Schweizer Berichte zu Medien und Jugendgewalt veröffentlicht

Das Bundesamt für Sozialversicherungen hatte im Auftrag der Schweizer Regierung unter anderem einen Expertenbericht zum Einfluss gewaltdarstellender Medieninhalte auf Jugendliche angefordert - die Interpretation der Ergebnisse fällt unterschiedlich aus.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Die Zahl der wissenschaftlichen Studien, die sich mit den Auswirkungen von audio-visuellen Medien auf Erwachsene oder Jugendliche beschäftigen, geht in die Hunderte, wenn nicht Tausende. Und ebenso vielfältig sind die Schlüsse, die daraus gezogen werden. Neuestes Beispiel ist ein Expertenbericht, den die Fachhochschule Nordwestschweiz für das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) der Schweizerischen Eidgenossenschaft erstellt hat. Der Bericht "Neue Medien und Gewalt" (PDF-Datei) sollte Teil der Analyse einer These sein, wonach ein Zusammenhang zwischen medialem Gewaltkonsum und jugendlichem Gewaltverhalten in der Schweiz bestehe. Erst in der vergangenen Woche hatte der Kantonsrat von Sankt Gallen bei der Schweizer Bundesversammlung eine Standesinitiative eingereicht, der zufolge ein Gesetz verabschiedet werden soll, das die Herstellung, das Anpreisen, die Einfuhr, das Verkaufen und das Weitergeben von Computerspielen explizit verbietet, in denen "grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen zum Spielerfolg beitragen".

Der Bundesrat (die Regierung der Schweiz) wollte vor Gesetzesänderungen (und der Einleitung einer Strategie zur Gewaltprävention insbesondere bei Jugendlichen) aber zunächst eruieren lassen, welchen Einfluss gewaltdarstellende Medieninhalte tatsächlich auf Kinder und Jugendliche haben und hatte dazu über das BSV neben dem Bericht "Neue Medien und Gewalt" auch den Forschungsbericht "Prävention von Jugendgewalt" (PDF-Datei) in Auftrag gegeben. Während das BSV beim Thema "Prävention von Jugendgewalt" zu dem Schluss kommt, dass insgesamt ein ungenügendes Wissen darüber bestehe, welche Maßnahmen zur Gewaltprävention überhaupt existieren und welche Erfahrungen damit gemacht wurden, fasst das Bundesamt den Bericht "Neue Medien und Gewalt" dahingehend zusammen, dass zwar der Konsum von Gewaltdarstellungen allein nicht generell zu einer "erhöhten Gefährdung" bei Jugendlichen führe, dass es im Kontext mit anderen problematischen Lebens- und Umweltfaktoren der Betroffenen aber durchaus zu einer solchen "erhöhten Gefährdung" kommen könne.

Während etwa die Schweizer Newsplattform 20minuten das Thema heute mit dem Titel "Killergames sind nicht schuld an Jugendgewalt" überschreibt, differenziert der Autor der Studie, Olivier Steiner, dahingehend, dass bei "bestimmten Gruppen von Heranwachsenden" eine erhöhte Gefährdung bestehe, wenn sie gewaltdarstellende Neue Medien konsumieren. Steiner spricht dabei von einer "Kumulation von Problemlagen": So könnten sich Belastungen in verschiedenen Lebensbereichen wie Familie, Schule und Gleichaltrige sowie der Konsum von gewaltdarstellenden beziehungsweise pornografischen Inhalten wechselseitig verstärken und zu einer "individuellen und/oder sozialen Gefährdung" führen. Wie genau sich solche "Erleidenswege" ereignen und welche Präventivmaßnahmen wirksam sind, sei Gegenstand weiterer Forschung. Steiner hält auch fest, dass die drastische Zunahme visuell realistischer Darstellungen in neuen Spielen noch kaum Eingang in die Forschung gefunden habe. Zudem gebe es bislang zu wenig Langzeitstudien, um die Rolle der Neuen Medien bei der Herausbildung von Aggression und Devianz zu interpretieren.

Basierend auf den Ergebnissen der Expertenberichte will der Bundesrat nun zunächst "die statistischen Grundlagen zu Ausmaß und Entwicklung der Jugendgewalt verbessern" und eine "Statistik des Jugendsanktionenvollzugs" erstellen. Auch soll ein "gesamtschweizerisches Programm zur Prävention und Bekämpfung von Jugendgewalt" vorbereitet werden. Zusammen mit der Medienbranche will man die "Angebote im Bereich der Information und Medienkompetenz für Jugendliche und Eltern ausbauen". Darüber hinaus soll "eine klare Gesetzesgrundlage" geschaffen werden, "damit der Bund im Bereich der Gewaltprävention und des Medienschutzes Maßnahmen ergreifen kann". Ein Verbot sogenannter Killerspiele seitens des Bundesrats ist den Angaben zufolge nicht geplant, allerdings könnten Initiativen wie die des Kantonsrats von Sankt Gallen den Bundesrat zu gesetzlichen Maßnahmen zwingen. Im April hatte der Große Rat von Bern zudem eine ähnliche Initiative eingeleitet und angekündigt, eine Volksinitiative zu starten, sollte die erste Maßnahme scheitern. (pmz)