Mathematisches Frühwarnsystem für Wirtschaftskrisen

Didier Sornette, Professor für Entrepreneurial Risks der ETH Zürich, hat nach eigenen Angaben eine Art mathematisches Frühwarnsystem für Börsenkrisen gefunden.

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Didier Sornette, Professor für Entrepreneurial Risks der ETH Zürich, hat nach eigenen Angaben eine Art mathematisches Frühwarnsystem für Börsenkrisen gefunden. Etablierte Wirtschaftswissenschaftler halten die Methode jedoch für wenig hilfreich, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 06/09 (seit dem 20.5. am Kiosk oder portokostenfrei online zu bestellen).

Sornette gilt als der führende Experte auf dem Feld der "Börsenphysik". Er glaubt, dass auch die Finanz- und Wirtschaftskrise im Grunde nicht durch äußere Ereignisse wie die Spekulationen am US-Immobilienmarkt verursacht wurde, sondern vom Wirtschaftssystem aus sich heraus erzeugt worden ist. Seit fünfzehn Jahren arbeitet der Physiker, der früher über die Prognose von Erdbeben geforscht hat und danach an der Abschätzung der Bruchgefahr von Raumraketen-Konstruktionsmaterial beteiligt war, an der systematischen Erforschung von extremen Situationen auf dem Finanzmarkt.

Das Ergebnis dieser Arbeit ist eine kühne These: Lässt sich an den Zeitreihen von Börsenwerten ein Wachstum beobachten, das nicht um einen festen Betrag ansteigt, sondern exponentiell und stärker, liegt es nahe, dass eine "Blase" aus sich gegenseitig hochschaukelnden Erwartungen vorliegt. Der immer steilere Kurvenverlauf im Krisengeschehen hat die generelle Form eines "Phasenumschwungs", wie sie sich beim plötzlichen Gefrieren von Wasser beobachten lässt oder beim Entstehen einer "kritischen Masse", die es etwa braucht, damit eine soziale Bewegung in Schwung kommt.

Über den mehr als exponentiellen Anstieg hinaus weist der Kursverlauf im Fall einer Blase noch eine weitere Eigenschaft auf: Er oszilliert – schwingt – in immer kürzeren Abständen zwischen Maximum und Minimum. Auch dies erklärt sich dadurch, dass die Anleger immer gleichförmiger agieren – und somit jede kleine Kurskorrektur sofort auf die ganze Gruppe durchschlägt. Betrachtet man die Datenreihen in logarithmischer Darstellung, verschwindet der Effekt; die Oszillationen erscheinen hier gleichmäßig. Daher auch der Name der Methode: log-periodische Analyse. Beides zusammen, die Untersuchung sowohl des steilen Anstiegs wie der Oszillationen, bezeichnet Sornette als "Log-periodic Power Law"(LPPL)-Analyse.

In seinen neuesten Arbeiten zeigt er auf, wie die gesamte wirtschaftliche Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre eine Aufeinanderfolge von gleich mehreren "Blasen" darstellt: des New-Economy-Hypes, der Immobilienschimäre, des Marktes für neue Arten von Krediten und Hedgefonds, der steigenden Aktienkurse der Jahre 2004 bis 2007 und des Ölpreis-Hochs 2008: "Die Ursache sowohl für den Boom der vergangenen Jahre wie für die gegenwärtige Krise", sagt Sornette, "war vor allem der Glaube an ein Geld ausspuckendes Perpetuum mobile."

Wirtschaftsprognostiker wie Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung halten allerdings wenig von solchen rein statistischen Analysen. "Wir gehen von der Story her an die Prognose", sagt er. Ihm fehlen in Sornettes ökonomischer Luftaufnahme "die Mechanismen im Detail", zum Beispiel eine Erklärung dafür, wie die Konsumentwicklung mit den Finanzmärkten zusammenhängt: "Extremereignisse sind definitionsgemäß selten. Für unsere Modelle, die auf normale Zeiten ausgelegt sind, spielen sie keine Rolle." (Ralf Grötker) / (wst)