ICANN-Chef über den Krieg und das Internet

Der Plan für neue Top Level Domains und andere Themen verblassten für einen Moment, als Journalisten die in Rio de Janeiro versammelte ICANN-Spitze nach Terrorismus und der Überlebensfähigkeit des Netzes nach einem Atomkrieg fragten.

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Von
  • Monika Ermert

"Auch eine Technologie wie das Internet kann Kriege nicht verhindern", sagte Vint Cerf, der Vorsitzende der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) in Rio de Janeiro. Der Plan für neue Top Level Domains, internationalisierte Domains und selbst das Reform-Hickhack der privaten Netzverwaltung verblassten für einen Moment, als brasilianische Journalisten die versammelte ICANN-Spitze nach Krieg, Terrorismus und der Überlebensfähigkeit des Netzes nach einem Atomkrieg fragten. Die Technologie werde diese Art von Problemen nicht lösen. "Die eigentliche Lösung dieser Probleme sind wir selbst, wir Menschen müssen uns ändern", sagte Cerf.

Zum Beweis erinnerte der TCP/IP-Mitentwickler und Arpanet-Mitbegründer an die Hoffnungen, die im vorletzten Jahrhundert an die Einführung des Telegraphen geknüpft worden war. "In den Berichten, die nach der Einführung geschrieben wurden, hieß es, dass es nach dieser Erfindung keine Kriege mehr geben würde, weil man sich nun jederzeit schnell beraten und Missverständnisse ausräumen könnte" sagte Cerf, "und zwar in Lichtgeschwindigkeit." Seither habe die Menschheit allerdings eine Reihe furchtbarer Kriege gesehen. Die Ablösung des "viktorianischen Internet" -- so nannte Tom Standage den Telegraphen in seinem gleichlautenden Buch -- durch das moderne Internet werde daran nicht per se etwas ändern, so Cerf.

Einen entschiedenen Kommentar zum aktuellen Krieg gegen den Irak wollten weder Cerf noch ICANN-Präsident Stuart Lynn abgeben. Cerf sagte, beide Seiten hätten ihre Argumente. Er bedauere sehr, dass man in diesen Krieg nach langen Bemühungen zur Unterdrückung von Massenvernichtungswaffen getrieben worden sei. Lynn, der in Rio einen bewegten Abschied von ICANN nimmt, sagte, Krieg könne unter bestimmten Umständen notwendig sein, doch niemand würde gerne Menschen töten. Sein Nachfolger, der Australier Paul Twomey wies dem Netz allerdings die Aufgabe zu, das Leid der Menschen in Kriegsgebieten und auf der Flucht in alle Welt zu verbreiten. Dass dies selbst aus dem schwer unter Beschuss stehenden Irak noch möglich ist, beweisen aktuell verschiedene Alternative Newsseiten. Allerdings hat der private Blog-Betreiber Salam Pax zuletzt am Montag auf seiner Seite gepostet, dass er inzwischen extreme Schwierigkeiten mit den Netzzugang habe.

Das mag die Einschätzungen der ICANN-Spitze zur Robustheit des Netzes allerdings zu relativieren. Cerf, Lynn und Technikberater Steve Crocker waren sich darüber ziemlich einig, auch wenn sie die Frage nach dem Weiterfunktionieren nach dem Atomkrieg lieber nicht beantworteten. Lynn und Cerf verwiesen einmal mehr auf das Netz als einzigen funktionierenden Kommunikationskanal nach den Anschlägen des 11. September 2001. Er habe von Santiago de Chile aus Freunde in Manhattan nicht per Telefon, doch problemlos über das Internet erreicht, sagte Lynn.

Bei der Ausführung der Terroranschläge habe das Netz nach seiner Einschätzung nach keine Rolle gespielt, sagte Cerf. Auch wandte er sich gegen die Vorstellung von einem Internet, das Kriminalität begünstige. "Das Netz ist wie ein Blatt Papier. Es ist nichts als ein weiteres Werkzeug für die Kommunikation und kann als solches genutzt und auch missbraucht werden", so Cerf. Die ICANN tagt noch heute und morgen und beschäftigt sich unter anderem auch mit Datenschutzproblemen von Whois-Informationen und deren Verkauf sowie den Problemen beim Wechsel des Registrars. (Monika Ermert) / (anw)