Elektronische Gesundheitskarte: Doppelt moppeln beim Rollout

Schritt für Schritt kommt der Basis-Rollout der elektronischen Gesundheitskarte, wurde auf der Fachmesse "IT-Trends in der Medizin" bekräftigt. "Die wirklich spannenden Fragen kommen erst noch", hieße es aber auch etwa zur Online-Anbindung der Testpraxen.

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Von
  • Detlef Borchers

Schritt für Schritt kommt der Basis-Rollout der elektronischen Gesundheitskarte, berichteten und bekräftigten die Referenten der diesjährigen Fachmesse IT-Trends in der Medizin. Auch wenn noch viele Fragen offen sind und die Praxistauglichkeit des Systems nach Aussagen aus den Feldtests noch nicht beweisbar ist, zeigten sich alle Beteiligten in Essen sehr zuversichtlich.

Den Auftakt zu einer Vortragsreihe, die laut Titel eine "Standortbestimmung" des Telematik-Projektes geben sollte, machte Stefan Bales vom Bundesgesundheitsministerium. Er beschäftigte sich mit den Kritikern der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die großvolumige USB-Sticks oder die Abschaffung der PIN-Eingabe durch den Patienten fordern. "Natürlich sind USB-Sticks einfacher, aber sie entsprechen nicht den hohen Anforderungen an die Datensicherheit", erklärte Bales. Auch die PIN sei ein Sicherheitsfaktor, der sich technisch bewährt habe. Bales mahnte die Kritiker, sachlich zu bleiben und freute sich über den anstehenden Basis-Rollout in der Region Nordrhein. Nach dem Rollout könne die Online-Verbindung und die Aktualisierung der Versichertendaten auf der eGK zügig aufgebaut werden und noch im zweiten Halbjahr kommen. Unter Verweis auf das europäische SOS-Projekt betonte Bales, dass eHealth in ganz Europa ein wichtiges Thema sei.

Für die verantwortliche Projektgesellschaft Gematik gab der kaufmännische Geschäftsführer Peter Bonerz einen Überblick der aktuellen Lage. Gegenüber dem letzten Sachstandsbericht ist Bonerz zufolge die Fehlerquote von 4,4 Prozent auf 4,2 Prozent gesunken (1062 Fehler bei 25115 Aktivitäten einer eGK). Vor allem aber sei die Akzeptanz und die Zufriedenheit mit den neuen Arbeitsabläufen gestiegen. Hierzu werde man in Kürze eine Befragung unter 101 von deutschlandweit 188 Ärzten und 51 (von 114) Apothekern vorlegen. Der Basis-Rollout in der Region Nordrhein wird nach Bonerz durch zwei "Quality Gates" begleitet, bei denen jeweils die Logistik der Ausstattung mit Kartenterminals und des Kartenversands geprüft wird, um für andere Regionen Erkenntnisse zu sammeln. Auch wenn es derzeit noch keine zertifizierten Terminals gebe, sei er zuversichtlich, dass der Rollout in Nordrhein im Zeitplan bleibe. Allen "Grenzgängern" aus Nordrhein, die Ärzte in anderen Regionen aufsuchen wollen, empfahl Bonerz, die herkömmliche Versicherungskarte nicht wegzuwerfen. Doppelt gemoppelt sei in diesen Fällen sicherer.

Seitens der Ärzte rekapitulierte Franz-Joseph Bartmann, Telematik-Experte der Bundesärztekammer, zunächst die Debatten des letzten Ärztetages, auf dem die Ärzte die eGK in der bisherigen Form abgelehnt haben. Mit dem danach entwickelten Forderungskatalog sei ein kritischer Dialog mit dem Gesundheitsministerium geführt worden, bei dem ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielt worden sei. "Die Befürchtungen der Ärzte sind gehört worden." Bartmann zeigte sich zuversichtlich, dass die Akzeptanz der eGK unter den Ärzten steigen wird, wenn alle Bedingungen der Ärzteschaft erfüllt sind.

Wie die Akzeptanz in der Bevölkerung gesteigert werden kann, führte anschließend Ulf Göres vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen aus. Nach Göres sei das Wissen über die EGK "rein medienvermittelt", darum wollen die BKK ihre 14 Millionen Versicherten mit Infoflyern, Webistes und einer Support-Hotline selber aufklären und zum aktiven Gesundheitsmanagement aufrufen. Die in vielen Umfragen festgestellte "hohe Bereitschaft zur Datenfreigabe" werde man mit der Förderung von Mehrwertdiensten weiter ausbauen. Als Beispiel für einen solchen Mehrwert führte Göres die Speicherung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf der eGK an. Mit diesem Beispiel erntete der Referent sofort Protest von anwesenden Ärzten, die meinten, dass eine eGK grundsätzlich nicht in die Hände der Arbeitgeber gehöre, auch wenn auf ihr die Daten sicher verschlüsselt seien.

Erheblich nüchterner fiel anschließend der Bericht von den Feldtests aus, den Marco Hördt, stellvertretender Projektleiter der Testregion Bochum/Essen, ablieferte. Hördt betonte, dass die Praxistauglichkeit der eGK mangels ausreichender Basis "noch nicht beurteilbar" sei. So seien bundesweit in allen Testregionen die Möglichkeit, Notfalldatensätze anzulegen, bisher noch kaum genutzt worden. Rund 300 Notfalldatensätze seien erst in Deutschland auf eine Karte geschrieben worden, was auch damit zusammenhänge, dass Versichertendaten nicht aus Paxisverwaltungssystemen übernommen werden können. Den Umgang der Patienten mit den verschiedenen PIN einer Karte sei "erlernbedürftig", wie überhaupt die Aufklärung über die Karte und den Datenschutz sehr aufwendig und zeitintensiv sei. Hördt bemängelte die hohe Frequenz von Firmware-Updates in den Testpraxen und die "unzureichende Performanz" beim Signieren elektronischer Verordnungen. Außerdem sei der Dispensierungsprozess in den Apotheken noch nicht umgesetzt: Elektronische Rezepte müssen dort ausgedruckt werden, um vom papierbasierten Wiegesystem erfasst werden zu können. "Die wirklich spannenden Fragen kommen erst noch", erklärte Hördt unter Verweis auf die anstehende Online-Anbindung der Testpraxen.

Gilbert Mohr, der Projektmanager des Basis-Rollouts in Nordrhein, gab sich zuversichtlich, dass der Rollout gestemmt werden kann. Zwar fehlt diesem Rollout im Westen Deutschlands noch die Zustimmung der Zahnärzte. Anders als die Ärzte, deren Finanzierungsvereinbarung einmalige Pauschalen für den Kauf des Kartenterminals und für die Softwareinstallation vorsieht, bestehen die Zahnärzte darauf, dass auch ein später notwendig werdender Austausch von den Krankenkassen bezahlt wird. Doch sonst sei das Projekt in guter Verfassung, auch wenn derzeit noch kein Kartenterminal zugelassen und vom BSI geprüft sei. Dieser "Engpassfaktor" führe dazu, dass die meisten Praxen erst im 1.Quartal mit den neuen e-Health-BCS-Kartenterminals ausgestattet werden können. Dementsprechend sei die Auslieferung der ersten Gesundheitskarten frühestens zum Ende dieses Quartals zu erwarten. Mohr betonte, dass die Krankenkassen einen besonderen Wert darauf legen würden, dass die Online-Anbindung der Krankenkassen so schnell wie möglich nach dem Basis-Rollout erfolgen soll, weil ein sehr großes Interesse bestehe, die Versichertenstammdaten online abzugleichen.

Doch auch diese Online-Anbindung steht unter einigen Vorbehalten, wie Sybille Mund von Siemens Healthcare aus Erlangen in ihren Ausführungen zum zertifizierten updatefähigen Konnektor betonte. Noch arbeite das BSI an den "Protection Profiles", aus denen dann die Prüfverfahren und schließlich die Zertifikation entwickelt würden. "Wir werden in einem Jahr entsprechende Produkte auf dem Markt sehen", erklärte Mund. Entscheidend sei dabei die automatische Updatefähigkeit der Konnektoren, damit man mit dem Abgleich der Versichertenstammdaten beginnen könne.

Mit einem updatefähigen Konnektor können später weitere Anwendungen wie die "Mehrwertkommunikation der Leistungserbringer" (MWKLE) nachgeladen werden. Hinter dem neuen Kürzel verbirgt sich der elektronische Arztbrief, der nach einer heise online vorliegenden Durchführungsanweisung aus dem Gesundheitsministerium vorgezogen installiert werden muss, um die Akzeptanz unter den Ärzten zu fördern. Während der elektronische Arztbrief im Sinne des SGB eine freiwillige Anwendung ist und der Versicherte sein Einverständnis zur Anlage eines solchen Briefes mit seiner PIN dokumentieren muss, ist bei der MWKLE kein Mitwirken des Patienten erforderlich. Der offizielle Arztbrief nach SGB soll später kommen, denn doppelt gemoppelt hält einfach besser.

Einen Hintergrundartikel zur Technik der der elektronischen Gesundheitskarte veröffentlichte c't in der Ausgabe 18/08:

  • Karte ohne Eigenschaften, Die Infrastruktur für die elektronische Gesundheitskarte, c't 18/08, S. 76

Zur elektronischen Gesundheitskarte siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)