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Was war. Was wird.

Jetzt gehts los, jetzt gehts los! Ja, was denn eigentlich? Vielleicht sind wir am Sonntagabend schlauer - Hal Faber befürchtet aber, dass sich die neu gewonnene Schlauheit in Grenzen halten wird.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein aufregender, ein mitreißender, ein packender und witziger Wahlkampf geht zu Ende – irgendwo auf diesem Planeten, nur nicht bei uns. Kaum zu glauben, aber ich muss dem Chaos Computer Club Recht geben, dessen Sprecherin treffend vom schnarchnasigsten Wahlkampf aller Zeiten spricht und von den infantilen Piraten. Geschichten, die in Deutschland anno 2009 erzählt werden, sind deprimierende Erzählungen, heißen Klick. Und weg in der Printausgabe, in der Online-Version "No, we can't". Sie machen Angst, zeigen sie doch eine Volkspartei am Rande der Auflösung, in der Karrieristen den Mut verloren haben, eine Meinung zu diskutieren. Oder ist das schon ein Widerspruch, Mut und Karriere in der Politik?

*** Ja, gut, heute haben wir mal wieder die Wahl. Obwohl ich bei dem, was alles zur Wahl steht, mich manchmal doch lieber auf das zurückziehen würde, was musikalisch zur Wahl steht. Aber gut, die Digitaliener (das ist ein CCC-Ausdruck), die Häcksen, die Geeks, die Nerds und Technomagier wollen in wenigen Stunden als Piraten auch die Lokale entern und die Politik mit einer Nothalse drehen, den Überwachungsstaat entwaffnen. Die Politik ist die eines Flashmobs und mehr die vom Fähnlein außerparlamentarisch wieselnder Schweifer, unterstützt von Titanen wie Dieter Bohlen: Gewählt wird kein Parteiprogramm, noch weniger eine Strategie. Wenn ein schwarzer Wimpel gehisst wird, ist das erst einmal ein Zeichen des Protestes gegen die zunehmende Zensur, mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Danach beginnen die Mühen der Ebenen mit langanhaltenden 2 Prozent Steigung auf dem Weg und vielen programmatischen Grundsatzdiskussionen.

*** Eine echte Steilvorlage für alle Verteidiger bürgerlicher Freiheiten wurde dabei dieser Tage aus dem Innenministerium an das Wahlvolk geschickt. Auch wenn ein Staatssekretär das Ganze als durchaus übliche Stoffsammlung charakterisierte, so zeigen schon die Adressaten des Konzeptpapiers, was für eine brisante Geschichte da kurisiert. So löst sich der erwähnte Herr Al Ös mitnichten als islamistischer Verfassungsschützer auf, sondern als veritabler Ministerialdirektor, was die Rede von Referaten unterhalb der Leitungsebene Lügen straft: Hier wird auf hohem Niveau gezündelt, hier werden die jämmerlichen Lockspitzel der Plutoniumaffäre plötzlich zu seriösen Ermittlern.

*** Das angedachte Umbauprogramm betrifft nicht nur die faktische Integration des Verfassungsschutzes in die Polizeiarbeit. Das angestrebte "engmaschige Sicherheitsmanagement" mit Zugriff auf Maut-Daten, mit Zugriff auf die IP-Daten von Bürgern, die Behördenwebseiten aufsuchen, die "erkennungsdienstliche Standardmaßnahme" eines DNA-Profiles könnte Deutschland in einen Überwachungsstaat katapultieren, gegen den die DDR mit ihren Geruchsproben nachgerade idyllisch wirkt. Von daher ist es doch auch verständlich, dass manche Menschen, die noch vor kurzem unter dem Motto Freiheit statt Angst in Berlin demonstrierten, zähneknirschend auf die schwarz-gelbe Koalition hin wählen, damit die FDP den gröbsten Unsinn verhindern kann. So bekommen die Zahnärzte viel Arbeit, weil ein Überwachungsgegner, der taktisch die CDU/CSU wählen muss, keinen heiteren Sonntag vor sich hat. Auf einem Schiff nach einer stürmischen Reise mit vielen Seekranken klarmachen, ist manchmal eine richtige harte D(r)ecksarbeit.

*** Dann wären da noch die Linken, die so mancher Verfassungsschutz in deutschen Landen gerne und ausdauernd beobachtet, besser als das Rünttgen der CDU bei der von ihnen so genannten Kraftilanti von der ebenfalls rünttgenden SPD. Freuen wir uns also mit dem künftigen Bundeskanzler "Siggy Pop" Gabriel, wenn dieser in Harmonie mit Ulla Jelpke und Claudia Roth ein atomblond gestähltes Stand by your man anstimmt? Gemach, gemach, der Mann bereitet sich noch für das kommende Misstrauensvotum vor. Bis dahin singen wir lieber, typisch Hannover, Winds of Change und warten auf Gabriel, den Grauen.

*** Im November 1991 erschien ein ulkiges Buch von einem Kolumnisten mit dem Pen-Namen Robert X. Cringeley: Accidental Empires. Der Untertitel dieses Buches, das sich hauptsächlich mit der Entstehung von Apple, Microsoft, Oracle, Sun Microsystems und der Veränderung von IBM befasste, ist heute noch ein liebgewordenes Klischee: "How the boys of Silicon Valley make their millions, battle foreign competition and still can't get a Date." Das Buch wurde als Triumph der Nerds verfilmt und im amerikanischen öffentlichen Fernsehen PBS gesendet. Zu den reichen Jungs, die keine Frau abbekommen, gesellte sich das Klischee von den Geeks, die nicht kochen können, mit einem wiederwärtigen Banane-Majonaise-Brei als Höhepunkt der Unappetitlichkeit. Natürlich ist das alles gelogen. Wer in die einschlägigen Geek-Kochforen etwa vom legendären Bluephod schaut, findet sehr wohl ausgezeichnete Gerichte neben der typisch nerdigen Neugier, auch Fastfood und Tierfutter auszuprobieren.

*** Bis zum Wahlabend gibt es sicher genug Gerichte, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Mein Redakteur kocht gerade ein Boeuf Bourgignon, die Nerven stärkend, ehe er sich in den Clinch mit einem neuen CMS begibt. Außerdem folgt vorher noch ein Wahltag, an dem ein Nachrichtenticker nicht einfach abschalten kann wie eine Spielplattform. Wer jetzt verzagt, dem sei geholfen: Wie wäre es mit dem hier? Man schmeiße den Wasserkocher an und stelle mit Kartoffelbreipulver eine hübsche Menge Brei her, je nach Zahl der anwesenden Wahlbeobachter. Mit Wasabipaste und Muskatnuss abschmecken. Nun ein ordentliches Glas scharfen Senfs unterrühren und dann die Pampe vertilgen. Alsdann wird über die Strichliste diskutiert, nach der vom Durchfall geplagte den Abort aufsuchen. Als Papier liegt dort das Manager-Magazin, aus dem die Anregung für das Rezept stammt:

mm: Immer mehr Journalisten und Freizeitschreiber fühlen sich bemüßigt, ihre Aha-Erlebnisse in Netztagebüchern zu verbreiten und ihren Senf unter den Meinungsbrei zu quirlen.

Ja, so unvoreingenommen kann ein Journalist mit geistigem Durchfall im Jahre 2009 das Internet beschreiben, noch dazu in einer "Frage", die an den Verleger Hubert Burda gerichtet ist. Dieser ist etwas höflicher, gibt aber deutlich zu verstehen, dass seine tollen Dienste wie Holidaycheck oder Jameda nicht ausreichen und Nachrichten.de noch gepampert werden muss. So freut er sich auf ein Leistungsschutzrecht für Verlage und darüber, dass die Politik die Pläne aufgegriffen hat. Wir hören aus dem Hause Burda: "Die Pläne werden schon jetzt konkretisiert und in der nächsten Legislaturperiode weiterverfolgt, vorausgesetzt, die Bundestagswahl geht entsprechend aus." Die anvisierte Verleger-GEZ steht nur im Wahlprogramm der CDU/CSU, der "strahlenden" Gewinnerin der Wahl 2009.

*** Mit einem seltsam klingenden Urheber first macht meine Gewerkschaft Front gegen das geplante Leistungsschutzrecht. Die in der Stellungnahme angemahnte sorgfältige Diskussion um die Gesamtfragestellung "Paid Internet" gefällt mir überhaupt nicht und riecht nach einem Brei mit viel Senf. Wer von der Diskussion um Bezahlcontent gleich zum Bezahl-Internet übergeht, suggeriert, dass das Internet heute für umme ins Haus kommt.

Was wird.

Wenn das Wahlgetöse verklingt, werden die Brillen geputzt. "Die Mühen der Berge haben wir hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebene," dieser Satz von Bertolt Brecht gilt immer noch, erst recht, wenn man die Welt verbessern will. Im ach so unbedeutenden Konzeptpapier des Bundesinnenministeriums findet sich unter Punkt 1.9 die Forderung nach Verstärkung der Sicherheitsforschung. Diese Forschung aber soll nicht länger im Forschungs- und Verteidigungsministerium angesiedelt sein, sondern dem Bundesinnenministerim übertragen werden. Das dürfte Ministerin Schavan gar nicht gerne lesen, wenn sie denn noch Ministerin sein sollte. Am Dienstag startet die diesjährige Future Security. Der Termin kollidiert diesmal leicht mit der schwedischen EU-Initiative, die unter dem Neusprech Innovationen für Bürger in Stockholm tagt. Aber von Sicherheit kann man bekanntlich nie genug haben. Die deutsche Konferenz in Karlsruhe beschäftigt sich unter anderem schwerpunktmäßig mit "Behaviour Software". Denn nichts anderes als eine intelligente Videoanalyse kann uns vor den Terroristen retten. Nicht zu vergessen viele, viele neue Überwachungskameras.

Daneben gibt es etliche Tracks zu Drohnen und anderen autonom handelnden Robotern. Wenn ich es mir richtig überlege, ist dieser Presse-Roboter auch ein Fortschritt im Vergleich zu heute. Sicherheitstechnisch betrachtet hat das Ganze auch seine positiven Seiten. Nach Schwertern zu Pflugscharen gilt 2009 die Forderung Kriegsroboter in die Buchhaltung! (Hal Faber) / (jk)