Bewertungsportale, Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte: BGH prüft spickmich.de

In der Auseinandersetzung um die Lehrerbenotungen auf spickmich.de wird vom Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil erwartet, wie weit Bewertungsportale im Internet in das Persönlichkeitsrecht eingreifen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 239 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • dpa

Generationen von Schülern dürften davon geträumt haben – im Zeitalter des Internet wird es Wirklichkeit: Auf spickmich.de können Schüler ihren Lehrern Noten geben, und zwar in Fächern wie "fachlich kompetent" oder "gut vorbereitet". Sogar eine Art Verhaltensnote gibt es, bewertet werden Eigenschaften wie "menschlich" oder "cool und witzig". Weil eine Lehrerin aus Moers in Nordrhein-Westfalen das weder witzig noch cool fand – bei einem Notenschnitt von 4,3 wenig verwunderlich – verhandelt an diesem Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) über den Fall.

Die Kernfrage lautet: Ist das Persönlichkeitsrecht der Frau verletzt, weil sie in einem wenig nachprüfbaren und noch dazu anonymen Verfahren mit schlechten Zeugnissen an den Pranger gestellt werden kann? Bisher haben Gerichte der unteren Instanzen die Frage durchweg verneint. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln, Vorinstanz im BGH-Verfahren, entschied zuletzt im Sommer 2008: Die Zeugnisse sind von der Meinungsfreiheit gedeckt. Unter anderem, weil lediglich die "Sozialsphäre" der Lehrer betroffen sei – also ihr berufliches Wirken - und nicht etwa das deutlich stärker geschützte Privatleben. Außerdem: Dass die Pädagogen damit an einen "öffentlichen Pranger" gestellt würden, stellt das OLG schon wegen des beschränkten Zugangs zum Portal in Abrede. Wer auf spickmich.de Bewertungen abgeben oder einsehen will, muss sich online anmelden, mit Name und E-Mail-Adresse. Und auch dann bleibt der Zugang auf "seine" Schule beschränkt.

Allerdings ist es nicht sonderlich schwierig, sich Zugang zu verschaffen. Ein Selbsttest zeigt: Ob mit korrektem oder falschem Namen, das Log-in ist eine Angelegenheit von anderthalb Minuten. Das räumt auch Manuel Weisbrod vom Kölner Betreiber der Internetseite ein. Für die Anmeldung sei nur eine Mail-Adresse notwendig, eine Nachprüfung finde nicht statt. Er vertraut auf die Aufmerksamkeit der anderen Schüler. Sie sollen Auffälligkeiten im eigens eingerichteten Feld "Hier stimmt etwas nicht!" umgehend melden.

Auch das OLG vertraut auf die Selbstkorrektur durch die spickmich-Schüler – schon deshalb, weil die sichere Identifizierung jedes einzelnen Nutzers einen "unverhältnismäßigen Aufwand" bedeute. Mehr als 1,1 Millionen Nutzer sind nach Angaben von Weisbrod registriert, 450 000 Lehrer aus 32 500 Schulen seien zu finden.

Wahrscheinlich wird der BGH – aller Voraussicht nach schon am morgigen Dienstag – ein Grundsatzurteil fällen, das weit über die Befindlichkeiten gekränkter Lehrer hinausreichen dürfte. Bewertungsportale haben Konjunktur: Professoren, Ärzte, Anwälte und andere Berufsstände sehen sich der Benotungswut ihrer Klientel ausgesetzt. So wird auch die AOK am Dienstag das Karlsruher Geschehen aufmerksam verfolgen. Vor kurzem hat die Krankenkasse angekündigt, ihre 24 Millionen Versicherten sollten ihren Ärzten künftig Noten geben dürfen. Vom kommenden Jahr an sollen die Versicherten Leistung und Service der etwa 185 000 niedergelassenen Mediziner bewerten dürfen. Ärzteverbände reagierten erwartungsgemäß wenig amüsiert: Über gute Medizin könne man nicht einfach abstimmen wie bei "Deutschland sucht den Superstar", kritisierte die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung.

Siehe dazu auch:

(Wolfgang Janisch, dpa) / (jk)