Rundfunkregulierung in Zeiten des Internets und der digitalen Medien

Der klassische Rundfunkbegriff taugt nicht fĂĽr kĂĽnftige Medienregulierung, war der Tenor auf einer Diskussionsveranstaltung der Bayerischen Landesmedienanstalt, auf der es unter anderem um die Lizenzierungspflicht fĂĽr Internet-TV ging.

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Von
  • Monika Ermert

Am 23. Oktober werden die Ministerpräsidenten der Länder aller Voraussicht nach den 12. Rundfunkstaatsvertrag beschließen. Darin wird vorerst auch eine Lizenzierungspflicht für die Anbieter von Internet-TV festgeschrieben, zumindest soweit das Angebot mehr als 500 gleichzeitige Streams ermöglicht. Die seit dem Sommer diskutierte Lizenzierungspflicht für sogenannte "linearer Streaming"-Angebote, beziehungsweise die dafür eingeführte "Bagatellgrenze", hat den Landesmedienanstalten viel Kritik eingebracht. Jetzt revanchierte sich die Bayerische Landesmedienanstalt mit einer Diskussionsveranstaltung, die auch die Frage stellte, ob Rundfunkregulierung und Medienpolitik im Zeitalter des Internets überhaupt noch benötigt wird?

Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Eberhard Sinner, gestand den Kritikern zu, dass das am klassischen Rundfunkbegriff orientierte Regulierungsmodell einer Medienordnung fürs 21. Jahrhundert wohl wirklich nicht mehr entspreche. "Wir stehen nicht am Ende, sondern erst am Anfang der Debatte", sagte Sinner, der sich selbst als begeisterten Internetnutzer und bekennenden Obama-Fan bezeichnete. Obamas Wahlkampagne im Internet, in deren Rahmen er regelmäßig Post an "Dear Eberhard" erhalte, zeige die Möglichkeiten des Netzes. "Ich denke auch, dass wir im Internet noch weiter deregulieren können", sagte Sinner.

Als Deregulierungsmaßnahme wollen auch die Chefs der Landesmedienanstalten ihre Maßnahmen zur "Bagatellgrenze" verstanden sehen. Junge Internetunternehmer oder gar Blogger seien ja gar nicht gemeint mit der Regulierung, versprach der Chef der Landesanstalt für Kommunikation, Thomas Langheinrich. Angebote wie StudiVZ oder Facebook hätten mit Rundfunk ohnehin nichts zu tun. "Wir wollen nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen." Vielmehr ziele mal auf die großen Fische ab, Verlagshäuser, die den Rundfunkunternehmen im Netz Konkurrenz machen wollen und sich dabei auf ihr Privileg als Presse berufen.

Ministerialrat Klaus-Peter Potthast unterstrich, 500 gleichzeitige Streams sei lediglich als "Mindestuntergrenze" festgehalten. Die Medienanstalten seien aber flexibel. Bayern etwa setzt eine weitere Grenze bei 10.000 Streams. Alles, was zwischen 500 und 10.000 gleichzeitigen Streams liegt, kann in einem "vereinfachten Genehmigungsverfahren" zugelassen werden. Man wolle die neuen Geschäftsmodelle gerade unterstützen, sagte Sinner.

Potthast sagte, mit der formalen zahlenmäßigen Definition habe man im neuen Rundfunkstaatsvertrag den Rundfunkbegriff sogar enger gefasst. Allerdings dürfte sich der Regulierer auch kaum darum gerissen haben, jeweils inhaltlich zu prüfen, ob ein Angebot zur Meinungsbildung beiträgt. Schließlich sind diverse Ausnahmen für die Lizenzierungspflicht vorgesehen, darunter persönliche Angebote (etwa die eigenen Urlaubsvideos), Offerten ohne redaktionelle Gestaltung oder Eigenwerbung. Die letztgenannte Ausnahme muss übrigens auch der Bayerische Landtag für seine Videoübertragungen ins Netz in Anspruch nehmen. Denn eine Rundfunklizenz für solche Angebote der öffentlichen Hand verstoße gegen das verfassungsrechtliche Verbot eines Staatssenders. Wie es mit Angela Merkels Podcast oder dem Bundestagsfernsehen aussehe, könne er nicht sagen, meinte Sinner.

Trotz der Beschwichtigungen und Versprechungen der Gesetzemacher waren Vertreter der Blogosphäre und kleiner Internetagenturen wenig beruhigt. Die Erklärungen ließen befürchten, dass es im Grunde um einen Machtkampf zwischen Verlagswelt und Rundfunkanstalten gehe, bei dem Blogger oder Start-ups als dritte Gruppe zwischen die Räder gerieten, warnte ein Teilnehmer. "Was bauen sie hier für einen Papiertiger auf?", fragte Oliver Roth von pilot münchen GmbH. Er kritisierte, dass nach einem ganzen Konferenztag für ihn unklar sei, ob er für verschiedene neue Angebote eine Lizenzierung brauche oder nicht und was ihn diese eigentlich kosten werde. Annette Kümmel von der ProSieben Sat1 Media AG bestätigte die Befürchtungen. Schon für Experten in Sachen Rundfunklizenzierung sei nicht ohne weiteres klar, ob ihre neuen Zusatzangebote im Netz jeweils eine Lizenz bräuchten oder nicht.

Tatsächlich zeigten sich in der Diskussion auch Unschärfen zum Streaming-Begriff. Zwar werde eigentlich immer vom "Livestreaming" gesprochen, sagte Guido Brinkel vom IT-Branchenverband Bitkom. "In der Satzung oder den Entwürfen zum Staatsvertrag finde sich der Zusatz 'live' aber nicht. Laut der Satzung der Landesmedienanstalten wolle man "Streaming (linear)" erfassen. Nur der Zusatz verdeutliche wohl, dass man Streaming auf Abruf nicht erfassen wolle, mutmaßte Moderator Werner Lauff. Clevere Ideen, wie man einer Lizenzierungspflicht entkommen könnte, gibt es auch schon. "Wir übertragen die Angebote unserer Kunden gerade nicht live, sondern mit einem kleinen Zeitversatz von vielleicht einer Sekunde," sagte Michael Westphal vom Streaming-Anbieter TV1.de. "Wir haben damit praktisch einen Stempel drauf 'nicht rundfunklizensierungspflichtig'", sagte Westphal. Staatskanzlei-Jurist Potthast sieht das allerdings anders.

Der ganze Hickhack über Zahlen von Streams oder kleine technische Unterschiede verdeckt nach Ansicht von Brinkel allerdings die eigentliche Frage, vor der sich die Medienregulierer sehen: die nach einer neuen Medienordnung. Die Aufgabe, knappe Kanäle zu verwalten, gibt es praktisch nicht mehr, meinen die Experten. Auch hinsichtlich der Vielfalt sorgen Digitalisierung und Internet eher für Überschuss. Bleibt noch das Regulierungsziel, vorherrschende Meinungsmacht zu verhindern. Soweit reicht der Arm der deutschen Medienregulierung aber ohnehin nicht, sagen die Kritiker, denn dann müsste man ja bei Google anklopfen.

Siehe dazu auch:

(Monika Ermert) / (jk)