Deutschlands New Economy ist nur mittelmäßig entwickelt

Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft ist die New Economy in Deutschland nur mäßig ausgeprägt.

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  • klp

Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ist die New Economy in Deutschland – wie auch in den anderen großen kontinentaleuropäischen Ländern – nur mäßig ausgeprägt. Erhebliche Hindernisse, vor allem überregulierte Arbeits- und Produktmärkte, behinderten hier ein rasches Ausbreiten der neuen Wirtschaft, und hohe Kommunikationskosten hemmten teilweise die Verbreitung des Internet. Während die USA im internationalen Vergleich unangefochten die Spitzenposition bei der Ausprägung der New Economy innehabe, könnten im europäischen Verbund lediglich Schweden und die Schweiz noch annähernd einem Vergleich mit den USA standhalten.

Die Untersuchung bewertet sieben Indikatoren der technischen Ausstattung im IuK-Bereich, nämlich die Pro-Kopf-Ausgaben für Informationstechnik beziehungsweise für Telekommunikation, die Zahl von Personal-Computern, Internet-Hosts, Mobiltelefonen und TV-Kabelanschlüssen je tausend Einwohner sowie die Zahl "gesicherter Server" je 1 Million Einwohner. Außerdem wurden sieben Indikatoren zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bewertet, das waren die "Internationale Offenheit", die Markt- und die administrative Regulierung, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und die "Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes" auf der Basis einer OECD-Empfehlung. Zudem wurden als Umfeldfaktoren der Marktwert der inländischen Aktien- und Rentenmärkte sowie die Bereitstellung vorbörslichen Risikokapitals in der Untersuchung berücksichtigt.

Danach liegt Deutschland bei den Pro-Kopf-Ausgaben für IT mit 679 Euro weit hinter den USA mit 1.675 Euro, ohne dass hier zwischen 1997 und 2000 eine für Deutschland günstige Dynamik deutlich geworden wäre. Im Bereich der Ausgaben für TK liegt Deutschland mit 723 Euro pro Kopf auf dem vorletzten Platz, allerdings mit einer Veränderung um 180 Euro zwischen 1997 und 2000. Vorreiter ist hier die Schweiz mit 1.366 Euro TK-Ausgaben und einer Dynamik von 183 Euro. Die USA liegen hier nur auf Platz 5 mit 991 respektive 158 Euro.

Der PC-Bestand ist in den USA am höchsten, mit 650 Geräten je 1.000 Einwohner, Stand 2000, die Änderung zwischen 1997 und 2000 betrug hier 180 Geräte. Knapp zweitplatziert ist Schweden mit 630 Geräten pro 1.000 Einwohner, aber einer Dynamik von 280 Geräten zwischen 1997 und 2000. Deutschland liegt im hinteren Mittelfeld mit 340 Geräten bei einem Zuwachs von 120, abgeschlagen sind Spanien und Italien mit nur 160 PCs je 1.000 Einwohner und einer geringen Dynamik von 80 beziehungsweise 60 Geräten zwischen 1997 und 2000.

Deutlich führend zeigen sich die USA bei der Zahl der Internet-Hosts je 1.000 Einwohner: 268 Hosts wurden hier im März 2001 ermittelt, die Veränderung zwischen 1997 und 2001 lag bei beachtlichen 207 Stück. Im europäischen Raum kann hier mit einigem Abstand lediglich Finnland mithalten, mit 179 Hosts, das sind 108 mehr als 1997. Deutschland liegt mit 40 Hosts (29 mehr als 1997) auf dem viertletzten Platz, Frankreich und Spanien markieren das untere Ende mit 23 beziehungsweise 22 Hosts, jeweils 18 mehr als 1997.

Besonders groß ist die Diskrepanz bei den "gesicherten Servern" je 1 Million Einwohner: Fanden sich im März 2000 in den USA 170 Server (immerhin 143 mehr als 1997), sind es in der Schweiz – dem zweitplatzierten europäischen Land – noch 92 (plus 84), in Deutschland aber nur 35 (plus 33). Italien besitzt ganze 11 Hosts (plus 9) und stellt damit das Schlusslicht.

Vor dem Hintergrund der schon verschiedentlich berichteten Probleme der US-Amerikaner mit ihren Mobilfunknetzen verwundert es nicht, wenn das Land in diesem Bereich weit abgeschlagen ist: 400 von 1.000 Einwohnern besaßen hier im Jahre 2000 ein Handy, das sind 193 mehr als 1997. In Deutschland lag der Anteil bei 580 Geräten (479 mehr als 1997), während die europäischen Vorreiter Schweden (750), Finnland (780) und Italien (740 Geräte) heißen, letztere mit einem besonders großen Zuwachs von 534 Geräten zwischen 1997 und 2000.

Eine große Popularität scheinen in Deutschland hingegen die TV-Kabelanschlüsse zu genießen, denn zwischen 1997 und 1999 stieg deren Anzahl je 1.000 Einwohner um 25 auf 250. An diese Dynamik kann lediglich Japan anschließen, hier konnte ein Plus von 21 Anschlüssen je 1.000 Einwohner verzeichnet werden, allerdings auf einer sehr niedrigen Basis von nur 55 bestehenden Anschlüssen in 1999. Am intensivsten verkabelt sind die Niederlande (370 Anschlüsse je 1.000 Einwohner), Belgien mit Luxemburg (360) und die Schweiz (340), allesamt allerdings jeweils mit einer quasi Stagnation zwischen 1997 und 1999. In den USA sind 248 Anschlüsse zu verzeichnen, nur sieben mehr als 1997.

Bei den Rahmendaten-Indikatoren – hier wurden die "Internationale Offenheit" und die Grade an Markt- beziehungsweise administrativer Regulierung bewertet – ist das Ergebnis für Deutschland gemischt. Auf einer Skala von "0 = schlecht" bis "6 = gut" rangiert das Land im Hinblick auf seine "Internationale Offenheit" mit einer Note von 5,5 knapp auf Platz 2 hinter Großbritannien mit 5,6. Im vorderen Mittelfeld liegt Deutschland mit 4,6 in Bezug auf die Marktregulierung, auch hier kann – vermutlich auf Grund der stark deregulierend wirksam gewesenen Thatcher-Ära – Großbritannien mit 5,4 den Spitzenplatz behaupten, während die stark regulierten Länder Norwegen (3,3) und Italien (2,5) hintanstehen. Bei der administrativen Regulierung, also bei der Bewertung von Genehmigungsverfahren und Auflagen für junge Unternehmen, landet Deutschland wiederum ganz weit hinten: 3,3 lautet hier die Note, gegenüber 5,5 bei den Briten und 3,0 beziehungsweise 2,9 in Italien und Frankreich. Die USA liegen in allen drei Bereichen mit Werten um 5,0 jeweils gut platziert im vorderen Bereich.

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung umfassten in Deutschland in 1998 bei 2,29 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, das ist Mittelmaß. Die höchsten FuE-Ausgaben hatte Schweden mit 3,7 Prozent seines BIP, während die USA hierfür 2,84 Prozent aufwendeten. Italien und Spanien stellten für FuE nur 1,02 resp. 0,9 Prozent bereit, das sind die im Vergleich niedrigsten Ausgaben.

Der Grad der "Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes" basiert nach den Vorstellungen der OECD im Wesentlichen auf möglichst "deregulierten" Zuständen im Hinblick auf Kündigungsmöglichkeiten und Zeitarbeit, auf der "Anreizfeindlichkeit des Transfersystems" (übersetzt in etwa: möglichst große Hürden und möglichst niedrige Leistungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall), bei Lohnfindungssystemen (flexibel à la USA mit dem Verzicht auf Tarifverträge und auf Schutz vor Lohndumping) und bei der Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen. Auch in diesem Bereich zahlt sich die Arbeit der Thatcher-Regierung aus: Mit einem "inversen Arbeitsmarktindikator" (gibt in Prozent an, wie viele der OECD-Reformempfehlungen nicht oder nicht mehr gültig sind) von 92 Prozent markiert das Land die Spitzenposition, gefolgt von der Schweiz und Japan mit 89 Prozent. Nur unwesentlich schlechter die USA mit 87 Prozent auf Platz 3. Geradezu "dramatisch" hingegen die Platzierung Deutschlands im internationalen Vergleich: Nur 53 Prozent der OECD-Empfehlungen sind hier nicht mehr gültig – letzter Platz, sogar noch vor den ehedem als "Sozialstaaten" gerühmten (respektive – je nach Sichtweise – kritisierten) Ländern Norwegen (56 Prozent), Finnland (66 Prozent) und Schweden (72 Prozent). Die OECD-Lektion besonders gut gelernt zu haben scheint Dänemark, das mit 78 Prozent zusammen mit Italien gleich hinter den USA anschließt.

Hinsichtlich des Marktwertes der inländischen Aktien- und Rentenmärkte lag Deutschland Ende 1999 im hinteren Mittelfeld mit 153 Prozent des BIP. In den USA lag diese Quote bei rund 345 Prozent, gefolgt von der Schweiz mit 333 Prozent. Ganz unten auf der Skala Österreich (88 Prozent) und Norwegen (82 Prozent).

Schlecht bestellt ist es im Vergleich zu den USA in Deutschland zudem mit der Bereitstellung von Risikokapital für junge Unternehmen. Setzt man die USA, die hierfür 0,482 Prozent ihres BIP ausgaben, gleich 100, so erreicht Deutschland nur einen Ranking-Wert von 27, da hier in 1999 nur 0,13 Prozent des BIP für Risikokapitalgaben bereitstanden. Im europäischen Vergleich stechen hier Belgien mit Luxemburg mit einem 52,3-Ranking (0,252 Prozent des BIP) und die Niederlande mit 50,8 (0,245 Prozent des BIP) hervor. In Österreich (Ranking 5,8, entspr. 0,028 Prozent des BIP) und vor allem in Japan (Ranking 3,0, entspr. 0,015 Prozent des BIP) steht Risikokapital für Jungunternehmen praktisch überhaupt nicht zur Verfügung.

Rechnet man alle Indikatoren zu einem Gesamtindikator zusammen, qualifizieren sich die USA nach Aussage der IW-Untersucher zur "eindeutig führenden Volkswirtschaft", da sich "bei einem förderlichen Wettbewerbs- und Institutionenrahmen [...] sich hier rasch eine leistungsfähige IuK-Ausstattung aufbauen [konnte]." Unter den Europäern seien am ehesten die Schweden und die Schweizer mit den USA "in Sichtweite" geblieben, während Deutschland im Mittelfeld vor den Schlusslichtern Spanien und Italien liege.

Die den Überlegungen zugrundeliegende makroökonomische These geht davon aus, dass die New Economy als Begriff für einen vor allem vom IuK-Fortschritt beschleunigten Anstieg der Arbeitsproduktivität steht, der zu einem dauerhaft dynamischeren Wachstum des Produktionspotenzials führe. Dies wiederum lasse die gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung zügiger und anhaltender steigen, ohne dass ein nennenswerter Inflationsdruck aufkomme. Der Zielkonflikt zwischen Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung werde damit tendenziell entschärft, außerdem vermindere sich die kunjunkturelle Zyklussensitivität. Als Beispiel für eine durch die New Economy günstig beeinflusste Volkswirtschaft wird der langjährige Wirtschaftsaufschwung in den USA herangezogen, der in den letzten Jahren eine deutlich geringere konjunkturelle Schwankungsintensität gezeigt habe. Hierfür werden ein sektoraler Strukturwandel in Richtung des konjunkturresistenteren Dienstleistungsbereichs, eine verstetigte Geldpolitik und vor allem auch geringere Ausschläge in der Lagerhaltung verantwortlich gemacht. Die Hälfte der beschleunigten Produktivitätsdynamik sei in diesem Zusammenhang direkt auf IT-Effekte zurückzuführen. Die in den letzten Monaten beobachtete Verlangsamung des US-Wirtschaftswachstums deute allerdings an, dass zyklische Momente weiter wirksam seien.

Europa bilde das Kontrastmodell zum US-Vorbild: In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre sei hier die Arbeitsproduktivität langsamer gestiegen als in den vorangegangenen fünf Jahren. Die Investitionsdynamik sei deutlich geringer und die Beschäftigungseffekte des ohnehin unbefriedigenden Wirtschaftswachstums erheblich niedriger ausgeprägt gewesen als in den USA. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen liege es nahe, die unterschiedliche makroökonomische Performance der beiden Regionen darauf zurückzuführen, dass sie New Economy in Europa erst in Ansätzen erkennbar sei. Um dies zu verbessern, müssten vor allem die Arbeits- und Produktmärkte flexibler werden und sich den Anforderungen eines raschen Strukturwandels öffnen. Teilweise hemmten zudem nach wie vor hohe Kommunikationskosten die Verbreitung des Internet, und die Qualitäten der Produktions- und Investitionsstandorte müssten so weit aufgewertet werden, dass sie für ausländische Unternehmer attraktiver würden und die IuK-Diffusion förderten (klp/c't) / (jk)