Internet-Pionier: Vor 25 Jahren starb Jon Postel

Jon Postel gilt als einer der Pioniere des Internets. Sein Tod vor 25 Jahren löste große Trauer aus. Das, was er geschaffen hat, prägt das Netz bis heute.

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Jon Postel vor einer Karte der Internet-Top-Level-Domains​

Jon Postel vor einer Karte der Internet-Top-Level-Domains

(Bild: Irene Fertik, USC News Service)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Das Internet hat viele Geburtstage und viele Mütter und Väter. Einer von ihnen war Jon Postel, der vor 25 Jahren im Alter von 55 Jahren nach Komplikationen bei einer Herzoperation starb. Als sein Tod bekannt wurde, wurden die Webseiten vieler Internet-Organisationen schwarz geschaltet.

Jonathan Bruce Postel wurde am 6. August als zweiter Sohn von Edward E. Postel, Luftfahrtingenieur bei Lockheed und Lois Postel, einer Lehrerin im kalifornischen Almtadena geboren. Die Familie zog nach Glendale, wo Postel auf die Van Nuys High School ging, genau wie die Internet-Pioniere Vint Cerf und Steve Crocker. Er war einer der ersten Studenten im Fach "Computer Science", als dieses Fach an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) angeboten wurde. 1966 machte er seinen Bachelor in Engineering, 1968 seinen Master in Engineering und schließlich 1974 seinen Doktor in Computer Science. Als Doktorand nahm Postel eine Stelle am "Network Measurement Center" von Len Kleinrock an, das dieser mit 200.000 US-Dollar für die Militärforschungsbehörde ARPA einrichtete. Denn das wollte ein Netzwerk aufbauen.

RFC 1 im Original von Jon Postel

(Bild: ARPANET Sourcebook von Peter Salus)

"Wir Doktoranden an den ersten vier Knoten, der UCLA, des SRI in Menlo Park, der Universität von Kalifornien in Berkeley und der Universität von Utah in Salt Lake City sollten die Leistungsfähigkeit des Netzes prüfen und so richteten wir erst mal eine Mailing-Liste ein -- eine vom Typ Kopierer plus US Post Office -- und schickten ein Haufen Papier hin und her, das beschrieb, was alles gemacht werden musste. Bald entstand eine Reihe von Notizen, die 'Request for Comments' genannt wurden. Ich denke, dass Steve Crocker die Idee hatte, diese RFC zu formalisieren", erzählte Postel seinem Interviewer Neill Randall für das Buch "The Soul of the Internet: Net Gods, Netizens and the Wiring of the World." Was Postel verschwieg: Er war derjenige, der sich an die Schreibmaschine setzte und aus Crockers Notizen für RFC 1 ein lesbares Dokument produzierte. Wer die Kopie des originalen RFC 7 mit der Handschrift von Gérard Deloche anschaut, wird die Sisyphus-Arbeit ermessen, die Jon Postel auf seine Schultern nahm. Fast 30 Jahre lang war er der "Editor" von fast 2500 dieser Requests for Comment. Bald war das mehr als einfaches Abtippen, denn aus dem ursprünglich geplanten ARPA-Testnetz mit 15 Knoten wurden schnell mehr. "Weil es ein Militärprojekt war, wollten viele Militärbasen angeschlossen werden, genau wie universitäre Forschungseinrichtungen, die mit anderen Einrichtungen kommunizieren und Daten austauschen wollten, die ebenfalls im Bereich der Militärforschung arbeiteten", erinnerte sich Postel im Interview. Bald musste das ARPANET von 8-Bit-Adressen (= 256 Hosts) auf 24-Bit umgestellt werden, was reichte, bis sich das ARPANET und MILNET voneinander trennten.

Seinen wohl einflussreichsten RFC schrieb Jon Postel mit der ihm eigenen Klarheit, als er mit dem RFC 801 im Jahre 1981 den "NCP/TCP Transmission Plan" vorstellte. Er behandelte die Umstellung des Netzwerkes auf das von Vint Cerf und anderen entwickelte Protokoll TCP/IP: "Es ist dringlich, dass die Einführung von TCP/IP bei allen ARPANET Hosts so schnell wie möglich in Angriff genommen werden muss und das in jedem Fall nicht später als am 1. Januar 1982." Am 1. Januar 1983 sollte die Umstellung abgeschlossen sein. Zuvor hatte er in RFC 793 über TCP/IP das erklärt, was später "Postels Robustness Principle" genannt wurde: "be conservative in what you do, be liberal in what you accept from others".

Das nächste Projekt, an dem Postel als Gründungsmitglied beteiligt war, war die Einrichtung des Internet Activities Bord, später Internet Architecture Board (IAB) genannt, das die technische Entwicklung im Auge behalten sollte. Nach Postel sollte das Komitee Arbeitsgruppen bilden, die als Internet Engineering Task Force (IETF) die eigentliche Arbeit erledigen sollte. Für die Repräsentation nach außen hin sollte die Internet Society sorgen, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen. Postel war hier das erste Einzelmitglied und gehörte dem Board of Trustees an. Eine weitere durch Postel betriebene ungemein wichtige Gründung war die der Internet Assigned Numbers Authority (IANA), die er zeit seines Lebens betreute. IANA ist für die Auflösung von IP-Adressen und die Standardisierung von Ports zuständig. Die Entwicklung der IANA kündigte sich im RFC 433 an, in dem sich Postel selbst als "Czar of Socket Numbers" bezeichnete.

1973 verließ Postel die UCLA und das Büro, das er bis dahin mit seinem Schulfreund Dave Crocker geteilt hatte. Crocker ging zu RAND und entwickelte dort mit RFC 733 den Standard des ARPA-Mail-Systems auf der Basis eines "kleinen netten Hacks" (so nannte es Postel) von Ray Tomlinson. Postel selbst ging 1974 zu SRI International und arbeitete dort im "Augmentation Research Center" von Doug Engelbart an einer TCP/IP-Version für Engelbarts oN-Line System. 1978 wechselte Postel an das Information Science Institute (ISI) der Universität von Southern California (USC), wo er bis zu seinem Tod in verschiedenen Funktionen arbeitete, zuletzt als Direktor der Abteilung für Computernetze. Dabei blieb er der einfache Editor der RFC. Schon durch seine äußere Erscheinung als Alt-Hippie unterschied sich Postel von seinen Mitstreitern: "Er trug einen Rauschebart, lief das ganze Jahr in Sandalen herum und hatte noch nie in seinem Leben eine Krawatte umgebunden", heißt es in "ARPA Kadabra" von Katie Hafner und Matthew Lynn.

Sein Leben für das Internet wurde im Juli 1998 gewürdigt, als die International Telecommunication Union (ITU) verkündete, ihm auf der internationalen Tagung "INET 98" die Silbermedaille der ITU zu verleihen, eine Auszeichnung, die zuvor nur Staatsoberhäupter bekamen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Jon Postel in einer schwierigen Lage, denn die Kommerzialisierung des Internets war mit dem Übergang von der DARPA zur National Science Foundation (NSF) in vollem Gange. Besonders seine Rolle bei der IANA wurde kritisiert und Herabsetzungen wie "alter Zausel" konnten in etlichen Kommentaren gelesen werden. Die Vergabe der Silbermedaille wurde vom damaligen ITU-Generalsekretät Pekka Tarjanne persönlich vorangetrieben und gegen alle Widerstände durchgesetzt. Tarjanne schrieb in seinem Nachruf auf Postel: "Es ist schade, das dieser Mann von großer Integrität in seinen letzten Jahren solchen Anfeindungen ausgesetzt war, wo er unseren Dank und unser Lob erhalten müsste. Das war einer der Gründe, warum ich ihn als Träger der Silbermedaille der ITU vorschlug -- damit wir wenigstens ein bisschen zeigen können, was die Telekommunikations-Gemeinschaft seinen Beiträgen zur globalen Internet-Infrastruktur verdankt." Während der US-Repräsentant Ira Magaziner zur Genfer Preisverleihung in einer Limousine vorfuhr, kam Jon Postel mit der Straßenbahn. Nach Postels Tod übernahm die eigens dafür gegründete Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) die Verwaltung der IANA.

RFC 7 im Original, bevor Postel alles mit der Schreibmaschine abtippte

(Bild: ARPANET Sourcebook von Peter Salus)

"I remember IANA" schrieb sein Weggenosse Vint Cerf in einem bewegenden Nachruf auf den "ersten Giganten, der aus unserer Mitte abreist". Der Nachruf wurde stilecht als RFC 2468 veröffentlicht. "Wir werden unseren Verlust überleben und wir werden uns erinnern. Er hat allen Internauten ein monumentales Vermächtnis hinterlassen, das nachdenklich macht. Standhafter Dienst an der Sache für Dekaden, flexibel dort, wo andere paralysiert waren und immerzu den richtigen Kurs im komplizierten Minenfeld von technischen und politischen Hindernissen findend." Auch in den Mailinglisten und im Usenet wurde an Jon Postel erinnert. Viele Webseiten waren einfach schwarz geschaltet. Das Netz trug Trauer.

Im Gedenken an Jon Postel ist an der Universität von Südkalifornien das Postel Center eingerichtet worden, das Forschung über und für die Internet-Gemeinschaft betreibt. An seiner Alma Mater gibt es die Jon Postel Disguished Lecture. Die Internet Society vergibt den Jonathan B. Postel Service Award, den Postel 1999 posthum bekam. Und auf einer kalifornischen Ranch steht ein Postel-Baum.

(mki)