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Interview mit Wim Wenders: Meine Fotografie tut den Filmen gut 0 Kommentare

Nach Pina zeigt Wim Wenders erneut eine Dokumentation: The Salt of the Earth. Gewidmet ist sie dem Brasilianer Sebastião Salgado – einem der renommiertesten Fotografen der Gegenwart. Ein Interview.

Das Festivalpublikum in Cannes hat Wim Wenders' neuen Film The Salt of the Earth bei seiner Weltpremiere mit minutenlangem Beifall gefeiert. Der Regisseur widmet sich darin nach seinem erfolgreichen 3D-Film Pina erneut einem dokumentarischen Thema. The Salt of the Earth ist eine bildgewaltige Hommage an das Werk des international renommierten brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado (70). Der deutsche Beitrag lief am Dienstagabend in der Sektion Un Certain Regard. Aliki Nassoufis hat Wim Wenders zum Interview getroffen:

Mit ihren Filmen haben Sie sich international einen Namen gemacht. Was jedoch weit weniger Menschen wissen, ist dass Sie auch als Fotograf arbeiten und Ihre Bilder in Ausstellungen zu sehen sind. Was bedeutet Ihnen die Fotografie?

Wenders: Die Geschichte der Malerei und der Fotografie sind für mich immer ein wichtiger Einfluss auf meine filmische Arbeit gewesen. Das Fotografieren nimmt inzwischen einen großen Teil meiner Zeit ein und ist zu meinem zweiten Leben geworden. Was den Filmen gut tut. Die dauern ja heute eh immer ein paar Jahre, aber jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, auf irgendwas warten zu müssen. Ich kann mich zwischendurch monatelang auf die Fotografie konzentrieren.

Sebastião Salgado mit seinem Fotoband Genesis

Sebastião Salgado mit seinem Fotoband Genesis

(Bild: Taschen Verlag)

Nun widmen Sie sich in Ihrem Dokumentarfilm The Salt of the Earth dem Brasilianer Sebastião Salgado, einem der renommiertesten Fotografen der Gegenwart. Warum haben Sie sich nach Pina entschieden, wieder eine Doku zu drehen – und dieses Mal in Co-Regie mit Salgados Sohn Juliano?

Wenders: Man kann nicht sagen, dass ich das wirklich "entschieden" habe. Das hat sich so ergeben. Die Filme überlappen sich ja auch immer. Ich kenne Salgado seit vielen Jahren, und er hat mich ganz direkt gefragt, ob ich seinen Sohn und ihn bei dem großen Projekt Genesis begleiten könnte. Daraus ist dann im Laufe von zwei Jahren ein langer Film über seine ganze Karriere geworden. Das ist das Schöne an Dokumentarfilmen: Sie haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, und man kann das nicht immer so im Voraus planen.

Was unterscheidet Salgado Ihrer Ansicht nach von anderen Fotografen unserer Zeit?

Wenders: Andere Fotografen sind ein paar Tage in einem Krisengebiet, oder nur ein paar Stunden. Salgado hat oft Monate zugebracht, um die Menschen dort kennenzulernen. Oder er war über viele Jahre immer wieder in einem Land. Seine großen Projekte, wie Exodus über Völkervertreibungen und Verfolgungen, oder Workers über Schwerstarbeit in der ganzen Welt, die haben jeweils acht bis zehn Jahre gebraucht. Kein anderer hat sich immer so viel Zeit gelassen und sich dermaßen auf die Menschen und die Regionen eingelassen, wo er hingereist ist.

Haben Sie ein Lieblingsfoto von Salgado? Wenn ja: Was fasziniert Sie daran?

Wenders: Bevor ich Sebastiao Salgado kannte, vor über 20 Jahren, habe ich zwei Fotografien von ihm in einer Galerie gekauft. Beide hängen seitdem in meinem Arbeitszimmer. Eines zeigt eine Tuareg-Frau, die mit einer unglaublichen Würde und Schönheit, aber auch mit einem großen Schmerz aus dem Bild herausschaut, und erst auf den zweiten Blick ahnt man, dass sie erblindet ist. Das andere zeigt Arbeiter in einer riesigen offenen Bergwerksgrube, einer gewaltigen Szenerie, die einem wie aus biblischen Zeiten vorkommt. Das Ergreifende an beiden Bildern ist für mich ihre Wahrheit. Solche Fotos macht man nicht im Vorübergehen, sondern nur, indem man sich mit diesen Menschen und diesen Situationen lange befasst und identifiziert. Deswegen auch unser Filmtitel: Das Salz der Erde. Salgado ist wie kaum ein anderer der Chronist des Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts. Das sind WIR in seinen Bildern: die Menschheit.

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Wim Wenders, 1945 in Düsseldorf geboren, wurde mit der Romanverfilmung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Anfang der 1970er Jahre einem größeren Publikum bekannt. Es folgten international anerkannte Werke wie Paris, Texas, Der Himmel über Berlin, In weiter Ferne, so nah! sowie die Dokumentationen Buena Vista Social Club und Pina. Der 68-jährige Regisseur war für zwei Oscars nominiert und gewann unter anderem die Goldene Palme in Cannes und den Deutschen Filmpreis. (keh [2])


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