Vom Streit zwischen Nachbarn zur Diffamierung im Internet

Datenschützer beklagen, dass Nachbarn im Internet selbst dafür sorgen, dass die Bürger gläsern werden.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tobias Goerke
  • dpa

Streitigkeiten zwischen Nachbarn bleiben nicht länger eine Angelegenheit ihrer engsten Umgebung, sondern sind künftig für jedermann im Internet mitzuerleben. Viele Deutsche nutzen mittlerweile die Webseite eines US-Betreibers, um ihre Nachbarn zu verunglimpfen. Auch für Frankfurt beispielsweise gibt es unter www.rottenneighbor.com (in der deutschen Übersetzung etwa "mieser Nachbar") die ersten Einträge: "diese Frau ist giftig und falsch", eine "gestörte Frau mit kleinem Kind" oder "dieser Mann ist von der üblen Sorte". Die Anmerkungen sind auf Landkarten von Google Maps eingezeichnet – der Betrachter kann die Karte so lange vergrößern, bis er genau erkennet, wo das Opfer der Lästerei wohnt.

Eigentlich sollte die Webseite helfen, vor einem Umzug die neue Nachbarschaft kennenzulernen, schreibt der Betreiber im Internet. Doch er bietet damit gleichzeitig Raum für Beleidigungen und das Streuen von Gerüchten. Besonders ärgerlich ist es, wenn der Nachbar mehr weiß, als manchem lieb ist: Die Freizeitgestaltung oder das Liebesleben bleiben ihm nicht immer verborgen und können an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Experten für Datenschutz und Nachbarschaftsrecht melden Bedenken an. "Ich finde das ganz erschreckend", sagt die Frankfurter Rechtsanwältin Bettina Schmidt. Streit zwischen Nachbarn werde oft sehr emotional geführt, durch die Online-Schelte könne die Situation schnell eskalieren. Schmidt befürchtet sogar Gewalttaten, "denn man kann sich gegen so was nur sehr schwer zur Wehr setzen, und das führt zu einer unbändigen Wut".

Auch der Chef der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding, Frank Junker, reagiert bestürzt auf den neuen Online-Trend. "Da muss man den Anfängen wehren", sagt Junker. Schon jetzt gebe es bei der ABG fünf Sozialarbeiter, die zwischen streitenden Nachbarn schlichteten. Wer seinem Ärger unbedingt Luft verschaffen müsse, der solle sich lieber an den Vermieter wenden, als die Privatsphäre seines Nachbarn öffentlich zu machen. Aber auch die Vermieter kriegen auf der von der Zeitung "Bild" publikgemachten Webseite ihr Fett weg. So beschwert sich ein ehemaliger Mieter aus dem Frankfurter Nordend über die angeblich ausgebliebene Rückzahlung der Kaution, im Westend berichtet ein anderer davon, dass in seinem Wohnblock osteuropäische Prostituierte ihrer Arbeit nachgingen. Die namentlich genannte Vermieterin habe jegliche Beschwerden ignoriert.

Die Chancen, sich gegen solche Behauptungen gerichtlich zur Wehr zu setzen, sind nach Meinung von Rechtsanwältin Schmidt sehr gering. "Man kann nur gegen jemanden vorgehen, den man kennt." Die Absender der Schmähungen blieben jedoch meist anonym. Außerdem brauche sich der amerikanische Betreiber der Homepage nur vor dem US-Gesetz zu verantworten.

Der Hessische Datenschutzbeauftragte, Michael Ronellenfitsch, sieht den Anbieter des Kartenmaterials in der Pflicht, den Machern von rottenneighbor.com die weitere Verwendung zu untersagen. Das sieht man bei der deutschen Google-Niederlassung in Hamburg anders. "Es handelt sich hierbei um eine amerikanische Homepage. Und die haben bekanntlich andere Rechte und eine lockere Auffassung von freier Meinungsäußerung. Für uns gibt es daher keinen Anlass, die Nutzung von Google Maps in diesem Zusammenhang zu unterbinden", sagte Google Deutschland-Sprecher Stefan Keuchel der "Bild".

Während rote Häuser auf dem virtuellen Stadtplan für schlechte Nachbarn stehen, markieren grüne Häuser gute Anlieger. Die sind – wenn man die Webseite als Maßstab nimmt – auch in Frankfurt deutlich in der Minderheit. Ein Eintrag zeigt jedoch, wie leicht es sein kann, das Herz seiner Mitmenschen zu gewinnen. Über einen Anlieger in Frankfurt-Eckenheim steht dort: "Hier gibt es immer Bananen und Chips en masse – die coolsten Nachbarn, die man haben kann."

Datenschützer: Nachbarn machen den Bürger gläsern

Der Hessische Datenschutzbeauftragte, Michael Ronellenfitsch, hält Seiten wie rottenneighbor.com für gefährlich. Nicht der Staat, sondern der Nachbar werde nun den "gläsernen Bürger" verwirklichen, sagte Ronellenfitsch in einem Interview mit dpa.

Ist es nicht strafbar, in einem Online-Stadtplan GerĂĽchte und private Informationen ĂĽber Nachbarn einzutragen?

Michael Ronellenfitsch: "Da muss man leider differenziert antworten. Der Vorgang als solcher ist nicht strafbar, es hängt vom Inhalt der Gerüchte ab. Wenn das Gerücht eine Beleidigung oder eine üble Nachrede ist, dann ist das sowieso strafbar, genauso wie wenn sie im normalen Alltag jemanden denunzieren."

Kann der BĂĽrger gerichtlich dagegen vorgehen?

Ronellenfitsch: "Das hängt davon ab, ob das Herkunftsland-Prinzip gilt. Das heißt, ob die Rechtsordnung des Landes maßgeblich ist, in dem der Betreiber seinen Sitz hat, oder die deutsche Rechtsordnung. Wenn sie also eine Niederlassung in Deutschland feststellen, dann können sie nach deutschem Recht erfolgreich vorgehen, aber wenn das jemand aus dem Ausland ist, dann wird es schwierig. Die USA hat eine andere Datenschutzkultur als die Bundesrepublik."

Welche Bedeutung hat dieser Trend fĂĽr den Datenschutz?

Ronellenfitsch: "Ich halte das für ein extrem gefährliches Phänomen, das betrifft die gesamte Rechtskultur. Das blöde Reizwort vom 'gläsernen Bürger' wird dann Wirklichkeit – und zwar nicht durch den Staat, vor dem ich sowieso nie sonderlich gewarnt habe, weil der meistens korrekt handelt, sondern durch den Nachbarn." (Tobias Goerke, dpa) / (jk)