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Was war. Was wird.

Gibt es gute und schlechte Arroganz, berechtigte und unberechtigte? Ach, was für eine Frage - wer sich täglich das Geplappere der IT-Szene anhören muss, weiß die Antwort sowieso, ist sich Hal Faber sicher.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Man muss Charles Darwin zugutehalten, dass er nicht versuchte, den Menschen zu ergründeln. Ihm reichte der Gedanke, dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben könnten und der Ur-Mensch irgendwo in Afrika begann, seinen Verstand zu entwickeln. Sein 200. Geburtstag ist in eine Zeit gefallen, in der der Mensch seinen Verstand verliert und selbst die Trolle schon mal bessere Tage hatten. Was den Menschen ausmacht, haben viele nach Darwin zu bestimmen versucht. Halten wir uns an den Philosophen Kenneth Burke, der vom großen Menschenmeister Shakespeare beflügelt befand:

Being bodies that learn language
thereby becoming wordlings
humans are
the symbol-making, symbol-using, symbol-misusing animal
inventor of the negative
separated from our natural condition
by instruments of our own making
goaded by the spirit of hierarchy
acquiring foreknowledge of death
and rotten with perfection.

Komplett mit einem Webinar ist dies eine hübsch pathetische Definition des Menschen. Als Körper, die Sprache lernen, damit zu Wortlingen werdend, sind Menschen keine Werkzeug nutzenden Tiere, sondern elende Wortdrechsler und Smybolverschieber, Erfinder des Negativen, mit Worten verrottend in Perfektion. Mit Worten die Gräben ziehend, trennend in Überlinge und Unterlinge, denen das Maul gestopft gehört, dass sie nicht aufbegehren sonder sich committen zu Concentrate, Integrate, Innovate. Ja, so heißt es bei Burda und Booz Company, wenn die letzten Kotztütchen von Digital, Life, Design in München und Davos abgeräumt sind und die konvergente Zukunft angesagt ist, ohne jegliches Morgen. "Am Ende müssen Effizienz und Innovation zur DNA unseres Unternehmens werden, wenn wir in der digitalisierten und globalisierten Welt erfolgreich sein wollen." Wer solch einen Mist über einen Change Prozess und den Beraterquatsch vom Unternehmens-DNA schreiben kann, dem sollte man Schnuller und Rassel bereit legen, aber nicht die Leitung eines Unternehmens geben, das vor allem mit Sprache, gedruckt wie digital verschickt, sein Geld verdient.

*** Dieses Geplappere, das in der IT-Szene verharmlosend Bullshit-Bingo genannt wird, hat ernste Hintergründe, zumal in einer Branche, die durch und durch verlogen ist und mit dieser Verlogenheit in die Gesellschaft ausstrahlt. Nehmen wir nur die verlogene Bezeichnung Sperrmaßnahmen für die Einführung der Internet-Zensur in Deutschland, komplett mit einem kuriosen Vertrag, mit dem das Bundeskriminalamt als oberste Zensurbehörde auftritt. Das ist eine Konstruktion, die Juristen komisch finden, während Techniker sich über den hübschen Verschreiber "vollqualifizierte Domainnamen" amüsieren, die Wildcards nicht berücksichtigen. Das Beispiel Matti Nikki hat gezeigt, wie Kritiker der Sperrlisten schnell auf eben diese Sperrlisten kommen. Meinungszensur ist immer die Freiheit des Sperrenden, müsste man an die Große Mauer von der Leyens tackern und sich nebenbei die acht großen Internetprovider merken, deren Allgemeine Geschäftsbedingungen so geändert werden, dass der Dienst aufgekündigt werden kann.

*** Hoppla, ich habe die deutsche Wikipedia verlinkt. Und die nennt mir nicht die acht Nazghuls, sondern 23 Provider, was schon von der Zahl her schwer verdächtig ist. Die freie Web-Enzyklopädie hat Probleme mit Wilhelm und Walter. Wilhelm tauchte auf, als der Cousin von Florian Oscar Henckel von Donnersmark, Karl-Theodor zu Guttenberg, unser Wirtschaftsminister wurde. Weil diese Evokation vielen Journalisten gefiel, machte der Wilhelm die Runde, während alle übrigen Politiker ihre Namen prüften. Genasführt wurde offenbar unser Außenminister Frank Steinmeier, dem irgendein Witzbold ex incuria zu einem Frank-Walter machte. Die ganze Debatte um Wilhelm, Walter und die Wikepedia wird nun von Wortlingen geführt, die das Prinzip der Wikipedia nicht verstanden haben und ziemlichen Unsinn schreiben. Wie heißt es noch korrekt: Die Nachprüfbarkeit, nicht die Wahrheit ist oberstes Prinzip des freien Wissens. Fragt sich jetzt nur, wo sich denn die Wahrheit immer versteckt, wenn sie nicht nachprüfbar ist.

*** Also bleiben wir lieber bei der Wahrheit. Der kleine Wochenbericht von den Problemen der Wortlinge wird am Valentinstag geschrieben, bekannnt als Tag des Blumenhandels und der dummen Schwüre. Vor 20 Jahren wurde der britische Schriftsteller Salman Rushdie, seine Verleger und Übersetzer von dem schiitischen Ajatollah Khomeiny zu madhur ad-dam erklärt, weil sein Buch "Die satanischen Verse" angeblich den Islam verletze. Wörtlich sind das jene, deren Blut vergossen werden muss, weil sie Worte verbreiteten, in denen vom Nebeneinander islamischer und westlicher Kulturen die Rede ist. Gedenken wir der Opfer dieser Fatwa, die ihren Mut mit dem Leben bezahlten. Hitoshi Igarashi, der japanische, und Aziz Nazin, der türkische Übersetzer, starben, der italienische Übersetzer Ettore Capriolo und der Norweger William Nygaard überlebten schwer verletzt. Zu denken ist auch an den Verlag Artikel 19, der die "Satanischen Verse" in Deutschland herausbrachte, weil kein deutscher Verlag den Mut hatte, das Buch zu publizieren. Dann wäre da noch die tageszeitung, die als einzige das erste Kapitel des Romans abdruckte, während die anderen Blätter der Republik in letzter Minute einen Rückzieher von der abgesprochenen Protestaktion machten, angeblich aus urheberrechtlichen Gründen. Zur bitteren Ironie der Geschichte gehört, dass Salman Rushdie im Auftrag von Margaret Thatcher beschützt wurde, während Iqbal Sacranie, später Leiter des Muslim Council of Britain verkündete, dass Rushdie mit dem Tod noch zu glimpflich davon komme. Unter der Labour-Regierung wurde er für den Verdienst um den "interreligiösen Dialog" zum Ritter geschlagen. Und als Lehre für heute kann man die Geschichte von Hossein Derakhshan lesen, der immerhin noch lebt. Da mag man zumindest Henryk M. Broders Ausspruch von der "Überlegenheit der westlichen Zivilisation" nicht nur für arrogant halten, im Gegenteil.

Was wird.

Zu den bitteren Erkenntnissen dieser Woche gehörte die Einführung der Wissenschaft in den Fußball mit einem anschließenden Kick, der so grottenschlecht war, dass jede wissenschaftliche Erklärung ins Abseits lief. Zu den beruhigenden Erkenntnissen für die nächste Zukunft gehört darum für mich, dass ein wissenschaftlich ausgerichteter Dokumentarfilm über den Mythos Bielefeld angekündigt wurde, der im Geist der Aufklärung gedreht wird. Erinnert sei an das weiter oben erwähnte Kriterium Nachprüfbarkeit in der Wikipedia. Bielefeld gibt es bekanntlich nicht oder nur dann, wenn der Big Brother Award an Datenverbrutzler verliehen wird. Doch das freie Wissen lässt sich nicht beirren: Gerd Schröder vom Verlag Artikel 19 machte hier sein Abitur. Für die Rolle des Erklärbären wurde bereits der renommierte Künstler Neo Dampf engagiert, der im Datenstrudel all der aberwitzigen "Fakten" über Bielefeld sicher einen klugen Kopf behält und zur Nachprüfbarkeit im Sinne von Friedrich Engels auffordert, den Pudding an die Wand zu nageln.

Mein Loblied auf Hannover in der letzten Wochenschau hat nichts genutzt. Auch der großartige Heise-Verlag wird wie Suhrkamp nach Berlin umziehen. Dort werden alle deutschen Verlage nach Vorbild der Bad Bank in einem Unternehmen Bad Paper zusammengefasst. Die Abwrackprämie für Kultur diktiert dazu die Rahmenbedingungen. Wie war das jetzt mit der Nachprüfbarkeit und der Wahrheit? Nun ja, nach der Abwrackprämie für Altautos, Telefone und Software ist es einfach nur logisch an der Zeit, dass es eine Kulturflatrate für das Abwracken gibt. Was ist schon der Sputnik-Schock gegen das ordentliche Abwracken in der Noosphäre. Freunden wir uns mit dem Mischmasch ab, den der neue Walser mit einem Dauertest von Windows 7 ergibt, gesprenkelt mit den Memoiren von Michael Glos der ein gutes Dutzend Rücktrittsschreiben ständig um sich herum hatte.

Ja, Festhalten und Beharren und Deutschland, das ist ja so old-fashioned wie eine Fehmarnbeltbrücke, die vom Bundesrat beschlossen wurde, damit wir schneller zum Urlaub in Haparanda sind. Als ich das erste Mal von dieser Brücke hörte, spielte Jimi Hendrix und es war ungelogen arschkalt. Ist letztlich nicht das Festhalten an einer Wochenschau abwrackbedürftig? Nein! Meine Generation steht für das Recycling! Und weil es Leser gab, die bei der Musik der letzten Woche protestierten, wiederhole ich mich heute, wie gewünscht mit Bachmann Turner Overdrive und der richtigen Version von Takin' Care of Business. Wer mitzählt: 1234567890 ist ja ganz nett. Die Darstellung im Dezimalsystem ist eine von unendlich vielen Möglichkeiten, doch was sind wir schon, wir Wortlinge mit dem verfaulten Zwang zur Perfektion? (Hal Faber) / (jk)