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Was war. Was wird.

Immer hübsch an die Leser denken: Hal Faber zitiert Shakespeare und erfüllt auch sonst Leserträume. Der Service-Kolumnist macht sich Gedanken über die eigene Zunft in der Rüpelschule Internet.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Auf allgemeinen Wunsch des Lesers p_kater beschäftigt sich diese Wochenschau mit dem Zustand des Online-Journalismus. Journalisten, die bei diesem Thema einen Googlefight Blogger vs. Journalisten für einen ausreichende Hintergrund-Recherche halten, werden gebeten, ihre siechen Körper zu entsorgen. Leser, die noch nie eine Tageszeitung in der Hand hatten, gebe ich eine letzte Chance: einfach mal zur nächsten Tanke fahren – das geht nach der Becksteinschen Verdummstungsformel auch mit zwei Litern Bier im Wanst – sich ein Blatt wie die Sonntags-FAZ kaufen und in dieser komischen Sozialkultur blättern. Da finden sich dann nicht nur Sportberichte zur Liga, die kein verständiger Mensch mehr im Faselfernsehen verfolgen kann, sondern auch sehr hübsche Miniaturen zur Geschichte der Textverarbeitung.

*** Dankenswerterweise hat die gleiche Zeitung am vergangenen Sonntag ein schönes Beispiel dafür geliefert, wie textueller Unsinn aussehen kann. Ein Stück über Tastaturen reduziert sich zum Schluss auf das tolle Befinden, wie die Tastatur "beinahe unbemerkt unter unseren Fingern verschwindet, während wir uns auf Arbeit oder Unterhaltung konzentrieren". So passt das Stück bestens zu den Hausnachrichten einer rückwärts gewandten Manufaktur, die von der "Klaviatur des Formulierens" schwärmt. Erstmals in der Geschichte von Manufactum gibt es dabei einen Journalistenrabatt von 10 Prozent – auf eine Schreibmaschine. Immerhin kann sie das @-Zeichen aufs Papier schlenzen. Beruhigend: Ein Serial Line Interface mit Anschlussmöglichkeiten an gängige Schnittstellen für PC und Mac ist in Vorbereitung. Auch so kann ein Kommentar zur Lage des Journalismus aussehen. Oder so, als Leben auf Rabatt.

*** Journalistisch gesehen ist heute sogar ein besonderer Feiertag der gedruckten Meinungsfreiheit. Heute vor 38 Jahren schuf der große Journalist John Bertram Oakes das berühmte Op-Ed, das "Opposite of the Editorial Page" Gedruckte, das Meinungsfenster für Nicht-Journalisten. Oakes hatte einen Leserbrief erhalten, der zu lang für die übliche Leserbriefspalte war und zu gut, um von einem Redakteur verstümmelt zu werden. Womit vor der großen Aufmache des Internet bewiesen werden konnte, dass der ungefilterte Leser als Journalist etwas taugt. Kritisch gewendet könnte man sagen, dass Oakes einer der Journalisten war, die dem Objektivitätsfimmel der Medien ade sagten, unter dem historisch auch der deutsche Journalismus leidet:

"So wurde das Nachrichtenparadigma in der Bundesrepublik Deutschland dann missverstanden als journalistische Pflicht zu meinungsfreier Faktenwiedergabe schlechthin. Aus dem Objektivitätsgebot für das Nachrichtenressort wurde das Subjektivitätsverbot für den ganzen Beruf. Der Sinn dieser Trennungsregel liegt wiederum im Respekt vor der Mündigkeit des Publikums. Dagegen ergibt sich ihre Reformbedürftigkeit aus der Einsicht, dass eine völlig wertfreie Wiedergabe von Fakten prinzipiell nicht möglich ist, weil schon in der Informationsauswahl eine unvermeidliche Subjektivität steckt."

*** Damit sind wir schon bei der Frage, ob der gerade gestartete Spinspotter mit seinen angelsächsischen Regeln ein Korrektor im schlechtesten Sinn des Wortes ist. Immerhin sind es noch Menschen, die werten, keine Software. Was es mit der hehren Objektivität des Journalisten auf sich hat, konnte man dieser Tage bei der Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises erleben. Einer der Preisträger meinte in einer etwas wirren Preisrede (Link im eben verlinkten Artikel startet den Download), dass es furchtbar einfach ist mit dem Journalismus und dem Spin:

"Auch das Internet, die Rüpelschule für unterbezahlte Neueinsteiger, professionalisiert sich immer mehr. Wenn, wie in der Befragung von Netzwerk Recherche deutlich macht, Spiegel-Online zum Leitmedium aufgeblasen wird, so ist es doch ganz einfach, in den Luftballon hineinzustechen statt hinterherzuschreiben. [...] Der Zeitdruck war schon immer enorm; schon seit Jahrzehnten sind die Kollegen vom Hörfunk praktisch zeitgleich an den Ereignissen dran. Spin-Doctoren und das geheimnisvolle Schalten und Walten von Pressestellen, das hört sich eher nach einer Art medialer Dolchstoßlegende an als der Wirklichkeit zu folgen. Denn Quatsch bleibt auch mit Spin Quatsch und für jeden halbwegs fachkundigen durchschaubar."

*** Ignorieren wir einmal den Schienbeintritt gegen die Rüpelschule Internet, bleibt festzuhalten, dass die Wirtschaftswoche eifrig dem Finanzsystem applaudierte, die dem amerikanischen Steuerzahler die schwer vorstellbare Summe von 700 Milliarden Dollar kostet. Im aktuellen Leitartikel der NZZ über die unschöpferische Zerstörung von Finanzwerten ist von einer Eiterblase die Rede, an der die Medien ihren Anteil hatten. Ganz einfach einstechen ging offenbar nicht, denn Eiter ist auch eine Nährflüssigkeit. Euphorisch mitgepustet haben die Qualitätsmedien auch an der Dotcom-Blase. Und wenn es dann Peng macht, will es wieder keiner gewesen sein. Die Internet-Rüpel haben es immerhin kommen sehen.

*** In dieser Woche tagte der Innenausschuss des Bundestages und hörte Sachverständigen zu, was es eigentlich mit der "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt" auf sich hat. Es gibt eine schöne Zusammenfassung des Medienechos, wobei ein Punkt etwas untergegangen ist und darum nach "Was war" passt: Wie im Artikel Behörde gegen Kofferbomber berichtet, forderte der bayerische LKA-Chef Peter Dathe eine Möglichkeit für das BKA, Internetinhalte manipulieren zu dürfen. Angeblich sollen so die Bombenbauanleitungen entschärft werden, die nach einer einzigartigen Langzeitstudie der Firma Pan Amp immer gefährlicher werden. Ganz furchtbar ist das alles: "Die Langzeitstudie zum 'Internet-Bombenbau' belegt, dass bislang in terroristischen Kreisen zirkulierte Bombenbauanleitungen per Internet in deutsche Kinderzimmer gelangt sind und bereits nachgebaut werden." Wo aber ist die Grenze bei der Manipulation von Internet-Inhalten? Müssen nicht vielleicht auch journalistische Artikel vom Bundesamt für Wahrheit umgeschrieben werden?

*** Weil Bayern diese Befugnis besitzt und angeblich mehrfach eingesetzt hat – dort gibt es nicht erst seit Beckstein zweierlei Maß für Gerechtigkeit – ist die Durchsuchung von Rechnern der Piratenpartei eine skurrile Sache, denn wer im Internet manipulieren kann, könnte sich doch an diesem PDF vergnügen, statt mit starker Kryptografie gesicherte Rechner zu beschlagnahmen.

*** Wie war das gleich nochmal mit dem Online-Journalismus? Die Zeit hat in ihrem Blog ein Stellenangebot veröffentlicht, das den idealen Online-Journalist beschreibt. Neben dem üblichen sinnleeren Geschwurbel vom kommunikationsstarken, durchsetzungsfähigen Teamplayer (also ein echter Arsch mit Ohren) und natürlich mehrjähriger Diensterfahrung wird folgendes verlangt: "Darüber hinaus verfügen Sie über hohe Nachrichten- und Stilsicherheit, aktive Erfahrung im Umgang mit Social Networks und Blogs, Pioniergeist und solide Grundkenntnisse in der Bildbearbeitung." Das ist eine rundum gelungene Beschreibung der Fapper von /b/, die Sarah Palin auf dem Kieker haben. Eine "hohe Identifikation mit dem Online-Journalismus" wird auch noch von der Zeit gefordert: Man muss nicht nur fappen können, sondern auch Jungfrau sein.

*** Aber wie soll der Online-Journalist Qualität machen, wenn er damit ausgelastet ist, Agenturmeldungen ("Nachrichtensicherheit") und endlose Bilderstrecken ("Grundkenntnisse Bildbearbeitung") zusammenzustückeln? Gar nicht, sagen die, die ihn beschäftigen: Dafür sind sie selbst zuständig, die feschen Jungs vom Print. Der schöne Giovanni von der Zeit macht auch bei Zeitungen und Zeitschriften den Trend zur Beliebigkeit aus. Er verordnet dem toten Holz mehr Mut und Kreativität, während der schnelle Nachrichten-Kick im Internet befriedigt wird. Auch Kollege Blumencron, von Spiegel Online in den Chefsessel beim Mutterblatt auf- oder abgestiegen, will gedruckt "mehr Extravagantes und mehr Hintergründiges" lesen. Es ist ja nicht so, dass die beiden Herren nichts zu sagen hätten. Man darf also gespannt sein auf die Qualitätsoffensive in der Holzklasse, während online weiter im Seichten und Trüben gefischt wird.

*** Denn ganz im Ernst: das Internet ist kein zusätzlicher Vermarktungskanal, der vielleicht mal den Rückgang im Print bei Zeit, Spiegel, FAZ, SZ usw. ausgleichen wird. Es wird bald das Hauptmedium für Nachrichten sein wird und besser wäre es, wenn auf Papier schreibende Idioten statt vom Raubkopierer Google und Google als Journalist zu faseln sich besser schon jetzt mit Qualität einen Namen im Netz machen. Aber auch im Internet kostet es viel Geld, gute Nachrichten zu machen. Das geht an die Adresse der ganzen nörgelnden Leser, die sich hierher begeben und sich mit ihren Ad-Blockern für unglaublich findige Schlauberger halten. Stellt euch vor, es ist morgens und es gibt keine Nachrichten mehr zum Verlinken und drüber Twittern, sondern nur noch Blogs, BKA-geprüfte Websites und Ratschläge per Mail, wie man 60 Minuten entspannt nicht kommt.

*** Ich zitiere gerne Shakespeare in der Wochenschau, doch heute ist der Anlass traurig. "Alas, poor Yorick! I knew him, Horatio: a fellow of infinite jest, of most excellent fancy: he hath borne me on his back a thousand times...": Der Selbstmord von David Foster Wallace ist ein herber Verlust für alle, die einen großen Schriftsteller im Geiste von George Orwell lesen durften. Gegen die zunehmenden Depressionen halfen Elektroschock- und andere Therapien nicht mehr, das Tenniswunderkind zu beleben. Zum Abschied, nach seiner schier endlosen Odyssee durch die Kliniken, ein Stück von einem anderen Dahingestorbenen Mauricio Kagel. Verabschieden müssen wir uns auch von Richard Wright und Earl Palmer. Beide wollten nicht ins Rampenlicht, aber die Akzente, die sie in Songs wie "The Great Gig In The Sky" und "River Deep, Mountain High" gesetzt haben, gehören zum Weltkulturerbe.

Was wird.

Was kann es in der nächsten Woche schon anderes geben, wenn DER FILM anläuft? Nein, ich rede nicht vom Epos über die Rote Armee Fraktion, den teuersten deutschen Film aller Zeiten, der von Spiegel, taz und FAZ ekstatisch gefeiert wird. Weil er angeblich akribisch genau zeigt, wie es "damals" war, als "Bomben ins Bewusstsein der Massen" geschleudert wurden. Gemeint ist auch nicht die neue Microsoft-Werbung mit Wunderkind Pharell und dem Life without Walls-Thema, dem man nur Brick walls are there to show our dedication entgegenhalten muss. Reden wir lieber über WALL-E und die Kakerlake Hal, die die Erde aufräumen müssen. Der kleine Waste Allocation Load Lifter - Earth Class, der sich in einen Extra-Terrestrial Vegetation Evaluator verliebt und für den das Musical "Hello Dolly" das größte irdische Kunstwerk ist, hat eine klare, ungemein tröstliche Botschaft: Wir werden Klöße sein. (Hal Faber) / (vbr)