Hintergrund: Der Traum vom UMTS-Boom ist ausgeträumt

Europas Handybranche verabschiedet sich mit zahlreichen Hiobsbotschaften von ihren Hoffnungen auf einen raschen Boom durch die dritte Mobilfunk-Generation.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 238 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Thomas Borchert
  • dpa

Europas Handybranche verabschiedet sich mit zahlreichen Hiobsbotschaften von ihren Hoffnungen auf einen raschen Boom durch die dritte Mobilfunk-Generation UMTS. Nach immer neuen Ankündigungen von Massenentlassungen und aufgeschobenen Investitionen forderte der Verband schwedischer Aktiensparer am Donnerstag schon fast mit dem Mut der Verzweiflung zur Zeichnung neuer Aktien des stark angeschlagenen Ericsson-Konzerns mit der Begründung auf, "in vier bis fünf Jahren" könne das Unternehmen wieder "normale Gewinne" erwirtschaften.

Reines Gift auf dem Weg dahin aber war all das, was gleichzeitig als Begleitmusik aus anderen Unternehmenszentralen zu hören war. Nun kündigte der Chef des nach eigenen Angaben weltgrößten Mobilfunk-Betreibers Vodafone, Jürgen von Kuczowski, den Aufschub des UMTS-Startes in Deutschland um ein halbes Jahr an. Die Handy-Produzenten mit Nokia an der Spitze seien technisch noch nicht ganz so weit, lautete die betont zurückhaltend formulierte Begründung.

Am Tag zuvor hatte der französische Konkurrent Orange in Schweden nach Meinung von Analysten eher Klartext geredet, als das Unternehmen von den Aufsichtsbehörden den Aufschub des UMTS-Starts gleich um drei Jahre von 2003 auf 2006 begehrte und neben dem Mangel an geeigneten Handys weitere Gründe nannte. "Die Nachfrage nach mobiler Datenübertragung ist so gut wie nicht existent", hieß es im Schreiben an die Post- und Teleaufsicht.

Auch den "unfassbaren Niedergang" der Finanzmärkte für Telekommunikation sprach Orange offen an. "Eine harte Nuss für die Behörden", schrieb die Wirtschaftszeitung Dagens Industri und zitierte Experten mit der einhelligen Erwartung, dass für die anderen drei schwedischen UMTS-Lizenzinhaber dieselbe Ausganglage wie für Orange bestehe. Vielleicht wolle Orange die Lizenz ja in Wirklichkeit ganz loswerden, vermutete Dagens Nyheter.

Bis zu dieser Konsequenz sind der spanische Telefonica-Konzern und die finnische Sonera in Deutschland gegangen, die ihre deutsche Lizenz zunächst nicht ausüben. 800 der 900 Mitarbeiter der gemeinsamen deutschen Tochter Quam werden wohl ihren Arbeitsplatz verlieren. Sonera hat auch schon die vier Milliarden Euro als Verlust abgeschrieben, die ohne konkrete Gegenleistung an die deutsche Staatskasse allein für das Recht auf ein noch nicht existierendes UMTS-Netz überwiesen wurden.

Über 100 Milliarden Euro hat die Branche insgesamt in Europa für derlei Lizenzen gezahlt, mit Abstand am meisten in Deutschland und Großbritannien. Schweden galt vor allem wegen der ehrgeizigen Zeitplanung mit einem Ende 2003 fertigen landesweiten Netz als Pionier. Gerade hier hat nun aber das große Bluten begonnen. Am Mittwoch kündigten zeitgleich Quam die Entlassung fast aller Beschäftigten, Nokia in Helsinki die Streichung von 900 Stellen in der Netzwerk-Sparte und der vor allem an Siemens und Ericsson liefernde Handy-Hersteller Flextronics die Entlassung von 530 Beschäftigten an.

Der Branchenführer Nokia erwartet in diesem Jahr bei der Infrastruktur von Mobilfunksystemen ein Umsatzminus von 25 Prozent. Die Finnen trifft dies weit weniger dramatisch als Ericsson, den weltweit führenden Anbieter von Systemen. Die Ericsson-Aktie ist in den vergangenen zwei Jahren um 95 Prozent gesunken, und die Talfahrt ging in dieser Woche munter weiter. Das Unternehmen muss auch angesichts immer schlechterer Kredit-Ratings um den Erfolg der angekündigten Aktienemission über 30 Milliarden Kronen (3,2 Milliarden Euro) bangen.

Beim Nachbarn in Finnland wird der einstige Traum von riesigen UMTS-Profiten für die Verantwortlichen inzwischen auch durch Aktivitäten der Justiz immer mehr zum Albtraum. Die zuständige Behörde hat eine förmliche Untersuchung des für Sonera so gut wie ruinösen Erwerbs einer deutschen UMTS-Lizenz eingeleitet. Nur durch eine Staatshilfe konnte der Konzern überleben. Das veranlasste die größte Zeitung im Lande Helsingin Sanomat zu der sarkastischen Bemerkung, vom einstigen UMTS-Traum sei bisher nur Wirklichkeit geworden, dass man "großzügig" finnische Steuergelder zur Verminderung des Defizits der deutschen Staatskasse überwiesen habe.

Die Probleme der sechs UMTS-Lizenznehmer

Quam: Der Mobilfunkanbieter hat seine Aktivitäten im Juli auf Eis gelegt. Die 15 Quam-Geschäfte sollen noch in diesem Jahr geschlossen werden. Mehr als 800 der 900 Mitarbeiter werden wohl ihren Arbeitsplatz verlieren. Die rund 200.000 Handy-Kunden können vorerst weiter telefonieren, neue werden aber nicht geworben. Mit seinem Angebot auf dem bisherigen GSM-Standard wollte sich Quam einen Kundenstamm für das UMTS-Zeitalter sichern. Quam hält an der UMTS-Lizenz fest, die Gesellschafter Telefonica Moviles (Spanien) und Sonera (Finnland) haben ihre Investitionen aber weitgehend abgeschrieben. Denkbar ist nach Einschätzung in Branchenkreisen auch eine Kooperation mit einem anderen Lizenznehmer.

Mobilcom: Ursprünglich wollte MobilCom mit seinen derzeit rund fünf Millionen Mobilfunk-Kunden unter den ersten UMTS-Anbietern sein und sich so einen Startvorsprung sichern. Nun steckt der einstige Börsenstar in einer tiefen Krise. Der seinerseits hochverschuldete Großaktionär France Telecom stellt die vereinbarten Milliarden-Investitionen in den Aufbau eines UMTS-Netzes in Frage. Im Streit nahm der charismatische MobilCom-Gründer Gerhard Schmid seinen Hut.

E-Plus: Der drittgrößte deutsche Mobilfunkanbieter mit seinen rund 7,5 Millionen Kunden hat dem niederländischen Mutterkonzern KPN durch Abschreibungen von 13,5 Milliarden Euro einen Rekordverlust beschert. Zuletzt kam ein schleppender Start des Multimedia-Dienstes i-Mode -- eine Art Vorläufer von UMTS -- zu den Problemen hinzu.

T-Mobile: Der Mobilfunk-Tochter der Deutschen Telekom werden neben Vodafone D2 die besten Chancen beigemessen, das UMTS-Abenteuer zu bestehen. Allerdings hat die Telekom bereits mit einem Schuldenberg von 65 Milliarden Euro zu kämpfen, die US-Erwerbung VoiceStream muss noch aus der Problemzone geführt werden und der dramatische Kursverfall der T-Aktie senkt die Spielräume.

Vodafone D2: Die Tochter des nach eigenen Angaben größten Mobilfunk-Anbieters der Welt liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit T-Mobile um die Marktführerschaft in Deutschland. Beide haben mehr als 20 Millionen Kunden. Zumindest operativ gilt D2 profitabler als die Bonner Konkurrenz. Allerdings lasten auch auf dem britischen Konzern wegen der Übernahme von Mannesmann die Abschreibungen schwer: Im vergangenen Jahr machte Vodafone unter dem Strich einen Verlust von 13,5 Milliarden Pfund (21,2 Milliarden Euro).

O[sub2[/sub]]: Die schweren Verluste der früheren Viag Interkom und der hohe Kaufpreis für Übernahme der Mehrheitsanteile, der an E.ON gezahlt wurde, haben maßgeblich zur tiefen Krise des Mutterkonzerns British Telecom beigetragen. Das Milliarden-Engagement in Deutschland wurde mehrfach offen bedauert. Das ungeliebte Kind wurde schließlich mit der gesamten Mobilfunksparte abgespalten und versucht nun mit rund vier Millionen Kunden einen Neuanfang als O2. Angesichts der Verluste wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 500 von 4000 Stellen abgebaut. (Thomas Borchert, dpa) / (anw)