United we stand -- und Windows XP gehört dazu

Zur US-Premiere von Windows XP gelang Bill Gates die Gratwanderung, die Geschehnisse des 11. 9. mit dem XP-Launch zu verbinden, ohne dass man ihm geschmacklose Propaganda nachsagen könnte.

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Eins muss man Bill Gates auf jeden Fall lassen: Er versteht es, den Nerv der Amerikaner zu treffen. Zur offiziellen US-Premiere von Windows XP im New Yorker Marriott Marquis Theatre am Times Square gelang ihm die äußerst schmale Gratwanderung, öffentlichkeitswirksam die Geschehnisse des 11. September in New York und Washington mit dem XP-Launch zu verbinden, ohne dass ihm jemand geschmacklose Propaganda für das neue Betriebssystem nachsagen könnte.

"New York City ist der ideale Platz, die Verfügbarkeit von Windows XP anzukündigen", betonte Gates. "Ich möchte allen Menschen in New York City dafür danken, uns hier willkommen zu heißen und ihnen für ihren ungebrochenen Geist, Mut und ihre Entschlossenheit gratulieren, und möchte alle Amerikaner dazu aufrufen anzuerkennen, dass New York absolut offen für die Wirtschaft und Handel ist", sagte Gates weiter. Mit seiner patriotischen Ansprache meinte er auch seinen Ehrengast, New Yorks Bürgermeister Rudolph Guiliani. Diese Worte brachten ihm mit Abstand den meisten Beifall ein, sogar von den rund 7.000 Teilnehmern der Microsoft Professional Developer Conference (PDC) in Los Angeles, die die Premiere auf Großleinwänden morgens um acht Uhr Ortszeit verfolgten. Die unvermeidliche humoristische Komponente brachte Gates übrigens, als er zum letzten Mal einen DOS-Prompt auf den Leinwänden erscheinen ließ und in gewisser Weise von den Wurzeln seines Erfolgs Abschied nahm. Aber das nur am Rande. Dass Gates erst von Stärke, Größe und Entschlossenheit sprach, um fast nahtlos auf Windows XP zu wechseln, dürfte seinen Eindruck nicht verfehlt haben.

Auch in den Vereinigten Staaten kann aber von einer XP-Euphorie keine Rede sein. Und das, obwohl die großen Retail-Märkte wie Staples, CompUSA, Electronic Fry’s und Best Buy mit sagenhaften Schnäppchen locken. Jeder, der Windows XP kauft, bekommt etwa eine Digitalkamera, einen CD-RW-Brenner oder einen Cable/DSL-Router mit Netzwerkkarten und Kabel umsonst. Doch selbst diese Verlockungen scheinen die Kundschaft kalt zu lassen. Für die großen Elektronik- und Computergeschäfte galt weit gehend "business as usual". Ein paar Transparente, ein Extra-Regal mit Windows-XP-Paketen und wenig interessierte Kunden, das war's.

Einen allgemeingültigen Überblick vermittelt dieses Bild natürlich nicht, gibt aber einen recht guten Anhalt, welchen Absatzschwierigkeiten Microsoft im Moment gegenüber stehen könnte. Sinn und Unsinn eines XP-Upgrades werden nun schon seit Monaten in den Medien diskutiert, darüber aber häufig vergessen, dass die sonst so kauffreudigen Amerikaner zurzeit äußerst zurückhaltend geworden sind und ihr Geld lieber sparen. Der Grund hierfür sind die Terroranschläge, der in seinen Folgen unabsehbare Krieg in Afghanistan und die Fälle von Milzbrandinfektion. Unter diesem Phänomen leiden in den USA übrigens fast alle Branchen, während Billiganbieter wie Target oder Walmart Umsatzrekorde verbuchen.

Wie sich der Verkauf von Windows XP letztlich entwickelt, bleibt abzuwarten. Unternehmen, die bereits Windows 2000 verwenden, werden mit Sicherheit nicht sofort aufrüsten, es sei denn, Microsoft macht mit seinem Geschäftsmodell ernst, demzufolge jedes Update zwingend notwendig wird. Und schließlich ist da noch der OEM-Markt, der gewisse Absatzzahlen garantiert. Übrigens, die Schnäppchen bei Best Buy, Staples und Co. gelten natürlich auch für diejenigen, die sich einen neuen PC mit Windows XP kaufen.

Angesichts solcher Unwägbarkeiten für Microsoft verwundert es natürlich nicht, dass Microsoft-Chef Steve Ballmer ins gleiche Horn wie Bill Gates stieß und auf der offiziellen europäischen Vorstellung von Windows XP zunächst in London und dann in München die Rolle des PCs verteidigte -- gleichzeitig aber ein neues Zeitalter der kleinen Endgeräte einläutete. "Windows XP ist die erste Plattform für das neue digitale Jahrzehnt", und das bedeutet für ihn auch, dass der klassische Desktop nur noch ein Element der Computer sein wird. Gerade die kleinen Endgeräte wie Handys und PDAs sollen künftig eine große Rolle spielen. "Es wird eine breitere Zahl unterschiedlicher Endgeräte geben. Was wir wollen ist ein Gerät, das wie ein Computer funktioniert aber viel kleiner ist". Damit spannte Ballmer den Bogen von Pocket PC 2002, dem Betriebssystem für PDAs über Windows XP bis zu Windows .NET Server, den Microsoft für nächstes Jahr als kommendes Server-Betriebssystem ankündigt.

Zum Thema Software-Aktivierung immerhin zeigte sich Ballmer offensiv: "Wir haben die Windows Aktivierung eingeführt, um der Software-Piraterie ein Ende zu setzen, denn wenn jemand ihnen Windows XP für 20 US-Dollar anbietet, handelt es sich mit Sicherheit um eine Raubkopie." Ob die Discounter in den USA, die XP schon jetzt zu Schnäppchenpreisen anbieten, bald mit Besuch von Ballmer persönlich rechnen müssen? (Natalia Pander, Matthias Holtz, Rainald Menge) / (jk)