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Was war. Was wird.

Was ein Zwergkänguru mit IT zu tun hat? Hal Faber hebt zu einer Erklärung an - und bleibt nur kurz bei der manches Mal doch hinderlichen Sozialwahrnehmung hängen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** An diesem wunderbar sonnigen Herbstsamstag, an dem Kampfgeist und Picknick zusammenkommen, erinnere ich mich an Manni, ein Rotnackenwallaby, das vor 10 Jahren durch das Sommerloch 1998 hüpfte, ganz für sich alleine. Manni wurde ein Medienstar und verdrängte meine Geschichte über die Entdeckung des Ozonloches im Jahre 1958 aus dem Blatt, für das ich damals arbeitete. Wen interessieren schon Geschichten von den Galindez-Inseln, wenn es ein niedliches hoppelndes Zwergkänguru gibt. Manni und seine Kumpane haben dabei auch die Wissenschaft befruchtet. In einem schönen Text zum Klimawandel erzählt Dirk Baecker in der tageszeitung von den Zwergkängurus:

Ohne erkennbaren Anlass kam es bei den still vor sich hin grasenden Tieren ab und an zu großen Aufregungen und Prügeleien, die sich gefährlich steigerten, bis sich plötzlich wie auf Kommando alle Tiere in eine Reihe setzten und für eine Weile in dieselbe Richtung schauten. Daraufhin beruhigten sie sich und grasten wieder still vor sich hin. Luhmann fand das grandios. Er erklärte, offensichtlich würden sich die Tiere durch eine Synchronisation ihrer Umweltwahrnehmung unter Ausschluss von Sozialwahrnehmung beruhigen. Alle sehen dasselbe, ein Stück Wiese, ein paar Büsche. Und da alle nebeneinander sitzen, sehen sie sich nicht selbst. Sie schauen sich nicht an und haben deswegen auch keinen Grund mehr, sich aufzuregen.

Den Trick, die Sozialwahrnehmung auszuknippsen, beherrschen mittlerweile auch die Menschen. Da geht es an den internationalen Börsen tumultartig zu, da hoppelt der Dax, dass jedes Känguru neidisch werden kann, doch dann setzen sich alle in eine Reihe hin, hören das Märchen von den sicheren Spareinlagen und grasen friedlich weiter. Wer doch mal aufmuckt, wird zunächst gesperrt, dann geht es holprig weiter: "Ein Artikel unseres Gast-Bloggers, dem Volkswirtschaftler Harald Uhlig, ist unter extrem blöden Umständen gelöscht worden." Unter extrem blöden Umständen geht es also weiter, während die Löschung im Kommentarkeller nachgelesen werden kann. Ruhe und Sychronisation ist die erste Pflicht des Zwergbürgers, während die Journalisten nur noch hecheln: "Jede Panikattacke angesichts der zu berichtenden Börsennotierungen und Bankenneuigkeiten soll von vornherein ausgeschlossen werden." Derweil bricht ein Youtube-Video alle Rekorde. Bei 70:30, dass diese Wirtschaft zusammenbricht, empfiehlt sich die Text-Telenovela I fucking told you.

*** Die Geschichte mit den Zwergkängurus hat übrigens noch eine andere Dimension. Da gibt es in Berlin eine tageszeitung die von anarchischen Anfängen nach 30 Jahren in einer konservativen Idylle angelangt ist und nur noch gelegentlich auffällt, wenn sie etwa eine Kampagne gegen die blöden Journalisten startet, die ihre Interviews autorisieren lassen. Dabei leistet sich das Blatt eine Chefredakteurin, die kurzerhand mit einer einstweiligen Verfügung, wegen "besonderer Dringlichkeit" ohne Anhörung der Gegenpartei, die Auslieferung eines Buches über die vierte Gewalt verbieten lässt, weil angeblich eine Autorisierungsabrede nicht eingehalten wurde. In den Hausmitteilungen des Verlegers heißt es dazu: "Bascha Mika hatte ihre Bereitschaft zu dem Interview gegeben, dieses auch geführt und später die Transkription des Interviews für gut befunden. Dann jedoch hat sie nach Verstreichen einiger Monate ihre Einwilligung überraschend zurückgenommen." So lernen wir: die größten Kritiker der Verabreder sind auch nur Verdreher und das ganze Getue um die vierte Gewalt wird schnell mal mit der dritten abgewürgt. Was das alles mit Zwergkängurus zu tun hat? Auch der Verleger des bekämpften Buches zitiert die Geschichte vom Ausschluß der Sozialwahrnehmung, natürlich bezogen auf die "Queen von der Rudi-Dutschke-Straße". "Ohne erkennbaren Anlass kam es bei den still vor sich her grasenden ..."

*** Kommen wir überein, dass die vierte Gewalt ein ziemlicher Quatsch ist und die Zählweise sowieso daneben: Bekanntlich hat sich die Große Koalition darauf geeinigt, den Artikel 35 des Grundgesetzes zu ändern, der die Amts- und Katastrophenhilfe regelt: Die Exekutive hat Exekutionsbedarf. Endlich kann die drohende Gefahr, die ein Gastanker voller Terroristen für den Hamburger Hafen bedeutet, richtig bekämpft werden, weil das Politär (die Milizei?) einschreiten kann. Wie nennen wir blos die neue Truppe, die von Afghanistan bis Bad Doberan bereits steht, auf asynchrone Gewalt synchron zu reagieren? Haben wir es mit einer Verpolizeilichung des Militärs oder mit einer Militarisierung der Polizei zu tun, Tapferkeitskreuzchen inklusive, und der Minister triumphiert: "Die Bundeswehr ist nun eine Armee im Einsatz für den Frieden geworden." Alles, was schießt, soll dann eingesetzt werden können, wenn die Beseitigung des Gemeinwesens droht. Nehmen wir nur den gefürchteten Ansturm auf die Banken. Ein paar Schützenpanzer vor den Filialen und die Sache ist geritzt, die Einlagen bleiben sicher.

*** Die Werte haben sich nicht geändert. Es ist ebensoviel Kohle auf Erden wie vorher. Alles Geld ist noch da, und es ist kein Cent vom Erdball heruntergefallen in das Weltall, aus dem er nicht mehr gefischt werden kann. Alle Häuser stehen noch da. Alle Wälder. Alle Wasserfälle. Alle Ozeane. Die Eisenbahnen und Schiffe sind alle noch unversehrt. Und Hunderttausende gesunder und kräftiger Menschen sind willig, zu arbeiten und zu produzieren und den vorhandenen Reichtum der Erde zu vermehren. Kein Ingenieur hat die Fähigkeit verloren, neue Maschinen zu konstruieren. Kein Kohlenschacht ist von einer Naturgewalt verschüttet worden. Die Sonne steht leuchtend und warm am Himmel wie immer. Es regnet wie immer.

So beschreibt B. Traven 1929 in Die weiße Rose die Weltwirtschaftskrise in einem Kapitel, das mit der Betrachtung des Wirtschaftssystems endet: Ein Wirtschaftssystem, eine Wirtschaftsordnung, geschaffen von Menschen, die von sich selbst behaupten, Intelligenz zu besitzen. Menschen jedoch, die trotz aller ihrer so hoch entwickelten Technik, die sie schufen, noch immer nicht die Primitivität völlig unzivilisierter Menschen überwunden haben, soweit ein durchdachtes und wohl geregeltes Wirtschaftssystem in Frage kommt.

*** Dirk Baecker, dem wir die Beschreibung der Zwergkängurus samt der Interpretation von Niklas Luhmann – Sozialwahrnehmung abschalten – verdanken, hat einen Aufsatz verfasst, dass die zunehmende Nutzung von Computern einen Überschuss an Rechenkapazitäten produziert, die für Überwachungsmaßnahmen genutzt werden können. Jeder, der sein Mobiltelefon quält oder schicke neue Nettops in ein WLAN hängt, potenziert damit die Überwachungs-Infrastruktur. Gegen selbige ist in Berlin eine Demonstration zu Ende gegangen, die unter dem Motto "Freiheit statt Angst" stand. Das klingt etwas wie Magarine statt Butter, ist aber der Tatsache geschuldet, dass eine Demonstration für einen "Nichtüberwachungsstaat" nicht funktioniert, weil Staat und Überwachen einander bedingen. Dabei hatte der IT-Lobbyist Bitkom (die fünfte Macht im Staate) extra eine Pressemeldung lanciert, dass 76 Prozent der intelligenten Bundesbürger eine intelligente Videoüberwachung wollen. Komplett mit dem idiotischen Argument, dass mit der Technik eine Prävention vor Angriffen möglich ist. Das Mariott-Hotel im pakistanischen Islamabad besaß eine solche intelligente Videoanlage, die den berühmten stehen gebliebenen Koffer erkennen kann. Mit Technik ist dieses Problem eben nicht zu lösen: Wer in einer Demokratie einschläft, kann in einer Diktatur aufwachen, formulierte der Österreicher Karl Kraus, ganz ohne Jörg Haider zu kennen.

Was wird.

Ja, ja, die Buchmesse kommt, das Kindle und natürlich die talentierte Frau Diener, beschrieben von der schillerndsten Figur der Bloggerszene. Das wichtigste Buch des Jahres wird dennoch anderswo diskutiert und hat nichts mit Le Clézio zu tun. Der seit Jahren die NSA erforschende investigative Reporter Jim Bamford hat mit Unterstützung des Senders ABC recherchiert, wie in den USA abgehört wird, im Kernbereich der privaten Lebensführung, komplett mit anregendem Telefonsex. Wer glaubt, das deutsche Spezialisten ein Deut besser sind, wird sich auch mit dem BKA-Gesetz abfinden, das am kommenden Freitag gleich nach der Erbschaftssteuer im Bundestag auf der Tagesordnung steht und offenbar durchgewunken wird: Friede den Palästen, verwanzen wir die Hütten. (Hal Faber) / (jk)