben mehrere US-Staaten Ausschüsse eingesetzt, die sich dem Thema widmen. Je nach Verlauf des Verfahrens USA v. California könnten also die Gesetzgeber in weiteren US-Staaten wieder aktiv werden. Auch auf kommunaler Ebene gibt es Initiativen für Netzneutralität. Doch selbst Breitbandnetze auszubauen ist Kommunen in vielen US-Staaten per Gesetz verunmöglicht [13] worden – auf Wunsch privater Internetprovider, die sich diesem Wettbewerb nicht stellen möchten. (ds [14])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/USA-Netzneutralitaet-wird-abgeschafft-3918679.html
[2] https://www.heise.de/news/Kalifornien-beschliesst-Netzneutralitaet-4153342.html
[3] http://www.publicconsultation.org/united-states/overwhelming-bipartisan-public-opposition-to-repealing-net-neutrality-persists/
[4] https://www.heise.de/news/US-Gericht-FCC-Verordnung-fuer-Netzneutralitaet-ist-rechtswidrig-2085878.html
[5] https://www.heise.de/news/FCC-gegen-Zwei-Klassen-Internet-Die-Drei-Gebote-der-Netzneutralitaet-2560672.html
[6] https://www.heise.de/news/Rechtskraeftig-US-Netzneutralitaet-war-legal-4213865.html
[7] https://www.heise.de/news/USA-Netzneutralitaet-wird-abgeschafft-3918679.html
[8] https://www.heise.de/news/Millionen-fremder-Namen-zur-Abschaffung-der-Netzneutralitaet-missbraucht-4196015.html
[9] https://www.heise.de/news/Kalifornien-beschliesst-Netzneutralitaet-4153342.html
[10] https://www.heise.de/news/Netzneutralitaet-USA-verklagen-Kalifornien-4178835.html
[11] https://www.heise.de/news/US-Senat-stimmt-fuer-Netzneutralitaet-4050827.html
[12] https://www.heise.de/news/US-Wahl-Gesetz-fuer-Netzneutralitaet-wird-schwieriger-4217541.html
[13] https://www.heise.de/news/US-Urteil-bringt-Rueckschlag-fuer-Breitband-Ausbau-3294243.html
[14] mailto:ds@heise.de