"Stimmt Nein!" - Schweden protestiert gegen Abhörpläne der Regierung

Die Parlamentsdebatte über ein auch international fast beispielloses Abhörgesetz hat die Gemüter in Schweden so in Erregung versetzt wie lange nichts mehr. Selbst Schwedens Polizeiführung und der Polizeigeheimdienst SÄPO kritisieren die Pläne.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 147 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Thomas Borchert
  • dpa

Dass sich die Schweden kurz vor dem heiß ersehnten und langen Mitsommer-Wochenende aufregen, geschieht selten. Die Debatte im Stockholmer Reichstag über ein auch international fast beispiellos weitgehendes Abhörgesetz aber hat die Gemüter so in Erregung versetzt wie lange nichts mehr. "Wir sprechen hier nicht von Jemen, Nordkorea oder der früheren DDR, sondern von Schweden", erregte sich Dagens Nyheter vor der Abstimmung und hatte nur einen Wunsch an die 349 Abgeordneten: "Rösta nej!" ("Stimmt Nein!").

Das nahmen sich auch etliche Abgeordnete aus dem Regierungslager so zu Herzen, dass Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt plötzlich keine Mehrheit mehr für die am Mittwoch geplante Abstimmung hinter sich hatte. Flugs ließ er den hier zuständigen Verteidigungsminister Sten Tolgfors einige zusätzliche Kontrollinstanzen vorschlagen, um mit "mehr Persönlichkeitsschutz" doch noch vor der Sommersonnenwende grünes Licht im Parlament zu bekommen.

Die bis zuletzt auch vor dem Reichstag protestierenden Kritiker beruhigte das überhaupt nicht. Zu ihnen gehören neben Menschenrechtsgruppen, Schwedens Journalistenverband, diversen Anwaltsverbänden nicht zuletzt auch Computerspezialisten, die sonst vielleicht mal chatten, aber normalerweise nie im Leben demonstrieren würden. Für sie aber geht es hier ans Eingemachte. "Man serviert hier jedem künftigen Regime ein System, mit dem man ein ganzes Volk per Knopfdruck so leicht kontrollieren kann, als knipse man den Fernseher an", sagte der Internet-Spezialist Oscar Schwartz.

Schwedens Regierung will der militärischen Behörde mit dem etwas altmodischen Namen "Radioanstalt" (FRA) das Recht verschaffen, den kompletten elektronischen Datenverkehr zwischen Schweden und dem Ausland und wieder zurück zu überwachen. Jede Mail, jede SMS, jedes Telefonat, jede angeklickte Internetadresse – sofern die jeweiligen Adressaten außerhalb des Landes angesiedelt sind.

Man wolle auf diese Art Gefahren von außen, vor allem durch Terroristen, schneller erkennen können, begründet die Regierung ihr Vorhaben. Betroffen sind unter anderem Medienredaktionen, die mit im Ausland platzierten Servern arbeiten. Auch hier würde FRA nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes unbegrenzten Zugriff auf komplett alle auf diesen Servern gelagerten Inhalte bekommen.

Die Proteste dagegen wurden nicht ganz zufällig von schwedischen Internet-Bloggern ins Rollen gebracht. Am Ende klickten beunruhigte Bürgern deren Webseiten zum Thema häufiger an als die der großen Medien zur Fußball-EM. Immer wieder hieß es, dass nirgendwo in der westlichen Welt, mit Ausnahme des umstrittenen britisch-amerikanischen Echelon-Systems, ähnlich umfassende Möglichkeiten für einen totalen Überwachungsstaat existieren. Offiziell, wenn auch im Ton vorsichtiger, haben sich dieser Kritik sogar Schwedens Polizeiführung und der Polizeigeheimdienst SÄPO angeschlossen. (Thomas Borchert, dpa) / (pmz)