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Was war. Was wird.

Weihnachten trifft Hal Faber schwer. Zum Glück verlassen die deutschen Intellektuellen ihren Elfenbeinturm und entdecken das Internet - oder doch zu unser aller Unglück?

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer, so auch an Weihnachten, möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Marley war tot, damit wollen wir anfangen.". Nein, halt – ganz falscher Start: "Denn es begab sich zu dieser Zeit, dass die Menschen das Internet entdeckten." Hm, das stimmt auch nicht so recht. Ich geb's auf – immerhin hat heise online seine Leser ja auch schon in die Weihnacht entlassen. Aber der harte Kern der Netzwerker, Bitpatrioten und natürlich meine Freunde von der Bobo-Selbsterfahrungsgruppe haben RFC 968 nicht vergessen und wissen, dass es weitergeht. Die anderen, die auf's Christkind oder einen anderen Domain-Namen warten, hängen ohnehin online herum und blättern im Web, auf dass jemand weiter hilft. The Show must go on – bis der Arzt kommt...

*** Also nochmal von vorne: Vom Himmel hoch, da komm ich her, und zwar mit folgender Meldung vom Freitag, die heise online natürlich gefühllos übergangen ist: "Wie geplant ist der Relaunch der Engel AG seit 22.12.2000 online. Damit schenkt sich das Systemhaus für Informations- und Kommunikationslösungen rechtzeitig zum Fest eine neue Website und demonstriert nun auch im WWW den hohen Anspruch des Unternehmens." Damit wissen wir endlich, was Engel sind: Sie bieten Consulting und Fullservice in den Gebieten Sicherheit (abends, wenn ich schlafen geh, 14 Engel um mich stehn) Information (und der Engel sprach zu Maria) und Energie (Ich bin wie das Licht). 330 Engel gibt es übrigens, die nach Shaw nur deshalb fliegen können, weil sie sich nicht ernst nehmen. Anatole France beschäftigte die Frage, warum der Mensch den Engeln folgt und vertraut. Seine Antwort gibt zu denken: Engel können ihr Geschlecht wechseln.

*** Das kann der Weihnachtsmann nicht. Er ist eine Art Superman, der nach Berechnungen namhafter Wissenschaftler Megatonnen Geschenke in Nanosekunden an die Kinder der Christenheit verteilt. Doch trotz all der sagenhaften Daten hat er nicht einmal einen vernünftigen Businessplan, dieser arme Kerl. Darin unterscheidet er sich von den Bobos, den Helden der digitalen Ökonomie, bei denen der Wunsch nach einem guten Rutsch fatale Folgen zeitigte. Jetzt rutschen sie wirklich.

*** Eine merkwürdige Erfahrung musste dabei das Startup e-com-con machen. Die Firma wirbt im Web für ihren Octanium-Chip und ist damit auf dem Radar von Intel aufgetaucht, weil sie namenstechnisch in guter Triton-Tradition hart am Pentium vorbeirauscht. Ob Intel damit gut beraten ist? Zu den Produkten von e-com-con zählt der Gleitkomma-Prozessor Nostradamus, die Verschlüsselungsfunktion Houdini, das Videoprotokoll H.Bomb und der Web-Browser Spelunker. Doch bei Octium will Intel keinen Spaß verstehen.

*** Namenstechnisch gab es diese Woche etliche Dispute um den guten jüdischen Namen Nisan (vulgo ein Monat des alten hebräischen Kalenders), der auch ein guter arabischer Name (nämlich der April) ist. Um Nissan.com, Nissan.net und Nissan.org tobt dennoch nicht der Kampf Araber gegen Israelis, sondern eine Auseinandersetzung zwischen dem Autobauer Nissan und dem Computerfachman Uzi Nissan. Was den Fall interessant macht, sind nicht die rechtlichen Geplänkel, sondern die Überzeugung von Nissan, dass die Besetzung des Namens den Bau von Autos behindert – weil die Autos wesentlich mit dem Netz verbunden sein müssen. So gesehen kann sich Ford mit seinem Explorer auf eine wirklich lustige Clique einstellen.

*** Aber Nissan hat da ja noch ein kleines Problem, vergleicht man es mit dem von Ferrero. Oder war es v. Ferrero? Wie auch immer, die Firma mit der ekligen Werbung meint offensichtlich, Kinder behindern die Produktion von Schokolade, zumindest, wenn Kinder im Web zu finden sind. Seltsame Marketingstrategie, sollte man doch meinen, dass gewisse Produkte des italienischen Unternehmens vor allem die Zähne der Kleinsten verderben sollen. Aber selbst, wer Kinder hat, kann schon das Grausen bekommen: Sollten die lieben Kleinen zu solchen Gestalten heranwachsen wie die, die sich in der Ferrero-Werbung herumtreiben, wäre man doch lieber kinderlos geblieben. Dann wäre also Ferrero Schuld am Aussterben des deutschen Volkes, wie gewisse Kreise es angesichts all des so genannten ausländischen Gesocks schon lange befürchten. Ist Ferrero demnach die Rache der Italiener an den Deutschen, die erst Mussolini an der Macht hielten und dann die Adria versauten? Auch was für den vorweihnachtlichen Wunschzettel.

*** Manche Leute haben aber auch komischen Wunschzettel. Oder war es nur ein Spaß, wenn Claire Swire lieber Sperma statt Glühwein trinkt? Einer der Beteiligten behauptet es jedenfalls, um seinen Job zu retten, während andere aus seiner Clique längst gefeuert worden sind. Die Mail besagter durstiger Dame läuft derweil im Stil von Good Times um den Globus; außerdem wird "Swire" in den Suchmaschinen rasant von einschlägigen Websites besetzt. So üben sich die Bewohner der Insel in Schadenfreude, und überlegen allenfalls, ob sich der besagte Stoff nicht auch als Motoröl eignen könnte – dieselbe Viskosität hat er jedenfalls.

*** Ein Wunsch, den sie vielleicht sogar auf ihrem Wunschzettel hatten, wird den Serben nicht erfüllt. Nein, nur die Kosovaren dürfen Mozilla bekommen, die Open-Source- und nach Ansicht mancher Fans einzig echte Variante des ehemals so beliebten Netscape-Browsers. Nun schreiben die Kosovoraren kaum weihnachtliche Wunschzettel, sind sie doch in der Mehrheit Muslime – einschließlich ein paar verstreuter und ebenfalls ungern gelittener und ebenfalls vertriebener Roma und Aschkali. Trotzdem dürfen die Kosovaren jetzt mit Mozilla im Web browsen, dank der liberalen Export-Bestimmungen der US-Regierung. Einwohner von Kuba, des Sudan oder Syriens beispielsweise dürfen das, wie die Serben, immer noch nicht. Nun, macht nichts, wir mussten ja vor kurzem auch lernen, dass das Internet für die Kubaner etwa noch weitgehend tabu ist. Da ist es egal, wenn die wenigen, die doch dürfen, den Internet Explorer benutzen. Ob das aber die Menschen im Kosovo so besonders interessiert, wage ich zu bezweifeln. Aber die KFOR wird's schon richten – oder erinnert das zu sehr an die Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat? Naja, ist ja auch Weihnachten.

*** Als Handke so gar nicht raunend die Serben gegen die Weltöffentlichkeit in Schutz nahm, brach ein Sturm der Entrüstung los – so mancher deutsche Intellektuelle sollte wohl auch wirklich besser in seinem Elfenbeinturm oder meinetwegen auch in der Niemandsbucht verbleiben. Sonst geht das Geraune wieder los, wie es der inzwischen recht unselige Martin Walser in letzter Zeit viel zu häufig vormacht – da fehlt dann ein bisschen die klare Sicht auf einen Anselm Kristlein oder Hans Beumann. Das Geraune aber ist Mode geworden: Anschwellende Bocksgesänge sind in, auch in der vorweihnachtlichen Zeit klagt sich's gut über unsere Entfernung von Gott: "Ich kann mir nicht verbergen, dass die Kommunikationsströme des Computers oder Internet sich nie mit dem heißen Untergrund, dem unruhigen Magma des Gewesenen vereinigen werden. Auch wenn ich noch so oft damit umgehe und spiele, das Zeug gewinnt keine Macht über mich." Ach, Botho, ginge es mir nur genauso, gewönne das Internet doch keine Macht über mich. Aber weit gefehlt, das Magma des Gewesenen erreicht mich nicht, stattdessen sitze ich hier, schreibe Kolumnen im Internet und versuche, mitzudenken. Da sei aber Botho vor: "Ohne Dialektik denken wir dümmer – aber es muss sein, ohne Dialektik", meinte er schon vor einiger Zeit. Da mache ich doch lieber weiter mit meinem "Terror der technisch-ökonomischen Intelligenz" und denke mir meinen Teil. "Der Schwachsinn als letztes Reservat der Menschheit": Wenn echte teutsche Intellektuelle ihren Elfenbeinturm verlassen, überkommt sie, so scheints, gleich das dringende Bedürfnis, in eine schlagende Verbindung einzutreten. Das stand jetzt aber nicht auf meinem Wunschzettel.

Was wird.

Gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen dem Chaos Computer Club und Microsoft? Aber sicher doch: Beide engagieren sich "zwischen den Jahren", wo der Rest der Weihnachtsvöllerei verdaut wird. In Berlin findet 17C3 statt, in Redmond startet am 26. Dezember die Kampagne "NYR", ausgeschrieben New Years Resolutions. Beide haben sogar das gleiche Thema: "Explore the Internet together". Was den modernen Hackern recht ist, ist den altertümlichen Gestalten nur billig. Wobei – das muss hier einmal gesagt werden – das kreative Hacken nichts ist gegen die Erkenntnis, wie die Gesellschaft mit dem Resultat umgeht.

Aber keine Angst: Wenn sogar die Redaktion von Readers Digest Linus Torvalds zum Europäer des Jahres wählt, dann kann ja nichts mehr schief gehen. Alles wird gut. In diesem Sinne: Auch von Hal frohe Weihnachten, und bleiben Sie mir, dem Heise-Ticker und all den lieben Kollegen gewogen. (Hal Faber) / (jk)