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Wunsch nach Internet soll Ölkatastrophe in Mauritius ausgelöst haben

Daniel AJ Sokolov
MV Wakashio nahe eines Strandes, im Vordergrund zwei Arbeiter in Schutzanzügen

Die MV Wakashio sitzt am 13. August 2020 auf einem Riff vor der Südküste Mauritius', nahe des internationalen Flughafens.

(Bild: IMO CC BY 2.0)

Ein leeres Frachtschiff zerbricht an einem Riff, zwei Wochen später verursacht Treibstoff eine Umweltkatastrophe. Warum ist das Schiff so nahe am Ufer?

Die Umweltkatastrophe an der mauritischen Küste soll auf den Wunsch nach Internetzugang zurückgehen. Das hat der Kapitän des Schiffes ausgesagt. Am 25. Juli 2020 war der unbeladene Massengutfrachter MV Wakashio vor der Südküste Mauritius' auf ein Korallenriff gelaufen. Am 6. August begann Treibstoff auszutreten, der eine Umweltkatastrophe auf der Insel ausgelöst hat.

Neben einem Gerichtsverfahren gegen den Kapitän läuft eine Untersuchung durch ein eigens eingerichtetes Tribunal. Dessen öffentliche Anhörungen sollen am Montag zu Ende gehen. "Wir hatten kein Internet auf dem Schiff und ich habe zugestimmt, vor Mauritius zu ankern, damit die Besatzung mit Verwandten kommunizieren kann, weil das die Moral der Besatzung hoch hält", hat Kapitän Sunil Kumar Nandeshwar ausgesagt, berichtet africanews [1]. Nahe der Küste erhoffte sich die Besatzung ein Mobilfunksignal.

Der 59-jährige Inder ist erfahrener Seemann mit zuvor makelloser Karriere. Seit über 40 Jahren ist er zur See gefahren, seit 25 Jahren als Kapitän. Im Dezember 2019 hat er die MS Wakashio übernommen, ein japanischer aber unter der Flagge Panamas betriebener Massengutfrachter. Der Vertrag lief eigentlich nur bis Mai, doch aufgrund der Coronavirus-Pandemie mussten Nandeshwar und seine Besatzung an Bord bleiben und weiterfahren – wie weltweit mehr als 400.000 Matrosen.

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Im Juli sollte das Capesize [4]-Schiff, das eine deadweight tonnage von 203.000 Tonnen aufweist, von Singapur nach Brasilien fahren. Fracht war keine an Bord. Die Route führt an Mauritius vorbei, wo der Kapitän nach eigener Aussage bei früheren Fahrten schon zehn bis 15 Mal nahe an die Küste gekommen ist. Denn dort gibt es Aussicht auf ein Mobilfunk-Signal. Das berichtet die mauritische Tageszeitung Le Express [5].

Die Küstenwache habe das nie gestört, so Nandeshwar. Manchmal sei er per Funk nach seinen Plänen gefragt worden. Letzten Sommer gab es keine Kontaktaufnahme. Das ist offenbar nicht vorgeschrieben, und gleich zwei Radaranlagen der afrikanischen Flitterwochen-Insel waren seit Monaten außer Betrieb.

Fehlender oder mangelhafter Internetzugang an Bord ist seit Jahren eine schwere Belastung für Seefahrer. Verbände und Gewerkschaften fordern schon lange kostenlosen Internetzugang und Satellitentelefonate für Matrosen an Bord.

Da die Coronavirus-Pandemie mehr als 400.000 Seeleute seit bald einem Jahr daran hindert, nach Hause zu kommen, ist die Situation dramatisch wie nie. Das International Seafarers' Welfare and Assistance Network [6] fordert 2 Gigabyte Daten gebührenfrei für jeden Seefahrer pro Monat, die mit eigenen Geräten und ohne Mithörer auch für Voice-over-IP genutzt werden können, verbunden mit Schulungen in IT-Sicherheit und dem Gebrauch Sozialer Netzwerke.

Der japanische Betreiber der MV Wakashio, die Mitsui O.S.K. Lines, gewährt nach eigenen Angaben auf seinen Schiffen sogar unbegrenzt Internetzugang. Mitsui O.S.K. Lines ist eine der größten Reedereien der Welt. Allerdings stand die Wakashio im Eigentum einer anderen Firma, die zum Firmengruppe Nagashiki Shipping gehört. Und tatsächlich haben mehrere Besatzungsmitglieder ausgesagt, vor der Südküste Mauritius' mit ihren Handys nach einem Mobilfunksignal gesucht zu haben.

Die Aussagen vor dem Tribunal darüber, wer an Bord wann welchen Routenbefehl gegeben hat, gehen auseinander. Der Kapitän gibt zu, bei einer Geburtstagsfeier an dem Tag Alkohol konsumiert zu haben – aber außerhalb seiner Dienstzeit. Dennoch habe er gemerkt, dass das Schiff zu nahe an Land war, und eine Kurskorrektur befohlen. Danach habe er sich nicht mehr in die Arbeit der diensthabenden Offiziere eingemischt.

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Friedliches Miteinander

Mauritius zeichnet sich durch friedliches Miteinander von Hindus, Moslems, Christen, Budhhisten und anderen aus. Das Bild zeigt einen hinduistischen Tempel in der Hauptstadt Port Louis. Zu Kirchen und Moscheen hat man es nicht weit.
(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Bei dem Unfall kam zunächst Wasser in den Maschinenraum. Das dabei entstandene Wasser-Öl-Gemisch wurde nicht abgepumpt – laut Aussage des Cheftechnikers um Umweltverschmutzung zu vermeiden. Der Ballast konnte hingegen nicht abgelassen werden: Die Ventile ließen sich aufgrund eines Kurzschlusses nicht öffnen.

Die Behörden der im indischen Ozean gelegenen Republik Mauritius waren auf einen Ölunfall nicht vorbereitet. Erst zwölf Tage nachdem das Schiff auf das Riff aufgelaufen war, kam die Küstenwache an Bord – das könnte an Coronavirus-Quarantänebestimmungen gelegen haben.

Zunächst gab es offenbar auch keine großen Bedenken. Die Tanks waren leer und das Schiff wirkte strukturell intakt. Am 31. Juli trafen Bergungsexperten des niederländischen Unternehmens SMIT Salvage bei dem gestrandeten Tanker ein. Zu der Zeit wies die Wakashio noch keine Risse auf. Der hintere Teil des Schiffes schwomm im Wasser, die Mitte saß auf dem Riff. Wellengang hatte das Ruder beschädigt.

Am 2. August begann sich das Deck zu wölben. Spätestens ab 4. August gab es an Bord keinen Strom mehr. Am Morgen des 5. August verließ der Kapitän das Schiff – der genaue Grund geht aus den verfügbaren Informationen nicht hervor. Der Mann könnte abgelöst worden sein, oder ohne Strom sowieso nichts auszurichten gehabt haben. Am 6. August pumpten die Bergungsexperten Wasser in einen 23.000 Kubikmeter fassenden Tank [9] der Wakashio. Das war offenbar ein Versuch, das Schiff vom Riff loszueisen.

Doch noch an diesem 6. August begann Schweröl aus dem 1183 Kubikmeter fassenden Tank für den Dieselantrieb des Schiffes auszutreten. Das Tribunal soll unter anderem klären, ob das mit der Wasserbefüllung zusammenhängt. Der ausgetretene Treibstoff breitete sich über mehr als zwei dutzend Quadratkilometer aus und hat die größte Umweltkatastrophe der Geschichte Mauritius' ausgelöst. Ein Umweltschutzgebiet und mehrere Strände und Lagunen sind verseucht. Dutzende tote Delphine und Wale wurden an Strände gespült, was jedoch auch ohne Öl schon vorgekommen ist. Ein Zusammenhang wird untersucht.

Erst am 11. August begann ein Ölunternehmen damit, den an Bord verbliebenen Treibstoff abzupumpen. Am 15. August ist die MS Wakashio schließlich auseinandergebrochen. Am 18. August wurde der Kapitän verhaftet. Ihm drohen bis zu 60 Jahre Haft. Seine Familie engagierte den erfahrensten Anwalt des Landes, der jedoch bald abgelöst wurde: "Dunkle Kräfte" [10] hätten dabei ihre Hand im Spiel gehabt. Nun stellt die Versicherung des Schiffes den Anwalt.

Zwar gab es unter der Besatzung des Massengutfrachters keine Todesopfer, aber bei den Bergungsarbeiten sind vier Menschen gestorben: Die mauritische Hafenbehörde hatte ihren Schlepper Sir Gaëtan Duval dazu eingesetzt, eine Barge zu dem Wrack zu schleppen. Die Duval stand für weiteres Öl-Abpumpen bereit, sollte das notwendig werden. Am 31. August kollidierte die Duval bei rauem Seegang mit der von ihr gezogenen Barge und sank. Vier der acht Menschen an Bord konnten sich nicht retten.

Inzwischen wurde der größte Teil des Frachters aufs offene Meer gezogen und versenkt. Der auf den Korallenriff aufsitzende rückwärtige Teil samt Brücke soll auseinandergenommen werden. Beauftragt ist ein chinesisches Unternehmen. Diese Arbeiten haben aber erst vergangene Woche begonnen und mussten wegen Schlechtwetters gleich wieder unterbrochen werden.

Die Umweltkatastrophe hat trotz Coronavirus-Pandemie zu Massenprotesten in Mauritius geführt, wie das Land sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Die Demonstranten kritisieren, dass selbst riesige Schiffe regelmäßig völlig unkontrolliert in mauritische Gewässer einfahren können. Vor allem aber werfen sie der Regierung Versagen bei Vermeidung und Säuberung der Ölkatastrophe vor.

Diese Kritik wird unter anderem von Dr. Michael Atchia bekräftigt. Der mauritische Wissenschaftler hat von 1986 bis 1997 für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gearbeitet. Damals, 1986, bat Mauritius UNEP und die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) um Hilfe bei der Entwicklung eines Plans gegen Ölverschmutzungen. Dieser wurde 1987 ausgearbeitet, aber offenbar nicht umgesetzt.

"Hätte die (für Schiffswracks zuständige Behörde) des Hafens die Wakashio am Morgen nach dem Auflaufen übernommen und das Öl abgepumpt, mit schwimmenden Barrieren rund um das Schiff, hätte es kein Ölverschmutzung gegeben", sagte Atchia zur Mauritius Times [11], "Zwölf Tage zu warten ist, gelinde gesagt, grob fahrlässig und die falsche Entscheidung."

(ds [12])


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.africanews.com/2021/02/16/mauritius-oil-spill-captain-claims-he-drifted-ashore-in-search-for-internet/
[2] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5061333.html?back=5061327;back=5061327
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5061333.html?back=5061327;back=5061327
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Capesize
[5] https://www.lexpress.mu/article/389030/capitaine-wakashio-jai-navigue-entre-10-et-15-fois-pres-cotes-mauriciennes
[6] https://www.seafarerswelfare.org/
[7] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5061341.html?back=5061327
[8] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5061341.html?back=5061327
[9] https://www.lexpress.mu/article/389111/cour-dinvestigation-jai-tout-entretenu-correctement-avant-larrivee-salvors
[10] https://www.lexpress.mu/article/382111/forces-occultes-ont-peur-que-verite-sur-contenu-wakashio-eclate-dit-yousuf-mohamed
[11] http://www.mauritiustimes.com/mt/if-the-receiver-of-wrecks-had-taken-over-the-wakashio-the-morning-after-the-wreck-26th-july-there-would-have-been-no-oil-spill/
[12] mailto:ds@heise.de