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Was war. Was wird. Niemals vergessen: 50 Millionen Tote.

Wer siegt, hat noch lange nicht den Frieden gewonnen. Was die, die man Ewiggestrige nennt, geflissentlich auszunutzen suchen, beklagt Hal Faber.

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Was war. Was wird. Niemals vergessen: 50 Millionen Tote.

(Bild: kikk / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Jetzt diskutieren und demonstrieren sie wieder mit einem "Trauermarsch" gegen den "alliierten Bombenterror" in Dresden, ohne Coventry und Southampton zu nennen. Jetzt empören sie sich über das Verbrennen der Toten auf dem Marktplatz in Dresden, ohne das Verbrennen der Toten in Auschwitz zu nennen.

Im deutschen Konzentrationslager Auschwitz.

(Bild: Dmitrijs Mihejevs / Shutterstock.com)

Ja, Dresden war überfüllt, im Gegensatz zu Dessau, das bei einem Bombenangriff viel stärker zerstört wurde. Die flächendeckende Bombardierung war nicht die intelligenteste Entscheidung der Alliierten. Als einer der ersten Journalisten reiste Isaac Deutscher gleich nach der Kapitulation durch das zerstörte Deutschland und schrieb den Artikel "Die Wirkung der Bombenangriffe", der am 10. November 1945 im Economist erschien. In ihm sagte er voraus, dass die Luftangriffe in den kommenden Jahren das am heftigsten diskutierte Thema der militärischen Debatte werden wird. Die Verwandlung deutscher Städte in Wüsteneien hätte dabei geholfen, den Sieg zu beschleunigen. "Sie hat es aber auch erschwert, den Frieden zu gewinnen. Man könnte sagen, dass der Beitrag des Bomberkommandos zum militärischen Sieg viel weniger entscheidend ist als das Hindernis, das dadurch für die Gewinnung des Friedens entstanden ist."

*** Die erste Stadt, die es flächendeckend traf, war Mannheim. Von einem Gedenken an die Opfer der Operation Abigail Rachel kann nicht die Rede sein, auch weil diese Stadt über ein perfektes System von Luftschutzkellern verfügte. Dort erschien am 23. April 1945, noch vor der Kapitulation und dem Kriegsende der Aufruf "Wir bauen auf." "Ganz bescheiden können wir das vorläufig nur, denn erst gilt es, Berge von Trümmern zu beseitigen, bevor wieder ein Boden gefunden wird, auf dem gebaut werden kann. Am besten fängt man damit an, den Schutt zu beseitigen, und nach einem alten Sprichwort zuerst einmal den vor seiner eigenen Tür. Damit werden wir schon fertig werden. /../ So wollen wir wieder aufbauen, zuerst ganz bescheiden, Schritt für Schritt, damit erst einmal wieder Fenster und Dach zu sind, dann werden wir weiter sehen."

*** Bescheidene Worte für einen Neuanfang, wo kurz zuvor ein erbitterter Krieger wie der Generaloberst Heinz Guderian sich vor die Auslandspresse stellte und – am 7. März 1945 – von "sowjetischen Bestien" redete und sich in Lügen flüchtete: "Ich habe selbst in der Sowjetunion gekämpft, aber nie etwas von Teufelsöfen, Gaskammern und ähnlichen Erzeugnissen einer kranken Phantasie bemerkt. Die Absicht ist unverkennbar, mit solchen offenbaren Lügen die Hassgefühle der primitiven Sowjetsoldaten aufzustacheln." Der nationalsozialistische Propagandist Hans Georg von Studnitz, der bei der Pressekonferenz anwesend war, notierte damals in seinem Tagebuch: "Der Eindruck dieser Ausführungen war kein guter. Die Welt kennt jetzt Photographien, Filme und Augenzeugenberichte über das Todeslager von Maidanek, das Todeslager Auschwitz und ähnliche Institutionen in den besetzt gewesenen Gebieten. Das deutsche Volk weiß von diesen Dingen allerdings nichts." So folgte auf eine Lüge gleich die nächste.

*** Es war Generaloberst Guderian, der als Mitglied des "Ehrenhofes" der Wehrmacht die Offiziere unehrenhaft aus der Armee entließ, die sich am gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt hatten. Damit konnten sie höchst unehrenhaft an einem Fleischerhaken erhängt werden. Aus diesen dunklen Zeiten zieht sich eine Geheimspur durch die deutsche Geschichte, denn es war ein Geheimschreiber, auf dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg den Walküre-Befehl auf einem Lochstreifen absetzte. Das Chiffrat sollte die nachgeordneten Dienststellen des Wehrmacht dazu auffordern, alle Gestapo und SS-Dienststellen zu besetzen und die Konzentrationslager zu öffnen. Für die Verschlüsselung und Entschlüsselung war bei der Wehrmacht Erich Hüttenhain zuständig, der später im BND und der Zentralstelle für Chiffrierwesen arbeitete. Einige seiner Erkenntnisse wurden in den Chiffriermaschinen der Schweizer Crypto AG umgesetzt, etwa in den Bundeswehr-Maschinen, die die Kieler Firma Hell in Lizenz baute.

*** Damit sind wir bei den Cryptoleaks, dem Aufreger-Thema dieser Woche schlechthin, das die europäische Presse und die Washington Post beschäftigte. Aufreger-Thema? Nur wegen ein paar Tausend kompromittierter Chriffriergeräte, die weltweit im Einsatz waren und von einer Crypto AG kamen, die insgeheim dem BND und der NSA gehörte? Ach was, das ist doch ein Thema der Schweizer, sollen die sich doch darum kümmern.

Bei der Crypto AG war kurzzeitig ein Disclaimer zu finden, der auf Kriegsfuß mit der Aussagenlogik stand. Mittlerweile ist die Erklärung länger geworden, doch nicht besser. Es ist ja auch sooo lange her, das alles. Selbst die wichtigsten Bücher zum Thema wie Verschlüsselt von Res Strehle findet man nur noch im Archiv.

*** Beim BND, der mit seiner finanziellen Beteiligung von 1970 bis 1993 zusammen mit der NSA die Geschicke und die Geräte der Crypto AG bestimmte, findet sich, ähem, nichts. Zum Herunterladen steht Das Ding unter dem seltsamen Titel "Repräsentative Vorfahrt" bereit, aber sonst? Immerhin gibt es eine Stellungnahme des BND-Präsidenten Bruno Kahl in der aktuellen Ausgabe der GSZ. Es ist das übliche Gerede darüber, dass das Recht der Nachrichtendienste mit den tatsächlichen Bedrohungen Schritt halten muss und diese genau wie Kriminelle und Terroristen immer auf dem neuesten Stand der Technik arbeiten müssen. Dazu gibt es eine Erläuterung: "Dabei geht es nicht um eine Erweiterung der Kompetenzen, sondern nur um die Übertragung auf neue Medien. Ein Beispiel: Ein deutscher Gefährder bewegt sich im Ausland im Aufklärungsbereich des BND und kommuniziert verschlüsselt über sein Smartphone. Nach geltendem Recht dürfen wir nicht verdeckt sein Mobiltelefon infiltrieren, obwohl ausländische Dienste uns darauf hinweisen, dass die Person in terroristische Aktivitäten oder in den Menschenhandel verstrickt ist. Hier sollte der BND eine Rechtsgrundlage bekommen, um gemeinsam mit den anderen Sicherheitsbehörden seinen Beitrag für die Gewährleistung unserer Sicherheit effektiv und verantwortungsvoll leisten zu können." Überträgt man diese Aussage über das "Infiltrieren" in die Vergangenheit, bleibt übrig, das man effektiv die Verschlüsselung brechen konnte. Wie sagte es der damalige Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer: "Die Aktion Rubikon hat sicher dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geblieben ist."

Zum Ende der Woche ist ein weiteres altes Staatsgeheimnis gelüftet worden, jedenfalls ein bisschen. Der Text des Betreibervertrages zur LKW-Maut von 2002 zwischen Bundesregierung und Toll Collect ist veröffentlicht worden und dürfte in den nächsten Wochen für Diskussionen unter den Juristen sorgen. Oder auch nicht. Vielleicht bleibt es beim Schweigen der Belämmerten. Denn 15.000 Seiten mit den Anhängen fehlen, insbesondere E 1.1 zum technischen Konzept und natürlich die Anhänge, in denen die enormen Summen stehen, die Toll Collect einstreichen konnte. Das wurde dank Wikileaks bekannt, das 2009 die Anhänge veröffentlichte. 700 Millionen Euro genehmigte sich Toll Collect, bei damals (2002) geschätzten Mauteinnahmen von 3 Milliarden, dazu noch einmal 24,8 Millionen für die jährliche Wartung der Software.

(Bild: Juergen Faelchle / Shutterstock.com)

Was ohne die Anhänge auch nicht funktioniert, ist die Bewertung der technischen Innovation, die im gesamten Mautsystem steckt. Daran ist auch das Schiedsgericht gescheitert, als es 2011 bewerten sollte, wie dank der Nutzung bewährter "Off-The Shelf"-Produkte das "innovativste Maut-System seiner Zeit" entstehen konnte. Zur ehrenwerten historischen Dokumentation durch "Frag den Staat" kommt noch ein aktueller Aspekt: bekanntlich fordern Grüne nach der Ausweitung der LKW-Maut auf Bundestraßen nun die Bemautung der Kommunalstraßen. (jk)