25 Jahre GNU ist nicht Unix

Heute vor 25 Jahren versuchte Richard Stallman die Unix-Wizards zu bewegen, einen ausreichenden Vorrat freier Software zu programmieren, der Entwicklern das Überleben sichern kann, abseits aller Zwänge, die proprietäre Software mit sich bringt.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 25 Jahren versuchte Richard Stallman mit dem Schlachtruf Free Unix! die Unix-Wizards zu bewegen, mit ihm zusammen einen ausreichenden Vorrat freier Software zu programmieren, der Entwicklern das Überleben sichern kann, abseits aller Zwänge, die proprietäre Software mit sich bringt.

Freie Liebe, freies Wissen, freie Software - wer denkt bei dieser Aufzählung nicht an die 68er Revolte gegen den Muff in der Wissenschaft und der Gesellschaft? Gegen etablierte und verkrustete Strukturen beharrten in einer weltweiten Bewegung kritische junge Leute darauf, dass es anders gehen kann, auch in der Technik. Gegen Großrechner von Konzernen wie IBM entstehen im Umfeld der Universitäten und Forschungslabors billigere Microcomputer und Betriebssysteme wie Unix. Amerikanische Programmierer, die nicht in den Vietnamkrieg ziehen wollten, schufen bei Xerox den Vorläufer der graphischen Benutzeroberfläche.

In Folge dieser Entwicklung bildete sich im akademischen Umfeld von Universitäten wie Stanford oder den Labors vom Massachussetts Institute of Technology die "Hackerkultur" heraus, eine von vielen Subkulturen der damaligen Zeit. Junge, sozial unangepasste Techniker unterwarfen sich einem mönchischen Lebenswandel, in dem nächtelanges Programmieren die Rolle der Meditation und Selbstbefragung übernahm, wie der Soziologe Pekka Himanen beobachtete. Alle so entstehenden Programme wurden ebenso wie die Zugriffsrechte im Zeichen der Nächstenliebe oder auch "Hacker-Ethik" geteilt.

Diese spezielle Form der akademischen Subkultur brach Anfang der 80er auseinander. Getrieben von einer gänzlich anderen Subkultur der Hobby-Bastler entstehen kleinere Rechner, die in Büros und Haushalte wandern, betrieben von Software, die als Ware verkauft wird. Der wütende Brief, den Bill Gates an die Hobbyisten richtete, ist insofern ein Auslöser für Stallmans Aufruf, Unix zu befreien. Die Erneuerer und "Hacker" verließen die Universitäten und Labors, um eigene Firmen zu gründen oder in Firmen einzusteigen, die kommerzielle Software produzierten.

Einer machte das Spiel nicht mit. In einem Aufsatz reflektierte Richard Stallman die Gründe für seinen Aufruf: "With my community gone, not continuing as before was impossible. Instead, I faced a moral choice. The easy choice was to join the proprietary software world, signing nondisclosure agreements and promising not to help my fellow hacker. Most likely I would also be developing software that was released under nondisclosure agreements, thus adding to the pressure on other people to betray their fellows too. I could have made money this way, and perhaps amused myself writing code. But I knew that at the end of my career, I would look back on years of building walls to divide people, and feel I had spent my life making the world a worse place."

Stallmans Entscheidung für freie Software ohne Nondisclosure Agreements hatte durchaus religöse Untertöne. In seinem Aufsatz zitiert der aus einem liberalen jüdischen Elternhaus stammende Atheist Stallman die berühmte Sentenz von Rabbi Hillel aus den Sprüchen der Väter: "Wenn ich nicht für mich bin, wer ist für mich? Und solange ich nur für mich bin, was bin ich? Und wenn nicht jetzt, wann denn?" Mit der Entscheidung ließ Stallman Bart und Haare wachsen, als Referenz an die Genügsamkeit, die die Gegenkultur vorlebte, in dem sie auf Erfolg und Karriere verzichtete.

Ausgerechnet Richard Stallman, der als Jugendlicher vehement den 68er-Protest, die Popmusik und Flower Power vehement ablehnte und sich niemals für die "unlogische" Gegenkultur begeistern konnte, nahm das Erbe auf, das ihm in den Schoß gefallen war, wie er in einem Gespräch konstatierte. Er war der einzige einer vergangenen Hackerkultur, der noch da war "But as I see it, while other people were defending against these big visible threats, I saw another threat that was unguarded. And so I went to defend against that threat. It may not be as big a threat, but I was the only one there."

Das auslösende Moment für Stallmans Engagement soll die Erfahrung mit einem Druckertreiber gewesen sein, doch wie Stallmans Biograph Sam Williams ermittelte, verliert sich diese Drucker-Geschichte im Ungewissen. Prägender dürften die Erlebnisse gewesen sein, das GNU-Projekt überhaupt zum Laufen zu bringen. Nicht von ungefähr berief sich Stallman vor 25 Jahren auf seine Verdienste als Emacs-Entwickler um eine virtuelle Community zur Mitarbeit zu motivieren: "I am Richard Stallman, inventor of the original much-imitated EMACS editor, now at the Artificial Intelligence Lab at MIT." Als Emacs-Entwickler bekannt und geschätzt, musste Stallman nach der Veröffentlichung von "Free Unix!" erkennen, dass es praktisch keine freie Software gab, mit der das GNU-Projekt starten konnte. Erst handelte sich Stallman eine Reihe von Niederlagen ein, ehe er sich 1984 dafür entschied, die Ambitionen herunter zu schrauben und GNU-Emacs zu entwickeln. In trockenen Tüchern war die Software-Befreiungsbewegung jedoch erst, als es 1985 gelang, mit 23.000 Dollar die Free Software Foundation (FSF) zu gründen, in der Stallman bis heute eine prägende Rolle spielt. Zur Gründung der FSF überarbeitete und erweiterte Stallman seinen ursprünglichen Aufruf. Für Viele ist daher das GNU Manifesto der eigentliche Startschuss der Bewegung für eine freie Software.

Dennoch erfährt auch der heutige Tag seine Beachtung. In der iX reflektieren der Programmierer Jon Maddog Hall und der Unix-Archivar Peter Salus über das Sternzeichen GNU. Netzpolitik veröffentlicht ein Interview mit Georg Greve von der FSF Europe und bringt damit die europäische Perspektive ins Spiel. Über den großen Teich hinweg ist ein Video mit dem britischen Schauspieler Stephen Fry zu sehen, komplett mit deutschen Untertiteln.

In einer Mail an heise online zu diesem Artikel betont Richard Stallman die historische Kontinuität: "The community I was talking about was not the 'academic community' as that term is usually understood. It was the hacker community, a community of programmers that developed software and shared it.

The free software community is the modern successor of the 1970s hacker community. It is not the same – much has changed – but then nothing continues unchanged."

(Detlef Borchers) / (jo)