Microsoft-Prozess: Offenlegung des Windows-Quellcode?
Bill Gates ist angeblich bereit, den Quelltext von Windows offen zu legen, wenn dadurch eine Einigung im Anti-Trust-Verfahren erreicht werden kann.
Bill Gates ist angeblich bereit, den Quelltext von Windows offen zu legen, wenn dadurch eine Einigung im Anti-Trust-Verfahren gegen Microsoft möglich ist. Dies behauptet zumindest das amerikanische Wirtschaftsfernsehen Bloomberg-TV nach einem Interview mit dem ehemaligen Microsoft-Chef und jetzigem Chief Software Architect des Software-Konzerns aus Redmond. Allerdings kam das Dementi von Microsoft prompt: Microsoft-Sprecher Jim Cullinan wies die Angaben laut AFP als "unrichtig" zurück. Gates habe lediglich gesagt, das Unternehmen werde sein Möglichstes tun, um eine Übereinkunft mit der US-Regierung zu erzielen.
Bloomberg allerdings bleibt trotz des Dementis bei seiner Darstellung. Zwar habe Gates erklärt, Microsoft würde den Windows-Quellcode nicht offen legen, um mit anderen Open-Source-Systemen zu konkurrieren. Er betonte laut Bloomberg, dass der "geschlossene" Quelltext Windows zuverlässiger mache. Allerdings habe Gates auf die Frage, was denn eine "vernünftige" Lösung für eine außergerichtliche Einigung sei, ebenso erklärt: "Wenn wir eine Einigung haben können, werden wir unser absolut Bestes dafür tun, sie zu erreichen". Nach Beendigung der Kameraaufzeichnung des Interviews habe Gates dann auf die direkte Frage, ob dazu auch die Offenlegung des Windows-Quelltexts gehöre, explizit mit "Ja" geantwortet. "Wenn das alles ist, was notwendig ist", fügte Gates laut Bloomberg mit einem Lächeln hinzu.
Microsoft-Sprecher Greg Shaw dementierte den Bloomberg-Bericht ebenfalls: "Er (Gates) machte keinen der Kommentare, was den Source-Code betrifft, die ihm zugeschrieben werden. Er sagte nur, was wir die ganze Zeit schon erklären: Dass wir unser Bestes tun werden, um eine Einigung im Prozess zu erreichen; und daran ist nichts neues". Matthew Winkler, Chefredakteur von Bloomberg, betonte daraufhin nochmals, dass der Newsdienst bei seinem Bericht bleibe.
Kommentare von Rechtsanwälten, die das US-Justizministeriums und 19 amerikanischen Bundesstaaten im Verfahren gegen Microsoft vertreten, deuteten darauf hin, dass ein Angebot zur Offenlegung der Windows-Sourcen die Situation für Microsoft vollständig ändern würde. Bislang tendieren die Vertreter der Anklage im Kartellprozess dazu, Microsoft in mehrere kleinere Firmen aufzuspalten -- auch wenn die Diskussionen um das weitere Vorgehen unter den Klägern noch nicht abgeschlossen sind. Eine Freigabe des Quelltexts durch Microsoft könne zu einer Einigung im Verfahren führen, die ohne eine Aufspaltung des Konzerns auskomme, hieß es aus Kreisen der Kläger.
Ob allerdings Microsoft tatsächlich bereit ist, die Kronjuwelen des Konzerns für die Öffentlichkeit freizugeben, bleibt abzuwarten. Die Offenlegung des Windows-Codes könnte Konkurrenten die Möglichkeit geben, eigene Windows-Versionen zu entwickeln beziehungsweise die Zusammenarbeit eigener Systeme mit Windows so zu verbessern, dass eine geschlossene, reine Windows-Umgebung auch bei komplexen Installationen nicht mehr notwendig ist. Für Microsoft könnte dies gerade beim Versuch, in Großunternehmen und Rechenzentren sowie Internet-Providern mit neuen Windows-Server-Versionen zu reüssieren, einen Rückschlag bedeuten. Andererseits wäre eine friedliche Einigung im Prozess ohne Zerschlagung des Konzerns angesichts einer potenziellen Neuausrichtung auf Windows als Infrastruktur-Software für das Internet unter Umständen auch mit einer Offenlegung des Windows-Codes nicht zu teuer erkauft. Die Frage bleibt ohnehin, ob die Konkurrenz sich durch die Verfügbarkeit der Quelltexte kurzfristige Vorteile verschaffen könnte und die Auswirkungen nicht erst in einigen Monaten und Jahren zu bemerken wären. Insofern kann man die Äußerungen von Bill Gates, so sie denn stimmen, als taktisches Manöver und Versuchsballon verstehen, wie denn eine Einigung im Kartellprozess ohne größere Auswirkungen auf Microsoft zu erreichen wäre. (jk)