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Was war. Was wird.

Hal Faber findet in Apples 1984-Video über den Kampf gegen Big Brother viele Parallelen zur Jetztzeit -- nur nicht bei Apple, sondern eher bei Kämpfern gegen Windmühlenflügel.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ah, Ferien, Sonne, Sonne, SONNE. Sonne satt, selbst in der norddeutschen Tiefebene, die von Restdeutschland so gerne als trostloses Grauland angesehen wird. Aber nun Sonne. Und das nicht nur in eben dieser norddeutschen Tiefebene: Welch schönes Gefühl ist es, in Bobotemp-Shorts (Slogan: Creating desire since 1986) am Strand von Boboland zu liegen und sich nicht um Kleinigkeiten wie ausgefallene Webcams oder Stirbsereien vor eingeschalteten Webcams kümmern zu müssen. Um neue Powerbooks, die sich so sehr an den Nutzer anschmiegen, dass dieser etwas "von der Wärme der Chips darunter, dem Atemhauch des Rechners" spürt, wie die Süddeutsche schwärmt. Nein, dann schon lieber Sonne und Sonnenbrand als schlecht gestaltete Wärmeableitung im billigen "Titan-Gehäuse".

*** Wärmeableitung hin oder her, sie kann nie eine entscheidende Frage beantworten: "Was ist es, das in uns schmerzt?" Was die Junge Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesichts von Auguste Rodins Skulptur Der Denker zur Preisfrage auslobt, die mit nicht mehr als 30.000 Zeichen beantwortet werden soll, meint die Firma mit dem angebissenen Apfel schon 1984 beantwortet zu haben. Das Big-Brother-Video, mit dem Apple die Einführung des Macintosh feierte, strahlte noch den Charme der frühen 80er aus, den vermeintlichen Kampf gegen Big Brother IBM. Die Frau in den roten Hosen, die das elektronische Abbild des Großen Bruders zerstört, wurde aber schon von Ridley Scott in Szene gesetzt, der auch "Alien" schuf: Den Einbruch des ganz Anderen in die gewohnte Welt, bei dessen Anblick sich manch einer wohl nach Big Brother und seiner allumfassenden Güte und vor allem – Ruhe sehnen mag. So mögen es inzwischen auch die meisten Apple-Anhänger sehen und sich der Langeweile der Macworld dieser Tage hingeben: Big Brother Steve hat nicht einmal mehr eine letzte Überraschung zu bieten, seine Rede sei "Ja, ja, nein, nein". Selbst der iMac verliert die poppigen unter seinen seltsamen Farben, und der normale Macintosh ist auch nur noch eine Big-Brother-Blackbox – mag sie bei Apple auch silbern daherkommen.

*** Aber halt, der Schmerz in uns über den Verlust des letzten Revoluzzers der Branche darf nicht dazu führen, zu sehr abschweifen, denn die Chronistenpflicht ruft doch zum Rückblick auf eine Woche, in der die Webby Awards verliehen wurden, die uns als Oscars der IT-Branche angepriesen werden. Hier gehörte Microsoft zu den großen Gewinnern, mit einem Webby für sein Windows-Update in der Sparte "Technical Achievement", überreicht von Andy Grove – vor einem ausdauernd buhenden Publikum. Eine Szene, die im MS-TV nicht übertragen wurde – einfach darum, weil es MSN-TV war, das die Verleihung sendete. Früher hieß man WebTV und erzeugte mit dem Namen "eine falsche Markensuggestion", wie es bei Micorosft zum Namens-Update heißt. Was natürlich die Frage nach einer richtigen Suggestion aufwirft. Vielleicht eine kabbalistische Formel wie "Sam Donaldson, dude, gnarly toupee"? Immerhin, die Bobos von Plastic machten es stilvoll: "Bankruptcy never felt so good."

*** Stilvoll kommt auch eine andere Bobo-Bande daher: "Nach erfolgreicher Testphase hat der Verband hierzu unter www.eco.de eine Anlaufstelle ('Hotline') für Hinweise auf rechtswidrige Usenet-Aktivitäten eingerichtet. Die Beschwerdehotline 'NewsWatch' nimmt nunmehr Hinweise von Usenet-Nutzern entgegen", so der Auslöser für eine Meldung dieser Woche, die zu denken gibt. In ihr erklärt der Provider-Verband Eco, wie er gedenkt, "Newsgroups im Internet von bedenklichen und illegalen, rechtsextremistischen oder kinderpornographischen, Inhalten zu befreien". Was neben den rechtsextremistischen oder kinderpornographischen Inhalten (die übrigens anderswo gemeldet werden können) bedenkliche Inhalte sein sollen, lässt er offen. Oder gibt es keine Differenz mehr zwischen bedenklichen und rechtswidrigen Inhalten?

*** Was bedenkliche Inhalte sind, darüber mögen die Meinung auseinander gehen. Ob bild.de, das "Entertainment- und Infotainment-Portal", das wir uns alle gewünscht haben und mit dem T-Online endlich wieder Geld verdienen will, bedenklich ist, darüber sind zumindest die Telekom und Springer einer einzigen Meinung: Endlich etwas im Internet, für das die Surfer gerne Geld bei den Betreibern hinterlegen. Das dürfte wohl der Sinn bei der Idee sein, dass bild.de die Rechte an den Bildern der Hochzeit eines gewissen deutschen Selbstdarstellers exklusiv gekauft hat. Nun sind Selbstdarsteller an sich noch keine erwähnenswerte Spezies, nicht einmal im Misthaufen Internet; sobald sie aber Heiner Lauterbach heißen, lässt es sich vielleicht doch verkaufen. Die Hochzeit des Selbstdarstellers mit einer gewissen – hm, nun, der Name ist mir entfallen, mag auch nicht so wichtig sein, jedenfalls Lauterbachs Hochzeit soll bild.de eben zu dem Status als Infotainment-Portal verhelfen, als das es uns gerne schon entgegentritt. "We shall prevail!", meint Big Brother in dem Apple-Spot, bevor der Hammer in den Bildschirm fliegt. Ob solche Angebote wie bild.de künftig das Internet beherrschen, sei dahingestellt – bislang ist noch keine rotbehoste Heldin in Sicht, die den Hammer wirft: "Our enemies shall talk themselves to death. And we will bury them with their own confusion", sagt Big Brother, und bild.de gibt ihm Recht. Kein Hammer, nirgends. Stattdessen der Schmerz in uns.

*** "We have created, for the first time in all history, a garden of pure ideology", trumpft Big Brother bei Apples Macintosh-Einführung auf, bevor ihm der Garaus gemacht wird. Schade eigentlich, dass der Spot fast nie zu sehen war, da Apple nicht genug Geld hatte, um ihn massenwirksam in möglichst vielen TV-Kanälen laufen zu lassen. Heute hat Apple wieder etwas mehr Geld, und Steve Jobs ist wie damals wieder am Ruder – aber die reine Ideologie, die vertritt der Konzern inzwischen genauso wie die Firma IBM, die im Spot von 1984 noch als Big Brother erscheinen durfte. Die Globalisierung nicht nur der IT-Industrie, sondern des gesamten Kapitals stieß in Genua dieser Tage nun auf erbitterten Widerstand – bis hin zum Tod eines der Globalisierungs-Gegner. Was manche Mitglieder, etwa auch von Attac, gerne als Bild des friedvollen französischen Bauern oder zufriedenen italienischen Winzers gegen die Globalisierung setzen, hat Big Brother IBM selbst schon längst als Markt für sich selbst begriffen – mit der italienischen Olivenöl-Oma, die mit IBM-Servern E-Business im Internet betreibt. Big Brother ist es egal, ob er mit globalisierten Konzernen oder regionalisierten Mütterchen Geschäfte macht. Die totale Regionalisierung, die etwa die Taliban unter angeblich islamischen, in Wirklichkeit nur fanatisierten Fahnen herstellen, lässt dagegen manchem Afghanen und vor allem wohl den allermeisten Afghaninnen die Globalisierung als Paradies des Untergangs von Big Brother erscheinen.

Was wird.

Was ist ein besserer Ort als ein einsamer Sandstrand mit ein paar Förmchen zum Kuchenbacken, wenn man dem, was in uns schmerzt, und möglicherweise auch der Lektüre von Gerd Koenen entkommen will, der sich redlich abmüht, "Das rote Jahrzehnt" zu erklären? Für die Jüngeren, die nicht irgendwann in den 50ern geboren wurden, sind K-Gruppen und Revolutionäre Zellen schwer zu erklärende Ballungen menschlicher Aktivitäten. Koenen versucht es mit einem Vergleich: "Die ganze Art, wo man ging, saß oder stand, fast 'besinnungslos' zu lesen, schwerstkalibrige Wälzer in Tag- und Nachtschichten zu verschlingen, philosophische Großsysteme zu rekonstruieren und ihre Sprache autodaktisch zu lernen, so wie Computerkids es heute vielleicht mit esoterischen Programmiersprachen tun..", was wäre es für eine hübsche Linux-Parallele, wenn Koenen nicht so enden würde: "..zielte weder auf Wissen noch auf Verstehen im engeren Sinne." Wer sich in eine Programmiersprache einbuddelt, ohne sie zu verstehen, hat schlechte Karten. In diesem Sinne gibt es heute andere Ferienprojekte als revolutionäre Zeltlager, etwa das schon einmal erwähnte HAL 2001, das sogar ganz ohne Sonne und Strand auskommen muss. Derweil soll es regnen, regnen, regnen, auf meine verbrannten Häute, ob sie nun in der norddeutschen Tiefebene oder in Boboland der Verbrennung anheim fallen...

Es wird übrigens auch eine Premiere in der nächsten Wochenschau: Letzte Woche lobte ich die Mitarbeit für die nächste Kolumne für den oder die aus, der oder die mein Geburtsdatum anhand der Position in Pi erführen. Nun, es gab nicht viele, aber mehrere – und der datumstechnisch Erste hat gewonnen, so verfügte ich nun einfach. Der nun aber hat erst nächste Woche Zeit. Die geneigten Leser dürften gespannt sein. (Hal Faber) / (jk)