Vibrierender Bauchgurt gegen Auffahrunfälle

Britische Wissenschaftler wollen Erkenntnisse aus der so genannten Multisensorik-Forschung nutzen, um bessere FrĂĽhwarnsysteme fĂĽr Autos zu bauen. Das berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Britische Wissenschaftler wollen Erkenntnisse aus der so genannten Multisensorik-Forschung nutzen, um bessere Frühwarnsysteme für Autos zu bauen. Das berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 04/09 (seit dem 19. 3. am Kiosk oder portokostenfrei online zu bestellen)

Charles Spence und und seine Kollegen am Crossmodal Research Laboratory an der Oxford University erforschen die multisensorische Wahrnehmung: die Fähigkeit des Gehirns, Informationen von allen Sinnessystemen auszuwerten, um ein möglichst genaues und reichhaltiges Bild von der Umwelt zu kreieren. „Wir wollen wissen, wie diese verschiedenen Sinnesinformationen verarbeitet und zu einem Gesamteindruck integriert werden“, sagt Spence.

Das Zusammenspiel der einzelnen Sinnesreize könnte auch Autofahrern helfen, schneller zu reagieren, meint Spence, denn deren Informationsverarbeitung über den Sehsinn sei "bis an den Rand der Kapazitäten" gefordert, wie zahlreiche Untersuchungen belegen. Zwar nutzten bereits heute einige Hersteller deshalb nichtvisuelle Reize – bei Citroën etwa warnt ein vibrierender Sitz vor dem Verlassen der Fahrspur – doch auch solche Systeme appellieren wieder nur an einen einzigen Sinn. Spence setzt hingegen auf die Kombination von akustischen und taktilen Reizen: „Das menschliche Gehirn hat sich so entwickelt, dass Ereignisse, die gleichzeitig über verschiedene Sinne eintreffen, als besonders wichtig erachtet werden und deshalb maximale Aufmerksamkeit wert sind.“ Die beiden Ereignisse in Spences Warnsystem sind ein Hupton und ein im Bauchbereich vibrierender Sicherheitsgurt. Tests im Fahrsimulator ergaben: Verglichen mit einem rein akustischen Signal verkürzt die multisensorische Warnung die Reaktionszeit um bis zu 200 Millisekunden. Schon dadurch ließe sich die Zahl der Auffahrunfälle um 10 bis 15 Prozent reduzieren, meint Spence. In spätestens zehn Jahren, hofft der Sinnesforscher, werden multisensorische Warnsysteme in Autos Standard sein.

Ein besseres Verständnis der multisensorischen Wahrnehmung werde sich gravierend auf die Gestaltung verschiedenster Dinge auswirken, von Haushaltsgeräten und Mobiltelefonen über Autos bis hin zu den Orten, an denen wir arbeiten und leben, prophezeit Spence. Aus seiner Sicht keine allzu gewagte Prognose, denn schon jetzt erhält sein Institut einen Großteil der Fördergelder aus der Industrie, unter anderem von Toyota und Unilever. „Viele Firmen erkennen, wie wichtig es ist, das Wahrnehmungssystem zu verstehen, um ein optimales Produkt herzustellen“, sagt er. Damit hinkt die Industrie der Wissenschaft nur um wenige Jahre hinterher. Zwar erforschen Neurowissenschaftler und Physiologen schon seit ewigen Zeiten die Sinne, aber stets nur isoliert. „In der wirklichen Welt werden fast immer mehrere Sinne gleichzeitig stimuliert“, meint Charles Spence. „Deshalb kommt es einem fast verrückt vor, dass die Wissenschaft gedacht hat, man könnte die menschliche Wahrnehmung begreifen, indem man die Sinnessysteme isoliert betrachtet.“ (Ulrich Kraft) / (wst)