Webcasting, Copyright und die Unbedarftheit der Politiker

Der Wille zur Veränderung: Musiker und Industrie suchen auf der "Future of Music" den Weg zwischen unsinnigen Lizenzforderungen und kostenpflichtigen Abodiensten.

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Von
  • Janko Röttgers

Politische und wirtschaftliche Fragen standen im Mittelpunkt bei der Fortsetzung der Konferenz "Future of Music" in Washington. Die jährlich im Januar stattfindende Veranstaltung gibt allen Beteiligten nicht zuletzt die Gelegenheit, Ereignisse des Vorjahres aus dem Spannungsfeld zwischen Musik und neuen Medien zu bewerten. RIAA-Präsident Cary Sherman zeigte sich trotz deutlicher Umsatzrückgänge im Jahr 2002 optimistisch: "Es wird mehr Musik konsumiert als je zuvor". Leider werde dafür nicht in jedem Fall bezahlt. Der Chef der Vereinigung der US-amerikanischen Musikindustrie zeigte sich jedoch überzeugt, dass mit der Einführung kostenpflichtiger Abo-Angebote wie Pressplay und Musicnet eine Trendwende eingeleitet worden sei.

Nicht fehlen durfte beim allgemeinen Jahresrückblick auch das Thema Webcasting, das 2002 wie kaum ein anderes die Internet-Gemeinde beschäftigte. Grund dafür war die Einführung einer Lizenzabgabe für Internetradios, die zu gleichen Teilen zwischen Musikern und Plattenfirmen aufgeteilt werden soll. Nach dramatischen Verhandlungen konnte im Oktober eine Gebührenordnung per Gesetz verhindert werden, die viele kleine US-Netzradio-Betreiber in den Ruin getrieben hätte. Die Teilnehmer des Webcasting-Panels begrüßten den Kompromiss denn auch einmütig. Kurt Hanson vom Branchendienst Radio and Internet Newsletter" merkte lediglich an, dass kleine Netzradios mit den jetzt in Kraft getretenen Gebühren kaum Chancen hätten, zu expandieren.

Gleichzeitig machte David Carson vom US Copyright Office deutlich, dass mit dem Kompromiss längst noch nicht alle Probleme beseitigt sind. So gibt es immer noch keine Gebührenordnung für College-Radios, die ihr Programm auch im Internet übertragen. Außerdem erklärte Carson, dass einige der Gebühren praktisch schon wieder hinfällig sind. Das Copyright Office ist per Gesetz dazu verpflichtet, die Höhe der Gebühren regelmäßig anhand der Marktlage neu zu bestimmen. Die Raten für große Webcaster gelten deshalb nur rückwirkend für die Jahre 1998 bis 2002. Bereits im Frühjahr wird Carsons Behörde wieder über neue Gebühren beraten müssen. Weiterhin ungeklärt ist außerdem, welche Daten Netzradio-Betreiber der Internet-Verwertungsgesellschaft Soundexchange über die von ihnen gespielte Musik zukommen lassen müssen. Soundexchange-Geschäftsführer John Simson gab sich jedoch optimistisch, diese Probleme bald ausräumen zu können.

Von ganz anderen Problemen konnte Gigi Sohn als Vorsitzende der Nonprofit-Organisation Public Knowledge auf dem Copyright-Panel der Konferenz berichten. Sohn sammelt für ihre Organisation Anekdoten über Fälle, in denen Copyrights in eklatanter Weise Kreativität einschränken. Dazu gehört beispielsweise die Geschichte des Filmemachers Davis Guggenheim, der 1999 einen Dokumentarfilm über Lehrer in Los Angeles drehte. Ursprünglich tauchte in dem Film eine Szene auf, bei der wenige Sekunden lang im Hintergrund ein Fernseher mit einer Folge der Simpsons zu sehen war. Die Szene musste entfernt werden, da der Fernsehsender Fox dafür 25.000 Dollar Lizenzgebühren verlangte. Musiker sehen sich teilweise sogar mit weitaus höheren Forderungen konfrontiert, wenn sie die Rechte für Samples klären wollen. Entertainment-Anwalt Whitney Broussard dazu: "Eine Platte wie Paul's Boutique von den Beastie Boys könnte heute gar nicht mehr produziert werden. Die Lizenzen würden Millionen verschlingen."

All das war Wasser auf die Mühlen des Creative-Commons-Geschäftsführers Glenn Otis Brown. Er nutzte das Panel, um dem Publikum die Copyright-Lizenzen seiner Organisation vorzustellen. Creative Commons will Urheber dazu bewegen, etwas laxer mit ihren Rechten umzugehen und beispielsweise die nicht kommerzielle Weiterverbreitung ihrer Werke im Netz oder auch das Sampling zu erlauben. Gegenüber heise online erklärte Brown, die ersten Reaktionen auf die erst vor rund drei Wochen eröffnete Lizenzplattform seien sehr vielversprechend. Besonders groß sei der Zuspruch von Wissenschaftlern und Weblog-Autoren.

Egal ob mit neuen Lizenzen oder alternativen Vermarktungswegen -- die gestrigen Podiumsbeiträge und zahlreiche Wortmeldungen aus dem Publikum machten deutlich, dass viele Musiker, Anwälte und auch Manager die Musikbranche verändern wollen. Indie-Musikerin und Future-of-Music-Mitarbeiterin Jenny Toomey sprach den meisten Anwesenden aus der Seele, als sie erklärte: "Wir wollen ein Modell, dass mehr Menschen erlaubt, von Musik zu leben." Selbst aktiv werden und nicht auf den Gesetzgeber vertrauen, war dazu der Rat Mark Foleys, seines Zeichens republikanischer Abgeordneter und Leiter der Kongress-eigenen "Entertainment Industry Task Force". Musiker sollten das Gespräch mit Politikern suchen und ihnen ihre Anliegen erklären. Diese hätten ein bisschen Nachhilfe in Sachen Musik und Internet bitter nötig, meinte Foley polemisch: "50 Prozent der Kongressabgeordneten wissen nicht einmal, wie ihr Computer angeschaltet wird."

Zur Future of Music siehe auch:

(Janko Röttgers) / (jk)