Rotten Neighbor soll Schleswig-Holstein löschen
In einem Brief an die Betreiber fordert der Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins die Wahrung grundlegender Persönlichkeitsrechte.
Asoziales Netzwerk: So beschrieb US-Blogger Justin Watt schon im Sommer 2007 ein neues Web-2.0-Portal, auf dem Nutzer Informationen über ihre Wohngegend – und ihre Nachbarn – hinterlassen können. Denn das Mash-up auf Basis von Google Maps ist weit mehr als Informationsquelle für Wohnungssuchende oder die Immobilienwirtschaft: rottenneighbor.com ist ein prima Spielplatz für Denunzianten.
Der Betreiber der Seite, Brant Walker, hat damit auch hierzulande mediale Aufmerksamkeit erregt und die Datenschützer auf den Plan gerufen. Nach einer Reihe von Medienberichten im Sommer schwoll die Masse der Zugriffe aus Deutschland an und sorgten für ordentlich Last auf den Servern des Angebots. Die waren aus Deutschland für eine Weile gar nicht zu erreichen – vielleicht, weil der Betreiber wegen der Masse der Zugriffe deutsche IPs schlicht gesperrt hatte.
Davon war auch die Löschfunktion für Einträge ("Flag for Removal") betroffen, bedauert das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD). Noch immer beschweren sich zahlreiche Bürger über Verleumdungen, teilte das ULD am heutigen Mittwoch mit. Doch sind die deutschen Datenschützer genauso hilflos wie die Betroffenen: Das zwar weltweit nutzbare, aber in den USA gehostete Angebot entzieht sich weitgehend ihrem Zugriff.
Das ULD hat den Betreiber der Plattform nun in einem Brief aufgefordert, das Land Schleswig-Holstein von der virtuellen Landkarte zu löschen und den Schutz der Persönlichkeitsrechte Betroffener zu gewährleisten. Das Schreiben geht in Kopie an die zuständige US-Aufsichtsbehörde, die Federal Trade Commission (FTC). Ob einer der Adressaten auf den harmlosen Brief aus Deutschland reagiert, ist fraglich.
"Wir wollen eine Antwort", sagt Marit Hansen. Schleswig-Holsteins stellvertretende Datenschutzbeauftragte ist sich ihrer schwierigen Position durchaus bewusst: Mit dem Brief schaffen die Datenschützer auch Öffentlichkeit für das Portal. Dennoch hat das ULD die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich zumindest die Geschäftsbedingungen des Portals, die eine gesetzwidrige Nutzung immerhin ausschließen, auch in den USA durchsetzen lassen. Vielleicht reagiert ja die FTC. Vielleicht, so hofft Hansen, werde der Datenschutz unter der neuen US-Regierung gestärkt.
Ob Rotten Neighbor dann noch ein Problem ist, wird sich zeigen. GrĂĽnder Walker, der sich selbst als "Unternehmer und Suchmaschinen-Vermarkter" bezeichnet, hat inzwischen einen Job bei einem Mobile-Marketing-Anbieter und die Website teils an einen Investor abgegeben. Der "Unternehmer" hatte sich schon frĂĽher mit eigenwilligen Interpretationen der "Social Media" einen Namen gemacht, die ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie auftauchten.
Noch als gelungene Satire auf die schöne neue Web-2.0-Welt mag Walkers erstes Projekt durchgehen: Auf FakeYourSpace versorgte er einsame Netzbürger mit gutaussehenden, aber falschen Freunden für ihr MySpace-Profil. Das Geschäftsmodell scheiterte, weil Walker dafür Fotos nahm, ohne die abgebildeten Models um Erlaubnis zu fragen. Die Website ist längst Geschichte. Doch immerhin schaffter er es damit in die New York Times.
Auch bei Walkers nächstem großen Ding, "BumFinder", war ihm die Aufmerksamkeit der Medien sicher. Auf dem Maps-Mash-up konnten Nutzer die Aufenthaltsorte von Obdachlosen eintragen. Das kam in die lokalen Fernsehnachrichten. Doch überlebte auch diese Website nicht einmal ein Jahr. Walker entwickelte das Konzept weiter zu seinem bisher größten Wurf, mit dem er international für Aufregung sorgte. Das großes Medienecho ist in den USA längst wieder abgeklungen.
Walker hat aus seinen verschiedenen "Unternehmungen" eins mitgenommen: Viel Aufmerksamkeit. Die wird im offenbar vor allem aus Deutschland zuteil. Glaubt man den Statistiken von Alexa oder Google Trends, kommt ein Großteil des ohnehin nicht übermäßig üppigen Traffics auf Rotten Neighbor aus Deutschland. Daraus kann man unter anderem zwei Schlüsse ziehen: Entweder ist das Angebot längst tot und wird nur von der medialen Erregung in Deutschland künstlich am Leben gehalten. Oder Rotten Neighbor bedient Bedürfnisse, die hierzulande besonders ausgeprägt sind. (vbr)