Mathematischer Indikator für die Finanzkrise

Extrem-Ereignisse wie Monsterwellen oder Hurrikane, Erdbeben, Kriege oder Börsencrashs ließen sich bisher kaum vorhersagen. Jetzt entdecken Forscher überraschende mathematische Gemeinsamkeiten, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Extrem-Ereignisse wie Monsterwellen oder Hurrikane, Erdbeben, Kriege oder Börsencrashs ließen sich bisher kaum vorhersagen. Jetzt entdecken Forscher überraschende mathematische Gemeinsamkeiten hinter diesen verschiedenartigen Phänomenen, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 1/2009 (ab dem 18. 12. am Kiosk oder ab sofort hier portokostenfrei online zu bestellen).

Statt innerhalb der einzelnen Fachgebiete nach besseren Prognose-Methoden Ausschau zu halten, machen sie sich nun auch interdisziplinär auf die Suche – und fahnden nach mathematischen Parallelen und universellen Wurzeln des Extremen. Anfang November trafen sich dazu Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen in Palma de Mallorca zum Kongress "Extrem Events: Theory, Observations, Modeling and Prediction".

So hat etwa das Team um den Oldenburger Physikprofessor Joachim Peinke eine neue Form der Zeitreihen-Analyse entwickelt, die fünf bis zehn Stunden vor einem Erdbeben einen prägnanten Übergang in den seismischen Signalen aufspüren und so frühzeitig vor schweren Erdbeben warnen kann. Die Methode kommt eigentlich aus der Turbulenzforschung und basiert auf einer "fraktalen", also gebrochenen Geometrie. Peinke und sein Team haben ihre Erkenntnisse jüngst veröffentlicht und warten nun auf die Reaktion der Fachwelt.

Peinke wendet die fraktale Geometrie bereits unter anderem an, um Windböen vorherzusagen. Ein Windmesser erfasst dazu laufend die Windgeschwindigkeit und füttert damit einen Computer. Der soll aus den Messdaten herauslesen, ob ein paar Sekunden später eine heftige Böe an den Rotorblättern rüttelt. "Dann kann ich die Rotorblätter rechtzeitig aus dem Wind drehen und so die Anlage vor Extremlasten schützen", sagt Peinke. Der Hintergrund: Defekte an Windkraftanlagen machen, so Peinke, "20 bis 30 Prozent der Kosten der Windenergie aus".

Mit ähnlichen Verfahren versuchen manche Experten, Finanzmärkte und Börsenkurse zu beschreiben. "Mit den üblichen Methoden der Statistik ist sie nicht zu erfassen", meint Didier Sornette, Professor für unternehmerische Risiken an der ETH Zürich. "Man kann sagen: Mathematisch gesehen ist diese Finanzkrise ein Monster!" Die Standardverfahren der Ökonomie gehen davon aus, dass auch die größte Blase lediglich exponentiell wächst wie eine Geldanlage mit festem Zinssatz. "Doch wir haben festgestellt, dass eine Blase stets überexponentiell wächst", sagt Sornette. "Das wäre so, als würde sich die Zinsen jedes Jahr verdoppeln."

Mit etablierten Methoden ließen sich aber, so Sornette, solche kritischen, überexponentiellen Zustände nicht erkennen. Deshalb hielten Banker und Börsianer die Entwicklung lange für gesund und unterschätzten die Risiken. So war Alan Greenspan, ehemaliger Chef der US-Notenbank, der Meinung, man könne eine Blase erst dann erkennen, wenn sie geplatzt sei. "Das ist falsch", sagt Sornette. "Wir haben mathematische Diagnosemethoden entwickelt, mit denen sich eine Blase schon während ihres Entstehens erkennen lässt, und zwar an den überschießenden Wachstumsraten. Unsere Modelle sind sogar in der Lage, den Höhepunkt der Blase bis auf zwei oder drei Monate genau vorherzusagen." Mehrmals, berichtet Sornette, habe er Warnbriefe an Greenspan geschrieben. "Natürlich habe ich darauf nie eine Antwort bekommen." (wst)