Virtuelle Rekonstruktion macht Historie lebendig

CAD-Programme helfen Historikern und Architekten bei der virtuellen Rekonstruktion zerstörter historischer Gebäude.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Achim David
  • Laurenz Weiner
  • dpa

Vor 1000 Jahren barg das Kloster in Cluny in Frankreich die damals größte Kathedrale der Christenheit. Nur noch spärliche Reste sind von dem Bauwerk erhalten. Dennoch können heute Menschen durch diese Kirche gehen, denn seit rund zehn Jahren bauen Architekten und Computerspezialisten mit Hilfe von CAD-Programmen historische Gebäude auf, die es so gar nicht mehr gibt.

So wie neue Gebäude am Computer im Vorhinein dreidimensional dargestellt werden können, lassen sich auch alte Bauwerke wieder aufbauen. Aktuelles Beispiel ist die Ausstellung "Synagogen in Deutschland - Eine virtuelle Rekonstruktion", die noch bis Mitte Juli in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist. Dazu baute ein Team von Architekturstudenten der Technischen Universität (TU) Darmstadt 14 im November 1938 von den Nationalsozialisten zerstörte deutsche Synagogen wieder auf. Die Ergebnisse wirken absolut fotorealistisch.

Dabei war das Material, das als Basis für die Rekonstruktionen diente, äußerst spärlich: Wenige Baupläne, alte Ansichten von Postkarten oder Fotos und die Aussagen von Zeitzeugen bildeten die Grundlage, sagt Projektinitiator Marc Grellert. Was nicht zu belegen war, musste der Baulogik folgend nachkonstruiert werden. Die Darmstädter um Professor Manfred Koob sind in dieser Technik führend.

Beim Kloster Lorsch am Rhein hielten sich die Darmstädter im Wesentlichen an einen alten Merian-Stich. Den genauen Grundriss ermittelten sie jedoch mit Hilfe von Geo-Radar: Ein Fahrzeug, das einem Rasenmäher ähnelt, sendet Radarwellen in den Untergrund und fängt die Reflexionen auf. So wird der Grundriss dort sichtbar, wo verbliebene Fundamente unter der Grasfläche liegen. Ist der Grundriss ermittelt, wird die Höhe als dritte Dimension anhand alter Pläne und Bilder sowie der damaligen Baulogik nachvollzogen.

Auch noch existierende Bauwerke können heute mit Hilfe des Computers fernab von ihrem realen Standort erlebt werden. Beispiel dafür ist der Dom in Siena in Italien, der momentan auf der Expo 2000 in Hannover zu sehen ist. Unter Leitung von Christian Knöpfle vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt wurde die Kirche im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung naturgetreu und bis ins Detail nachempfunden. Der Intarsienschmuck des Fußbodens, die berühmte Kanzel von Nicola Pisano oder die farbenprächtigen Deckenmalereien können Besucher nun auch anderswo bewundern als nur in Siena. Neu dabei ist, dass der Betrachter in Echtzeit interaktiv durch das Bauwerk wandeln kann: Ein so genannter Avatar, eine vom Rechner generierte Kunstfigur, agiert als virtueller Reiseführer und erläutert, was zu sehen ist.

Auch wenn sie im Computer wieder auferstanden sind – die Bauwerke längst vergangener Tage beziehungsweise ihre Daten müssen gepflegt und modernisiert werden. Denn neue Rechnergenerationen und neue Programmversionen sorgen schnell dafür, dass die mühsam gesammelten Daten veralten, weiß Professor Manfred Koob aus Erfahrung. Seine ersten Projekte sind zehn Jahre alt, und nur regelmäßige Datenpflege stellt sicher, dass auch morgen Menschen virtuell die Kathedrale von Cluny besichtigen, durch den römischen Papstpalast, das Kloster Lorsch oder von den Nazis zerstörte Synagogen wandeln können. Sonst gehen die Gebäude ein zweites Mal verloren – wenn auch nur virtuell. (Achim David, dpa) / (law)