Regierungen fordern Sonderrolle bei EinfĂĽhrung neuer Domains
Auf der ICANN-Tagung in Sidney streiten Regierungsvertreter um mehr Einfluss bei der EinfĂĽhrung neuer Top-Level-Domains. Dabei geht es auch um moralische Fragen: Was ist, wenn eine beantragte Domain das sittliche Empfinden verletzt?
Zwischen der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und den Regierungsvertretern im Beirat der Netzverwaltung gibt es Streit um Einfluss – aber auch über moralische Fragen. Die Regierungen wollen die Entscheidung, ob neue Adresszonen (Top Level Domains, TLD) gegebenenfalls allgemeinen Moralvorstellungen zuwiderlaufen, nicht der Netzverwaltung überlassen. Die mögliche Delegation solcher Fragen an ein dreiköpfiges ICANN-Gremium sehe die US-Regierung mit Sorge, sagte Washingtons Vertreterin im Regierungsbeirat am Montag auf der 35. ICANN-Tagung in Sydney.
US-Vertreterin Suzanne Sene wies Äußerungen von ICANN-Vorstandschef Peter Dengate Thrush scharf zurück, der die Bedenken der Amerikaner mit der Bemerkung abgetan hatte, es sei "egal, was man in Ihrem oder meinem Land" von einem als TLD beantragten Begriff denke. Maßgeblich seien nach dem vorgesehenen Verfahren vielmehr eine Reihe verschiedener internationaler Abkommen, darunter etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN-Kinderkonvention oder die Antirassismus-Konvention. Die US-Vertreterin missbilligte das ausdrücklich. "Es ist alles andere als egal, und genau da liegt der Haken", sagte Sene, räumte aber ein, keine Lösung zur Hand zu haben. Einen Verzicht der Regierungen auf das letzte Wort kann sich Sene nicht vorstellen.
Der Streit in moralischen Fragen war nur ein Punkt auf einer längeren Liste von Bedenken zum geplanten Zulassungsverfahren für neue TLDs, die die Regierungen dem ICANN-Vorstand diese Woche in Sydney überreichen wollen. Nach Ansicht des EU-Vertreters William Dee steht den Regierungen grundsätzlich eine Sonderrolle zu, wenn es um Einsprüche gegen TLD-Bewerbungen geht. "Wir waren etwas überrascht, dass wir uns in eine Reihe mit allen anderen stellen sollen", sagte Dee.
Der Regierungsbeirat spreche laut Satzung immer direkt mit dem Vorstand. Den Umweg über ein Verfahren, das auch noch kostenpflichtig ist, wollen die Regierungen nicht nehmen. Dee verwies dabei auch auf die bisherige Praxis. Tatsächlich hatten Regierungen, allen voran die US-Regierung, den Vertragsabschluss für die vom Vorstand bereits akzeptierte .xxx-Pornodomain torpediert und letztlich verhindert.
Vorstandschef Dengate Thrush hielt dem entgegen, dass sich Einsprüche der Regierungen laut Satzung nur auf die Einführung neuer Verfahren und Regeln beziehen sollten. Sind Verfahren oder eine Regel einmal beschlossen, gehe es um die Implementierung und damit das Tagesgeschäft. Genau darauf aber sollten die Regierungen keinen Einfluss mehr nehmen.
Weitere Kritikpunkte sind laut einer Darstellung des britischen Regierungsvertreters die mangelnde ökonomische Analyse der Marktöffnung. ICANN sollte vor allem noch analysieren, ob der negative Kosteneffekt durch defensive Registrierung nicht mögliche Kostenvorteile durch mehr Wettbewerb aufwiegt. Für Endnutzer könnte die Erweiterung des DNS übrigens auch mehr Konfusion bei der Navigation bringen, meinen die Regierungen. (Monika Ermert) / (vbr)