Voteremote: Internet-Wahlsystem liegt auf Eis

Die Entwicklung des gemeinsam von T-Systems und Wissenschaftlern der TU Darmstadt sowie der Universität Kassel entwickelten Online-Wahlprojekts voteremote ist abgeschlossen - jetzt suchen die Akteure nach politischer Unterstützung.

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Von
  • Richard Sietmann

"Wir machen Technologiepolitik", begründete Andreas Goerdeler aus dem Bundeswirtschaftministerium (BMWi) auf der gestrigen Abschlussveranstaltung des Projekts voteremote vor einem Fachpublikum von rund 50 Vertretern aus Behörden und Ministerien, warum das BMWi im Rahmen der Innovationsförderung die Entwicklung von Online-Wahlsystemen mit rund 1,2 Millionen Euro förderte. "Ich glaube, dass in einigen Jahren der Druck einfach da sein wird, auch mit dem Handy zu wählen", gab sich der Referatsleiter für Konvergente IKT/Multimedia im BMWi zuversichtlich, dass der Aufwand nicht vergeblich war.

Voteremote ist ein unter der Federführung von T-Systems gemeinsam mit Wissenschaftlern der TU Darmstadt und der Universität Kassel entwickeltes Wahlverfahren über das Internet, das sich zum Schutz der geheimen Stimmabgabe und vor Manipulationen unter anderem auf eine zweifache Verschlüsselung der Voten, die Übertragung der Wählerstimme über verschlüsselte Verbindungen sowie die Ablage der Daten in einem Hochsicherheitsrechenzentrum stützt.

"Dieses Projekt haben wir gemacht, weil wir glauben, elektronische Wahlen werden kommen und sind nützlich", zeigte sich auch der Kryptologe Johannes Buchmann von der TU Darmstadt überzeugt; sie seien "eine 'enabling' Technologie für demokratische Partizipation". Als Beleg führte Buchmann ein Beispiel aus dem Ausland an. "In Brasilien hat niemand Papierwahlen getraut", inzwischen seien dort 200.000 Wahlmaschinen im Einsatz, und "erst seit es die Wahlmaschinen gibt, gibt es da Demokratie, sagen die Brasilianer".

"Die Deutsche Telekom hat ein vitales Interesse daran, die Betriebsratswahlen online durchzuführen", erklärte Projektleiter Klaus Diehl auf der Veranstaltung in den T-Labs der Deutschen Telekom an der TU Berlin. So würden für jeden Mitarbeiter, der an einer Betriebsratswahl teilnimmt, durchschnittlich 12,50 Euro an sogenannten Freistellungskosten entstehen. Im Unternehmen ließen sich daher pro Jahr 1,7 Millionen Euro einsparen, wenn die Mitarbeiter sich zur Stimmabgabe nicht vom Arbeitsplatz entfernen müssten, sondern ihre Stimme direkt vom Schreibtisch aus abgeben könnten. "Allein wenn wir das im Konzern machen dürfen, lohnt sich das für uns".

Das setzt allerdings voraus, dass zuvor der Gesetzgeber tätig wird und sich auf das von dem Juristen Alexander Roßnagel entworfene Modell des Outsourcing gesetzlich geregelter Wahlen an professionalisierte Wahldiensteanbieter einlässt. Die Vertrauenswürdigkeit der Wahl sei eine Kernvoraussetzung, weil aus ihr die Legitimation der Gewählten hervorgehe, erläuterte der Vizepräsident der Uni Kassel. Der Gesetzgeber müsse dafür den Rahmen setzen. Hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit seiner Organisation müsste dann ein Wahldienstanbieter seine Geschäftsprozesse evaluieren und sich bei einer staatlichen Behörde akkreditieren lassen. Die Vertrauenswürdigkeit der eingesetzten proprietären Hard- und Software müsste die Zertifizierung nach den einschlägigen Regeln der Technik sicherstellen. Auf einem freien Markt könnte sich dann ein freies Angebot entsprechender Dienstleistungen entfalten, aus denen wiederum die Wahlveranstalter frei auswählen könnten.

In der zwischenzeitlich gegen Ende des Projektes ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur elektronischen Stimmerfassung an Wahlmaschinen sieht der Kasseler Jurist kein Hindernis. Das Bundesverfassungsgericht hätte zwar "die Latte für technisch-unterstützte Bundestagswahlen sehr hoch" gelegt, führte Roßnagel aus, dabei jedoch keineswegs jede technische Unterstützung grundsätzlich ausgeschlossen. "Es gibt", so Roßnagel, "im Urteil keinen expliziten Satz zur Telemedienwahl, schon gar nicht zu nicht-parlamentarischen Wahlen".

Das vom Verfassungsgericht gestärkte und von der Papierwahl auf die elektronische Wahl ausgedehnte Öffentlichkeitsprinzip, demzufolge jeder Bürger im Wahllokal Stimmabgaben und Auszählung beobachten kann – was für die Nedap-Wahlmaschinen zum KO-Kriterium wurde – findet sich bei voteremote als Möglichkeit wieder, dass jeder Wähler im Prinzip über ein öffentliches Bulletin Board im Internet die Zählung seiner Stimme überprüfen kann. "Man muss das Prinzip der Öffentlichkeit funktional verstehen, nicht bildhaft", erklärte Roßnagel.

Die für das Wahlrecht zuständige Referentin im Bundesinnenministerium, Gabriele Roth, zitierte jedoch aus dem Urteil die Anforderung, wonach jeder Wähler ohne besondere technische Vorkenntnisse zuverlässig nachvollziehen können müsse, wie seine Stimmer erfasst und in die Ermittlung des Ergebnisses einbezogen wird, und wie die insgesamt abgegebenen Stimmen zugeordnet und gezählt werden. "Das bezieht sich nicht nur auf die eigene Stimme", betonte Roth. "Ich sehe nicht, wie man da eine Wahl über das Internet durchführen kann."

"Wir haben uns nur mit nicht-parlamentarischen Wahlen beschäftigt", ruderte Roßnagel zunächst zurück, ließ dann aber keinen Zweifel daran, dass er voteremote auch für Bundestagswahlen einsatzfähig hält. "Die Sicherheit, die man bei der öffentlichen Auszählung im Wahllokal hat, ist um ein Vielfaches geringer", behauptete er und fügte hinzu: "Die Öffentlichkeit haben wir bei der Papierwahl schon mit der Briefwahl aufgegeben." Der verfassungsrechtliche Vergleichsmaßstab müsse daher die Briefwahl sein. Deren Ersetzung oder Ergänzung durch Telemedienwahlen sei "kein rechtliches oder technisches, "sondern an dieser Stelle ein politisches Problem", meinte Roßnagel.

Zu dem im Projekt angestrebten Einsatz von voteremote parallel zur Briefwahl in den Sozialwahlen 2011 wird es mangels rechtzeitiger Zertifizierung und Erprobung jedenfalls nicht kommen. "2011 – das schaffen wir nicht mehr", erklärte Werner Sasdrich aus dem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Der Grund sei "in erster Linie ein Zeitproblem". Man wolle nun in der kommenden Legislaturperiode das System im Rahmen einer Projektgruppe "als eine Möglichkeit erproben und anbieten", sofern es dafür "einen politischen Auftrag" gibt. Den Versicherten die Option zur Online-Wahl zu eröffnen, sei jetzt für die nächsten im Jahre 2017 anstehenden Sozialwahlen das Ziel, doch "das ist nicht so einfach, wie das hier jetzt technisch und juristisch beschrieben worden ist", verdeutlichte Sasdrich auf der Berliner Veranstaltung. Er warnte zudem davor, der Diskussion eine falsche Richtung zu geben. "Es darf nicht der Eindruck entstehen, hier soll ein System aus industriepolitischen Gründen verkauft werden."

Auch Verdi-Vorstandsmitglied Lothar Schröder mahnte zur Zurückhaltung. Er sprach sich zwar für eine gesetzliche Experimentierklausel aus, warnte aber vor überzogener Eile. "Wir kriegen nur Rechtsprobleme, wenn die kulturellen Bedingungen nicht stimmen." Zugleich setzte er sich kritisch mit dem Argument auseinander, Online-Wahlen würden mit häufigeren Abstimmungen die Mitbestimmungsmöglichkeiten stärken und wies auf die Zweischneidigkeit der direkten Demokratie hin: Nicht jeder wolle in jeder Detailfrage mitwählen, und wenn man es in dieser Richtung übertreibe, dann finde man bald auch "keinen mehr, der kandidiert". (Richard Sietmann) / (pmz)